Energieversorgung : Wie gut ist Österreichs Industrie auf einen Blackout vorbereitet?
FACTORY: Herr Loidolt, was haben wir im Jänner erlebt? War das ein Blackout, wie meist zu lesen war?
Peter Loidolt: Es war ein Frequenzeinbruch, eine gravierende Störung im europäischen Stromnetz. Hätten die Energieversorger nicht gegengesteuert, hätte es aber zu einem Blackout kommen können. Es war also kein Super-GAU, aber es war knapp davor.
Die EVU haben also professionell reagiert?
Loidolt: Ja, die haben das Thema auch schon seit langer Zeit auf dem Schirm. Und vor allem ist die internationale Vernetzung sehr engmaschig. Wenn in Norwegen ein Knopf in der Leitung entsteht, bekommen das auch die Kollegen in Sizilien sehr schnell mit.
Wird die Gefahr durch die Erneuerbaren tatsächlich größer?
Loidolt: Vor allem durch den Ausbau der Windkraft kommt es immer wieder zu massiven Lastschwankungen, die man ausgleichen muss. Ich höre von den Kollegen der Austrian Power Grid, dass es früher zu zwei bis drei Eingriffen pro Monat kam – heute gilt das fast täglich. Hier müssen also relativ häufig Regelmaßnahmen ergriffen werden, um einen Frequenzeinbruch zu vermeiden.
Die Netze müssen sich in einem relativ engen Frequenzband rund um 50 Hertz bewegen. Werden die Grenzen überschritten, muss man gegensteuern, und dann kann es dazu kommen, dass durch Lastwechselreaktionen gewisse Netzteile abgeschaltet werden müssen. Und das kann einen Domino-Effekt auslösen.
Wie groß ist denn die Gefahr, dass es wieder einmal knapp wird? Die Erneuerbaren werden ja weiter ausgebaut.
Loidolt: Wir werden es häufiger erleben. Und nicht alles, was bisher geschehen ist, hat es auch in die Medien geschafft. Die Windparks, die in der Nord- und der Ostsee errichtet werden, sind ein Faktor, keine Frage. Die erzeugte Energie muss ja irgendwo hin. Daher gehen auch viele Energieversorger den Weg, Speicherinseln aufzubauen, in denen Energie gepuffert werden kann. Es gibt auch die Tendenz, Energie in großen Rechenzentren zwischenzuspeichern. Ich erwarte durchaus weitere Zwischenfälle, aber Stromausfälle von mehr als einem Tag kann ich mir nicht vorstellen. Mit der großen Katastrophe rechne ich definitiv nicht.
Das Thema wird meist auf der Ebene eines Ausfalls des Kühlschranks verhandelt. Tatsächlich kritisch sind Infrastruktur und Industrie. Ich gehe davon aus, dass die Konzerne vorbereitet sind – die KMU auch?
Loidolt: Hier ist die Bandbreite sehr groß. Die Konzerne sind im Allgemeinen hervorragend vorbereitet. Und ich schätze, dass rund ein Drittel der mittelgroßen Unternehmen im Sinne unterbrechungsfreier Stromversorgung vorgesorgt hat. Bei den anderen spüre ich aber steigendes Bewusstsein für das Thema.
Es gibt hier ja mehrere Ansätze: etwa die USV, die mir über einen gewissen Zeitraum die Spannung aufrechterhält. Da sprechen wir in der Regel von 30 bis 60 Minuten. Ein Teil der Vorbereitung ist auch, dafür zu sorgen, dass man im Fall des Falles kritische Prozesse sauber herunterfahren kann. Über einen längeren Stromausfall haben sich viele allerdings noch keine Gedanken gemacht. Denn dann benötigt man ein Aggregat mit einer vernünftigen Überbrückungszeit.
Und hier muss man gut überlegen, was man will: Will man den Betrieb aufrechterhalten? Kennt man überhaupt die kritischen Prozesse im Unternehmen? Es gibt ja Unternehmen – denken Sie etwa an die chemische Industrie –, die ihre Fertigungsprozesse über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten müssen. Die werden um ein Notstromaggregat mit entsprechender Treibstoffversorgung nicht herumkommen. Vor allem letzteres haben manche interessanterweise nicht auf dem Radar.
Wir haben in diesem Land zum Beispiel viele Tankstellen, aber fast keine ist mit einem Notstromaggregat ausgestattet. Das wundert mich immer wieder. Was nutzen mir die tollsten Notstromaggregate, wenn ich keinen Sprit bekomme?
Hat das mediale Blackout-Szenario hier ein bisschen geholfen?
Loidolt: Die Awareness ist gestiegen, und wir erleben einen gewissen Sog vom Markt, ja. Manche gehen allerdings ein bisschen blauäugig an das Thema heran, mit wenig Hintergrundwissen. Hier ist es unsere Aufgabe den Menschen entsprechend beratend zur Seite zu stehen.
Wie kostspielig ist es eigentlich, ein KMU diesbezüglich gut auszustatten?
Loidolt: Das ist natürlich individuell unterschiedlich. Kann man das Aggregat etwa im Freien aufstellen, ist es eine recht einfache Übung. Komplizierter wird es, wenn man es in einem einem Gebäude oder im geschlossenen Verband unterbringen muss. In Wien zum Beispiel besteht eher selten die Möglichkeit, Aggregate im Außenbereich aufzustellen. Da muss man in das Gebäude hinein oder auf das Dach, und das erhöht die Kosten.
Teuer ist dann nicht das Aggregat, teuer kann die erforderliche Infrastruktur, wie Lüftungs- und Abgasanlage, sowie der Tank werden. Nicht zu vergessen auch die entsprechenden Adaptierungen am elektrischen System im Gebäude. Unsere Aufgabe ist es dann, mit dem Kunden die für ihn passende und wirtschaftlich optimale Lösung zu finden.
Hat die Politik das Thema ausreichend auf dem Radar?
Loidolt: Seitens der Politik wurde die Problematik erkannt. Einige Bundesländer sind hier aktiver, andere weniger. In Kärnten wurde ein Begutachtungsentwurf für Kärntner Bauvorschriften vorgelegt, wonach bei Neubauten die Notstromeinspeisung gleich mitgeplant werden soll. In der Steiermark gibt es ähnliche Tendenzen, hier geht es in Richtung der Feuerwehren. Auch die Kommunen werden immer häufiger aufgefordert, in ihrem Wirkbereich „Leuchttürme“ zu errichten.
Etwa, indem man die Feuerwehr-Rüsthäuser mit fixen Aggregaten ausstattet, von denen die Bevölkerung im Störfall profitieren kann. Auch in Niederösterreich gab es am 25.02.2021 einen ähnlichen Landtagsbeschluss, wo die Ausarbeitung von Blackout-Notfallplänen für Gemeinden und Sicherstellung der Energieversorgung für lebensnotwendige Infrastruktur auf Schiene gebracht wurde. Hier sehe ich schon einiges in Bewegung, das Bewusstsein steigt durchaus.
Was war das denn?
Austrian Power Grid hat vor kurzem einen Zwischenbericht zum Frequenzabfall vom 8. Jänner 2021 veröffentlicht. Die wichtigsten Punkte.
„Aus aktueller Sicht war der Auslöser eine Kettenreaktion von Ausfällen eines oder mehrerer Betriebsmittel in Südosteuropa um 14:05 Uhr. Diese Ausfälle zogen eine Trennlinie im Raum südöstlich von Österreich, und das kontinentale Stromnetz wurde in zwei Teile geteilt. Die Trennlinie führte durch die Länder Kroatien, Serbien und Rumänien.
In der westlichen Insel, zu der auch Österreich gehörte, fehlten nach dem Netzsplit die Erzeugungsmengen aus Südosteuropa. Dieses Leistungsdefizit ließ die Frequenz auf 49,74 Hertz (Abweichung um 260 mHz) absinken, ehe mit zusätzlicher lokaler Erzeugung bzw. Verbrauchsreduktion sowie Importen aus Großbritannien und Skandinavien die Frequenz wieder stabilisiert werden konnte. Der exakte Grund für die Ausfälle der Betriebsmittel, die zu dem Split geführt haben, ist zurzeit Gegenstand der Ermittlungen in den europäischen Expertengremien der Übertragungsnetzbetreiber bzw. der europäischen Dachorganisation der Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E).
Die Energiewende bzw. die Erneuerbaren Energieträger stehen aus heutiger Sicht in keinem Zusammenhang mit den Geschehnissen vom 8.1.2021.“
Hier finden Sie ein Video|der Austrian Power Grid, das den Frequenzabfall vom Jänner 2021 sehr anschaulich erklärt (YouTube).]