Cobots : Wie Infineon zum Pionier der kollaborativen Robotik wurde
Luisa hat es nicht eilig. Wenn sie sich ausstreckt, um nach der Box mit den Wafern zu greifen, wirkt es wie in Zeitlupe. Ihr Kollege rechts von ihr – Robert – arbeitet in demselben Tempo. „Schneller soll es auch gar nicht sein“, erklärt Bianca Ganser, die das Automatisierungstechnik-Team bei Infineon Austria in Villach leitet, „sonst gäbe es Verwirbelungen im Reinraum.“ Robert und Luisa sind zwei der kollaborativen Roboter, die bei Infineon im Reinraum eingesetzt werden. Oder besser gesagt: Es sind die Namen der austauschbaren Roboterarme, die auf einem kompakten Fahrzeug montiert werden und sich auf einem Schienensystem bewegen. Bereits seit sieben Jahren haben die Kärntner Halbleiterspezialisten kollaborierende Roboter im Einsatz und gelten damit als kollaborative Pioniere.
Natürlich haben Luisa und Robert auch eine korrekte technische Bezeichnung mit vielen Zahlen, “aber die Mitarbeiter haben ihnen zusätzlich menschliche Namen gegeben“, so Ganser. So wurden die Roboter, die vor sieben Jahren ihre Arbeit bei Infineon begonnen haben, als neue Kollegen willkommen geheißen. Und man kann sie durchaus als Kollegen bezeichnen. Sie arbeiten nicht hinter einem Schutzzaun oder einem abgegrenzten Arbeitsbereich, sondern mittendrin im Geschehen: Nur wenige Meter entfernt sitzt ein Mitarbeiter an einem PC, während die beiden in gewohnt ruhiger Manier ihre Arbeit erledigen. Etwa drei Meter über ihnen, an der Decke des Reinraumes, ist ebenfalls ein Schienensystem angebracht. An ihm düsen weiße fahrerlose Shuttles hin und her.
Shuttle, Schienen, Skepsis
Gerade kommt wieder ein neues weißes Shuttle bei Luisa an: Eine schwarze Waferbox wird langsam zu ihrem Arbeitstisch heruntergelassen, abgesetzt – und dann passiert erst einmal nichts. Denn so leicht lässt sich Luisa nicht ablenken. Zuerst schiebt sie noch die Waferbox, die sie gerade in Arbeit hat, wie vorgesehen in die Implantationsanlage. Sie wartet, bis die Implantation abgeschlossen ist, nimmt sie die Wafer wieder heraus und legt sie in die dafür vorgesehene Box. Danach fährt sie nach links, stellt sich vor den Arbeitstisch und – wie von Zauberhand – springt der Deckel einer weiteren Waferbox auf. Es ist nicht die Box, die eine Minute zuvor geliefert wurde. Bis diese an der Reihe ist, werden noch etliche andere Wafer bearbeitet. Sind sie fertig, kommt wieder ein Shuttle, holt die richtige Box und liefert sie zum nächsten Arbeitsschritt. Dieses Prozedere kann sich unzählige Male wiederholen, erklärt Richard Lippe, Leiter der Automatisierung bei Infineon Austria: „Die Halbleiterfertigung ist sehr komplex. Es sind bis zu 400 Arbeitsschritte nötig, bis ein Wafer fertig ist.“ Und hier kommen die kollaborativen Roboter ins Spiel: Sie übernehmen die Be- und Entladung von Wafern aus den Boxen in die Produktionsanlagen. Eine monotone Arbeit, bei der keine Fehler gemacht werden dürfen. Die Mitarbeiter seien mittlerweile froh, dass sie das nicht mehr selbst machen müssen.
Zu Beginn habe es aber auch Kommunikationsbedarf gegeben. „Die Bandbreite der Reaktionen reichte damals von Begeisterung bis Skepsis. Ein Teil der Mitarbeiter musste sich erst mit dem Gedanken anfreunden, künftig mit kollaborativen Robotern zusammen zu arbeiten.“ Das habe sich bald gelegt, „vor allem durch Schulungen und Kommunikation. Wir haben die Kollegen auch immer wieder gefragt, wie es ihnen bei der Arbeit mit den Robotern geht und was noch verbessert werden kann. Wir tauschen uns ständig aus und können die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine optimieren.“ Auf Erfahrungswerte anderer Unternehmen konnte man 2010 übrigens kaum zurückgreifen, denn Infineon leistete hier Pionierarbeit, erzählt Lippe: „Damals stand man bei den kollaborativen Robotern in der industriellen Fertigung noch ganz am Anfang.“
Herausforderung „Systemunterbrechung“
Schulungen stehen auch heute noch laufend am Programm. Meist wird dabei in Kleinstgruppen gearbeitet. „Es geht darum, einen Grundstock an Wissen zu vermitteln, damit einfache Störfälle schnell behoben werden können“, so Ganser. Dabei sei es wichtig, sich nicht in Begriffen der Hochtechnologie zu verlieren, sondern komplexes einfach darzustellen. Die Mitarbeiter, die mit den Robotern zusammenarbeiten, sind keine IT- oder Mechatronik-Spezialisten, sondern kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen – vom Handwerk übers Büro bis hin zu Kulturwissenschaften und aus Pflegeberufen. Und für sie alle gilt dieselbe Regel: Eine Systemunterbrechung muss so schnell als möglich behoben werden, damit die Produktion weiterlaufen kann. „Im Normallfall zeigt der Roboter auf seinem Display an, was getan werden muss. Ist das Problem komplexer, müssen unsere Mitarbeiter in der Lage sein, dem Techniker zu schildern, wie es zu der Störung gekommen ist und wo das Problem liegen könnte“, erklärt Ganser. Lippe fügt hinzu: „Das ist ähnlich wie bei einer EDV-Hotline: Wenn man dort anruft und sagt, der Bildschirm ist schwarz, und keine weiteren Angaben machen kann, wird es lang dauern, bis man eine Lösung gefunden hat. Je mehr Details man weitergeben kann, desto schneller wird die Störung behoben.“
Die Zusammenarbeit mit kollaborativen Robotern führt also nicht nur dazu, dass monotone Aufgaben an die Maschine delegiert werden können, sondern auch zu komplexeren Aufgaben für den Menschen. Um diese zu meistern, sind technisches Verständnis und die Bereitschaft zur Weiterbildung wichtig. „Unsere Arbeit wird immer interdisziplinärer, darum brauchen wir Mitarbeiter, die sich in vielen Bereichen auskennen. Ideal ist die Kombination von Mechanik, Elektronik und IT.“ Da es am Arbeitsmarkt nicht allzu viele solcher Fachkräfte gibt, setzt Infineon auf die Lehrlingsausbildung: Aktuell gibt es 49 Lehrlinge im Unternehmen.
Rücken an Rücken
Warum aber ausgerechnet kollaborative Roboter? Für Lippe ist das eine Frage der Flexibilität. „Wenn ich den Roboter in einen Käfig einsperren muss, um für Sicherheit und einen geregelten Arbeitsablauf sorgen zu können, benötige ich dafür viel Platz“, erklärt er. „So schaffen wir aber Flächen, die von Menschen und Robotern gemeinsam genutzt werden können und sind absolut flexibel.“ In der Praxis ist diese gemeinsame Fläche ein Gang mit drei Metern Breite, in dem mehrere Roboter mit Menschen Seite an Seite arbeiten. Setzt der Mitarbeiter einen Schritt in die markierte Arbeitsfläche des Roboters, stoppt dieser sofort seine Arbeit. „Die Arbeitsbereiche sind mit einer Vielzahl an Lichtgittern, Sensoren und Scannern ausgestattet. Bei der geringsten Berührung des Roboters oder bei einem Eingriff in seinen Arbeitsbereich, bleibt alles stehen. Und setzt sich erst automatisch in Bewegung, wenn der Aktionsbereich wieder frei ist“, so Ganser. Damit wäre auch die Frage nach der Sicherheit beantwortet.