Zwei Klassen Industrie : Wie Industrie 4.0 den Markt der Abkantpressen spaltet
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Die Ziele der „Smart Factory“sind klar definiert: Flexibler, günstiger und produktiver soll er werden, der Fertigungsprozess. Der Weg dorthin ist nicht nur ein steiniger sondern führt im Regelfall durch die Glasfaser im jeweiligen Unternehmen. Kaufmännische Aufgaben und Prozesse werden direkt in die einzelnen Fertigungsschritte integriert und über dem Ganzen wacht das ERP-System (Enterprise Resource Planning). Am Ende steht dann die Vision einer intelligenten Fabrik, die sich selbst organisiert und steuert. In Zukunft werden also nicht mehr jene Hersteller das Rennen machen, die die besten Maschinen anbieten, sondern jene, die daneben auch die Vernetzungs-Klaviatur virtuos beherrschen. Die Vorherrschaft am Markt führt über (Vernetzungs-)Plattformen, oder anders gesagt: Software siegt über Hardware.
TruConnect, Axoom & Co.
Schon heute zeigen die globalen Schwergewichte, wie durchgängige Vernetzung funktioniert. Die Software-Waffen von Trumpf nennen sich TruConnect bzw. AXOOM. Mit der Tochter AXOOM IoT erhalten Hersteller(!) eine einfache Möglichkeit, sich mit ihren Maschinen, Komponenten und Sensoren zu vernetzen – und das weltweit. So können sie bei Problemen schnell reagieren, Produktionsprozesse optimieren, Updates und Wartungsarbeiten aktiv anstoßen und die Betriebskosten deutlich senken. Die Produkte sind einfach zu bedienen, modular ausbaufähig, skalierbar für die Echtzeit-Analyse von Live-Daten aus dem Produktionsumfeld und für verschiedene Hersteller offen. Die Lösungswelt TruConnect wiederum verbindet Mensch und Maschine durch Informationen. TULUS nennt Primapower seine integrierte und skalierbare Software-Familie für das zentrale Fertigungsmanagement. Sie verwaltet den gesamten Produktionsablauf: von der Handhabung des Teileauftrags bis hin zum fertigen Teil und den Produktionsberichten. Und last but not least konstruiert und berechnet BySoft von Bystronic Teile, erstellt Schneidpläne bzw. Biegeprogramme und plant und überwacht Fertigungsprozesse. Außerdem bietet sekundenschnellen Zugriff auf alle relevanten Produktions- und Maschinendaten.
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Schneller, flexibler, preisgünstiger
Die Vorteile solcher Systeme liegen auf der Hand, wie nicht zuletzt auch ein Vorarlberger Lohnfertiger bewies: „Die Software übernimmt vollautomatisch die termingerechte Planung aller Aufträge. Kommt nun ein Auftrag mit hoher Priorität rein, wird dieser automatisch vorgereiht und die Maschinen schickt sämtliche Daten und Zeiten an unser ERP-System. Ich kann nun auf Knopfdruck tausende Aufträge überblicken und managen.“ Einfacher wird’s durch die Software übrigens auch für die Mitarbeiter. „Inkompatible Produktzeichnungen und Pläne werden automatisch konvertiert und auf ihre Machbarkeit hin überprüft. Zudem fällt der ganze Papierkram weg, weil ohnehin alles direkt ins ERP gespielt wird.“ Für den Lohnfertiger bedeutet das einen enormen Wettbewerbsvorteil.
Einzelkomponenten bleiben außen vor
Was dem einen sein Wettbewerbsvorteil ist dem anderen sein Problem: Der zunehmende Kundenwunsch in Sachen Vernetzung wirkt sich inzwischen auch auf die Maschinenproduzenten und -händler aus. Vor allem jene Hersteller sehen sich unter Druck, die nur eine oder zwei Maschinengattungen (etwa Abkantpressen und Wasserstrahlanlagen) bedienen, und bei denen sich die Entwicklung einer eigenen Software-Plattform nicht wirklich rechnet. Hinzu kommt, dass es im Regelfall enorm aufwändig ist, in das Software-Ökosystem eines großen Herstellers einzudringen. Entweder weil es sich um ein geschlossenes System handelt, oder man von den Entwicklungskosten für allfällige Schnittstellen zurückschreckt. Das Ergebnis: Die Maschinen solcher Einzelkomponentenanbieter bleiben im Kaufentscheidungsprozess oft außen vor.
Abschotten wie Apple
Zum Handkuss kommen dadurch Dritte, die von eben diesen Herstellern abhängig sind. Ein Klagelied über die spezifischen Vernetzungs-Folgen kann Eduard Welebil, seines Zeichens Chef des gleichnamigen Maschinenhändlers singen: „Anbieter von Einzelkomponenten haben plötzlich keine oder nur mehr eine sehr erschwerte Möglichkeit, in diesem Verbund Anschluss zu finden. Kunden, die bereits eine oder mehrere Maschinen aus einem Hersteller-Pool haben, sind letztendlich genötigt, wieder dort zu kaufen. Vor allem wenn es sich um ein abgeschlossenes System handelt, bin ich als Kunde dem Hersteller dann ausgeliefert.“ Schon mehrfach sei er damit konfrontiert gewesen, dass potenzielle Kunden vor dem Kauf zurückgeschreckt seien, weil sich seine Maschinen nicht (oder nur sehr schwer) in ein bereits bestehendes System einbinden lassen würden. Die Kunden würden dann auf die wesentlich teureren Produkte jenes Herstellers zurückgreifen (müssen), dessen System im Unternehmen bereits etabliert sei. „Sie würden gerne kaufen, fürchten sich dann aber davor, dass es bei der Integration Probleme geben könnte.“ Ähnlich sieht es übrigens auch Michael Lechner vom Maschinenhändler hesse+co, wenngleich er es weniger drastisch formuliert. „Der Vorteil von Industrie 4.0 liegt in der Kundenbindung. Und das machen die Großen sehr gut, das muss man neidlos anerkennen. Im Grunde funktioniert das fast ein bisschen wie bei Apple – ich werde auf ein System eingeschworen.“
Bauernopfer der Digitalisierungsschlacht
Auch wenn die globalen Schwergewichte mit ihren Vernetzungstechnologien derzeit gehörig Druck auf den Markt ausüben, die Flinte ins Korn zu werfen wollen beide Händler nicht. Lechner: „Das Thema Vernetzung ist nicht für jeden Kunden sinnvoll. Und das wird auch in zehn Jahren noch so sein.“ Es sei nur ein bestimmtes Klientel, das auf solche Features Wert legt, wie etwa Lohnfertiger, nicht Lechner Kernzielgruppe. Kleine Hersteller würden aber bereits mit offenen Plattformen aufholen. Zwar nicht mit eigenen Software-Ökosystemen, sondern eher mit offenen Plattformen, wie zum Beispiel Durma. Seit über 30 Jahren vertreibt Lechner diese Blechbearbeitungsmaschinen. Seit kurzem kann er seinen Kunden auch eine passende Software dazu anbieten. Zwar kann diese noch nicht so viel bieten, wie jene von den großen Herstellern, Lechner freuts trotzdem, „denn unsere ist kostenlos und für alle anderen Hersteller offen.“ Kunden können damit alle Maschinen anbinden.
Eine Prognose, wie das Vernetzungsmatch schlussendlich ausgehen wird, wäre aus heutiger Sicht ein reiner Blick in die Kristallkugel. Sicher ist, dass es auch nicht im Sinne der großen Anbieter sein dürfte, nur abgeschlossene Systeme anzubieten. Schließlich gibt es genug Maschinentypen, die sie nicht im Lieferprogramm haben, der Kunde diese aber trotzdem gerne im Netzwerk hätte. Und das lässt sich eben nur über offene Plattformen spielen. Bleibt also nur noch die Frage, ob dann auch die Einzelkomponentenanbieter das Thema ernsthaft aufgreifen und angehen. Den Maschinenhändlern sei es jedenfalls zu wünschen, damit sie nicht als Bauernopfer der Digitalisierungsschlacht enden.