Robotik : Wie man einen Scara-Roboter vom Käfig befreit
Was ist eigentlich ein kollaborativer Roboter? Thomas Hrach, Eigner und Geschäftsführer des Wiener Maschinenbauers und Lösungs-Anbieters Economa, hat seine Vorbehalte gegenüber dem Begriff.
Vor einigen Jahren, erzählt er, hätten ihm auf jeder einschlägigen Messe zahlreiche Verkäufer erklärt, dass man mit einem Cobot seine Produktion in der Industrie 4.0 steigern könne. „Ich konnte es schon nicht mehr hören und habe nie ganz verstanden: Warum nimmt man eine schnelle und hochpräzise Komponente wie einen Roboter und macht ihn bewusst langsam, damit man seinen Arbeitsbereich betreten kann? Welche Applikation braucht das? Und wie soll sich das rechnen?“
Die Liebe zu Scara
Thomas Hrach kommt nicht aus der Welt der starken Sechsachser – seine Welt ist Scara, darauf ist Economa spezialisiert. Scara-Roboter, sagt er, seien schnell, präzise und hinsichtlich des Preis-Leistungs-Verhältnisses eine „großartige Alternative“. Rund 80 Prozent aller Roboter-Anwendungen können seiner Meinung nach locker mit Scara erledigt werden.
Warum er Scara favorisiert? „Wenn Sie eine klassische Roboterzelle mit Schutzumhausung haben, muss der Sechsachser so stehenbleiben, dass er Sie nicht verletzen kann. Er fährt also in seine Bremse. Der Scara-Roboter bleibt beim Öffnen der Türe stehen, ist stromlos, ungebremst, und Sie können ihn einfach verschieben. Nur die Z-Achse hat eine Bremse, aber die kann man von Hand lösen. Das ist extrem anwenderfreundlich.“
„Die Sache bekam einen Sinn“
Und dann, erzählt Hrach, habe Epson mit den Scara-Einsteiger-Modellen der T-Serie, und hier vor allem dem hervorragenden Preis-Leistungsverhältnis, neue Möglichkeiten eröffnet. Eine gute Zusammenarbeit mit Epson besteht seit Jahren, es wurden schon viele Applikationen in den unterschiedlichsten Branchen erfolgreich umgesetzt, das Know-how bei Economa war also da.
„Die Steuerung ist bei der T-Serie im Robotersockel integriert, sie müssen also nichts mehr extern unterbringen. Außerdem sind die Scaras der Einsteigerklasse von Espon nicht unpräziser, sondern nur ein wenig langsamer als die höherpreisigen Serien“, sagt Thomas Hrach. „Diese Kombination ist hinsichtlich der Grundmechanik die ideale Voraussetzung, um noch etwas draufzusetzen. Es kollaborativ zu machen.“ Und der Gedanke veränderte seine Einstellung zu kollaborativen Robotern, erzählt er, „auf einmal bekam die Sache einen Sinn“.
Von Nagano bis Donaustadt
Der Weg von der Idee bis zu SCARAflex – dessen Basis die 6er-Serie von Epson mit sechs Kilogramm an der Hand und 600 Millimeter Reichweite bildet – führte zunächst in zwei Richtungen. Einerseits zu Epson.
Der japanisch-traditionelle Elektronik-Riese beeindruckte Thomas Hrach gleich mehrfach. Die Epson-Manager und Techniker, erzählt er, waren durch die Bank ebenso am Punkt wie visionär, „so habe ich das mit noch keinem anderen Unternehmen in dieser Größe erlebt“. Massive Unterstützung erhielt das Projekt vor allem seitens Epson Deutschland.
Der andere Weg führte zum Automatisierungs-Unternehmen Blue Danube Robotics, eigentlich eher bei den schweren Sechsachsern beheimatet. „Wir haben gesagt: Super, dann kümmern wir uns um den Scara-Bereich. Wir waren auch atmosphärisch rasch auf der gleichen Ebene.“
Die beiden Wiener Unternehmen starteten eine Entwicklungskooperation. Blue Danube Robotics steuerte sein „AIRSKIN“ bei: eine weiche und druckempfindliche Sicherheitshaut für Industrieroboter. Dabei überwachen luftdichte Sensorpads kontinuierlich Veränderungen des Innendrucks. Jede Kollision führt zu kleinen Verformungen der Außenhaut, die sofort ein Stopp-Signal auslösen und damit die Bremssequenz des Roboters einleiten.
Vierfache Sicherheit
Die einzeln austauschbaren Sensorpads werden per Magneten an den Epson-Roboter angebracht. Die Druckveränderung im Inneren wird bei einer Berührung sicher zweikanalig erkannt. AIRSKIN ist eine patentierte Lösung und ein nach ISO 13849 zertifiziertes Sicherheits-System (PLe/Kat 3). Auf dieser Basis erfüllt SCARAflex die ISO/TS 15066, die regelt, wie viel Kraft bzw. Druck auf bestimmte Körperteile maximal wirken darf.
„Mit Ausnahme des Kopfbereichs können wir den Roboter mit 440 mm in der Sekunde betreiben und unterschreiten dabei alle in der Norm angegeben Werte – was noch immer deutlich schneller ist als alles andere, denn wir haben die Skin als eine Art Airbag. Je nach Anwendung rechnen wir mit erlaubten Bewegungsgeschwindigkeiten von bis zu 650mm.“
Vier Key Features sind es, die den SCARAflex sicher machen:
- Erstens die präzisen Kollisions-Pads, mit denen der Roboter umhüllt ist.
- Zweitens wird über einen eigenen, sicheren Kanal permanent die Geschwindigkeit sämtlicher Achsbewegungen überwacht. Der Systemintegrator muss also nur noch die Gefahrenstellen seiner Anwendung identifizieren und die erlaubten Geschwindigkeiten definieren und entsprechend einlernen. Wird diese Geschwindigkeit überschritten, schaltet das Gerät sicher ab.
- Drittens wird die Position der Z-Achse über ein zweikanaliges System überwacht. Da eine Abdeckung der Spindel trotz eingehender Versuche nicht ökonomisch darstellbar war, fand Economa zu dieser Lösung: Das System bewegt sich nur schnell, wenn die Z-Achse ganz eingefahren ist. Muss sie aus betrieblichen Gründen während der Bewegung (teilweise) ausgefahren bleiben, fährt das System mit entsprechend reduzierter Geschwindigkeit.
- Viertens gibt es einen eigenen Flansch am Epson-Roboter. Dieser erkennt eine Kollision am Flansch an sich, erkennt aber auch, wenn der daran angebrachte Greifer auf Grund einer Kollision ausgelenkt wird, und schaltet sicher ab. Trotz dieser Flexibilität bleibt die präzise Lage des Greifers erhalten.
Die Entwicklung des Unterbaus geschah auf der Seite von Economa. „Der Unterbau sieht recht einfach aus“, sagt Thomas Hrach, „aber wir haben hier viel Entwicklung reingesteckt.“ Etwa der Aufbau am Roboter, der insgesamt in einer Stunde möglich ist, oder auch die Kabelführung, die es dem Anwender bei der Installation sehr einfach macht, haben viel Detailarbeit erfordert.
Das Ende der Käfighaltung
Ist der SCARAflex nun ein kollaborierender Roboter? „Ich mag diese Bezeichnung noch immer nicht sehr“, sagt Hrach, „weil sie so beliebig ist. Ich nenne es lieber ‚Fence-free‘.“ Die meisten Leichtbauroboter würden recht schnell hinter einem Schutzzaun verschwinden, weil sich in der endgültigen Betrachtung dann doch noch Verletzungsmöglichkeiten zeigen und sich die Sicherheits-Verantwortlichen absichern wollten. „Aber genau diesen Schutzzaun benötigen wir mit dem SCARAflex eben nicht.“
Klassische Use Cases sind Pick-and-Place-Anwendungen beim Be- und Entladen von Trays oder Maschinen und in der Verpackungsindustrie.
Abschließend dürfe man eines nicht vergessen, meint Hrach, „in jeder SCARAflex Skin steckt ein Epson-Roboter und damit ein präziser und langlebiger Scara mit allen Features, die Epson zu bieten hat. Wir haben den Scara nur vom Käfig befreit.“
Tor zur Welt
Thomas Hrach und seine Partner haben rund vier Jahre in diese Entwicklung gesteckt (verlängert natürlich durch die Pandemie); die ersten Geräte befinden sich aktuell in Auslieferung. Zu Beginn werden wohl eher komplette Roboter distribuiert, mittelfristig will Economa eher nur die Option-Kits in den Markt bringen.
„Wir beginnen nun in Europa“, sagt Hrach, „aber es gibt auch bereits Interessenten aus Amerika. Und wenn die japanischen Kollegen das wollen, wird es SCARAflex sicher auch bald in Asien geben.“
Als unterstütztes Third-Party-Product ist dem Roboter, der nicht kollaborativ genannt werden will, jedenfalls die Unterstützung des Epson-Konzerns sicher. Und damit, sagt Thomas Hrach, „öffnen sich uns Türen, an die wir noch vor kurzer Zeit nicht zu denken gewagt haben“.