Nachgefragt : Wie lange wird es den Lagerarbeiter noch geben?

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Factory: Herr Kerner, ist die Zeit in der Intralogistik mit Förderbändern, Hochregalen und Menschen an den Kommissioniertischen bald vorbei?

Sören Kerner: Diese Frage lässt sich klar mit einem Nein beantworten. Richtig ist, dass im Wandel der Zeit die Flexibilität ein zunehmend relevanterer Faktor wird. Daher werden wir mehr und mehr Intralogistik mit reduzierter Infrastruktur sehen. Aber die hochautomatisierten Läger werden auch in Zukunft im Bezug auf Lagerkapazität und Durchsatz nicht zu schlagen sein und damit weiterhin eine Daseinsberechtigung haben.

An Ihrem Institut wird intensiv daran geforscht die Intralogistik durch den Einsatz künstlicher Intelligenz zu revolutionieren. Wann wird diese Revolution vom IML hinaus in die Welt passieren?

Kerner: Dieser Blick in die Glaskugel lässt sich nur schwer tätigen. Wenn Sie mich vor zwei Jahren gefragt hätten, wann es möglich sein wird, dass eine künstliche Intelligenz einen menschlichen Go-Spieler schlagen wird, hätte ich Ihnen vermutlich ein Fenster von 10 bis 15 Jahren genannt. Doch durch den Einsatz von beschreibenden Technologien wie Deep-Neural-Networks (Künstliche Intelligenz) ist es bereits dieses Jahr geschehen. Fakt ist, dass der Einsatz von künstlicher Intelligenz kommen wird und unser Leben verändern wird. Dafür sorgen nicht nur wir, sondern dies zeigen auch die Forschungen der „Googles“ und „Amazones“ dieser Welt. Und wenn Sie einen Blick auf die Trends der Intralogistik werfen, sehen sie bereits heute mehr und mehr autonome Systeme im Einsatz, die Revolution ist also bereits in Gang.

Bei diesem Forschungsprojekt geht es darum, die von Ameisen abgeschaute „Schwarmintelligenz“ in der Logistik umzusetzen. Was kann die Logistik von den Ameisen lernen?

Kerner: Sehr viel. Die Ameisen sind einzigartig in ihrer Art und Weise dezentral organisiert zu arbeiten und gleichzeitig eine unglaublich hohe Effizienz mit ihren Straßen an den Tag zu legen. Genau dies wird durch ihre steigende Komplexität für zukünftige logistische Systeme enorm wichtig werden.

Wie wird das Lager der Zukunft innen und außen aussehen?

Kerner: Professor ten Hompel hat ein Sprichwort geprägt, dass ich sehr passend finde: „Der ideale logistische Raum ist leer!“ Das soll nicht heißen, dass das Lager der Zukunft leer ist, aber ein solcher Raum lässt sich entsprechend der Anforderungen gestalten. Wir werden also in Zukunft flexible und wandelbare Lösungen in den Lagern sehen.

Werden im Lager in fünf Jahren überhaupt noch Menschen aus Fleisch und Blut arbeiten oder werden dort nur noch intelligent gesteuerte Roboter werken?

Kerner: Auf jeden Fall wird es dort den Menschen geben, denn er ist und bleibt auch einem Zeitalter von Industrie 4.0 die flexibelste Ressource, die wir haben. Ziel der Automatisierung kann es daher nicht sein, den Menschen zu ersetzen, sondern vielmehr seine Arbeitskraft zu multiplizieren.

Wenn Roboter autonom und intelligent die Intralogistik steuern, welche Rolle ist dann den Menschen im Lager von morgen zugedacht?

Kerner: Das ist eine der spannendsten Forschungsfragen. Mit Sicherheit wird der Mensch nicht einzig eine überwachende Instanz sein. Das Lager der Zukunft wird meiner Meinung nach von Kollaboration zwischen Mensch-und-Maschine geprägt werden. Dies wirft aber noch ungeklärte Fragen bezüglich der Arbeitsorganisation und der Integration des Menschen auf. Wir glauben, dass die Antwort hierauf „Social Networked Industry“ lauten wird, eine Vision über eine integrative Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine, die sich über Vernetzung in Form von sozialen Netzen selbstständig organisiert und bei der die Kognition der Maschinen eine tragende Rolle einnehmen wird um die Interaktion für den Menschen so natürlich wie möglich zu machen.

Logistik hat viel mit Software und Optimieren zu tun. Ist das Optimieren ein ewiger Prozess oder könnten sich dem früher oder Hürden entgegenstellen?

Kerner: Ganz im Gegenteil. Durch die steigende Komplexität logistischer Systeme stehen wir am Beginn eines Paradigmenwechsels von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit. Die Prozesse sind so komplex, dass ich gar nicht mehr in der Lage bin, das Optimum deterministisch zu berechnen – zumindest nicht in Echtzeit. Damit findet ein Wandel hin zu statistischer Systemtheorie statt. Damit kommt der Optimierung ein ganz neuer Stellenwert zu gute. Durch die technischen Möglichkeiten, die Cloud-Computing auf der einen, und Edge-Computing auf der anderen Seite bietet ergibt sein ein unglaubliches Optimal für Optimierung, bis hin zu Systemen, die sie kontinuierlich und in Echtzeit selbst optimieren.

Die fortschreitende Individualisierung in der Gesellschaft stellt für die Lagerbewirtschaftung eine enorme Herausforderung dar. Wie kann oder muss die Logistik darauf reagieren?

Kerner: Flexibilität und dezentrale Selbstorganisation.

Woran wird man die Effizienz eines Lagers in Zukunft messen?

Kerner: Kosten werden weiterhin ein entscheidender Faktor sein, doch werden sich diese anders zusammensetzen. Wenn beispielsweise Flexibilität nur mit hohen Kosten für die kontinuierliche Inbetriebnahme möglich ist, wird dies nicht zielführend sein.

Wird man im Zeitalter von 3D-Druck und Industrie 4.0 überhaupt noch Lager im bisherigen Verständnis benötigen?

Kerner: Unbedingt. Der 3D-Druck ist eine Technologie, die für einen starken Wandel in der Logistik aber auch vor allem in der Produktion sorgen wird. Jedoch ist der 3D- Drucker noch weit davon entfernt eine Art Replikator zu sein, wie man ihn aus dem Film Star Trek kennt. Es ist einfach nicht möglich alles zu drucken aber selbst wenn, wäre es nicht immer zielführend. Klassische Massenware wird mit Sicherheit auch in Zukunft nicht on demand gedruckt werden.

Was sollten Unternehmen in Handel und Industrie heute tun, um ihre Intralogistik-Prozesse für morgen fit zu machen?

Kerner: Der Rohstoff der Zukunft wird die Software sein. Es ist dringend geboten Digitalisierung nicht weiter extern auszulagern, sondern eine starke Softwarekompetenz im eigenen Hause aufzubauen, um für den kommenden Wandel gewappnet zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch!