Interview : Wie Cloud Manufacturing die Produktion verändert
Unternehmen tun sich noch immer schwer ihre Daten in eine öffentliche Cloud abzulegen. Zu groß sind die Sicherheitsbedenken. FACTORY sprach mit Robert Merz von der FH Vorarlberg über die Technologie und das nötige Mindset, das es braucht um in der Cloud mehr zu sehen als einen nicht fassbaren Datenspeicher. Er leitet das Forschungszentrum Digital Factory Vorarlberg an der FH Vorarlberg, wo man sich unter anderem mit dem Thema Cloud Manufacturing beschäftigt.
FACTORY: Beginnen wir mit einem Blick in die Zukunft: Welche Rolle spielt die Cloudtechnologie künftig in der Produktion?
Robert Merz: In Zukunft wird sie nicht wegzudenken sein. Viele datenbasierte Aufgaben werden nicht oder nur mit enormem Aufwand ohne Cloud machbar sein. Derzeit sehe ich die Rolle der Cloud aber noch sehr gemischt.
Doch wenn wir über die Cloud sprechen, müssen wir klarstellen worüber wird reden: Bei der öffentlichen Cloud gibt es einen Drittanbieter, der die Dienste zur Verfügung stellt und verwaltet. Die bekanntesten großen Player sind etwa Amazon, Google, Microsoft oder IBM. Es kann sich aber auch um eine private Cloud handeln, die auf dem eigenen Server in einem Rechenzentrum läuft und lediglich wie eine Cloud funktioniert.
FACTORY: Worin wird die Rolle der Cloud für die Digitalisierung der Produktion liegen?
Merz: Die Cloud erleichtert beispielsweise den Einsatz von IoT-Anwendungen ungemein. In einer Produktionsumgebung erzeugen hunderte oder tausende Kleincomputer Daten. Solche Datenmengen machen einen Clouddienst – egal ob privat oder öffentlich – unerlässlich. Doch IoT deckt nur einen Teilaspekt ab. Generell stellt sich die Frage, wie sie unterschiedliche Anlagen oder gar ganze Standorte in unterschiedlichen Ländern oder Kontinenten miteinander datentechnisch verbinden. Zur Klärung solcher Fragen setzen wir uns am Forschungszentrum z.B. mit dem Thema Cloud Manufacturing auseinander.
FACTORY: Wie kommt Cloud Manufacturing an der FH Vorarlberg zum Einsatz?
Merz: Gemeinsam mit der FH Salzburg, der TU-Wien und anderen Partnern arbeiten wir aktuell an Systemen, die Aufträge in ein Cloud Manufacturing System eingespeisen. In diesen Systemen werden die Aufträge analysiert und nach Optimierungskriterien und anderen intelligenten Gesichtspunkten auf verschiedene Fertigungszentren verteilt. Cloud Manufacturing ist wie ein Produktionsplanungssystem, das in der Cloud sitzt und entscheidet wo am besten produziert werden kann. In der Praxis nutzen große Betriebe solche Systeme um Aufträge bestmöglich zu verteilen oder Maschinen optimal auszulasten. Schon lange im Einsatz sind solche Systeme in der Chipproduktion und seit einiger Zeit auch bei der Auftragsverteilung im 3D-Druck. Wir haben in der Factory auch ein Interface geschaffen, mit dem sich Anbieter von Engineering-Dienstleistung in dieses System einklinken können.
FACTORY: Wozu dient dieses Interface?
Merz: Damit können freie Produktionsressourcen gebucht oder auch Engineering-Aufträge vergeben werden: Der Nutzer kann beispielsweise Komponentenbauer werden, ohne eine Anlage zu besitzen. Oder ich kann eine Engineering Dienstleistung anbieten ohne dass ich Ingenieur in einer Firma bin. Ist die Engineering-Abteilung eines Unternehmens nicht voll ausgelastet, können Aufträge für ein anderes Unternehmen übernommen werden. Aber bis das funktioniert und akzeptiert wird, ist es noch ein weiter Weg. Um Technologien in den Alltag des Ingenieurs und der Produktion hineinzubringen, vergehen schon einmal locker 10 - 20 Jahre.
FACTORY: Sind andere Länder in puncto Cloud fortschrittlicher?
Merz: Die Entwicklung der Cloudtechnologie unterscheidet sich vielleicht um wenige Monate. Das ist der Vorteil von digitalen Produkten. Anders als Hardware, verbreiten sich digitale Produkte schneller in den Märkten. Nehmen Sie im Vergleich dazu den 3D-Druck: Die Hardware - und, dass es in den 90ern in Europa noch kein ordentliches Internet gab - spielte eine zentrale Rolle bei der Verbreitung der Technologie. Es dauerte Jahre bis der 3D-Druck von den USA nach Europa kam.
FACTORY: Was beeinflusst die Übernahmebereitschaft von Cloud-Lösungen?
Merz: Das Bedürfnis nach Sicherheit und die Einstellung „Daten gehören mir“ ist fest in den Köpfen der Menschen und im System verankert. Zum einen sind unsere Wirtschaftsstrukturen darauf ausgelegt, dass nicht das Bedürfnis besteht Erkenntnisse zu teilen. Ich spreche dabei ganz bewusst nicht von Daten. Der zweite Punkt: In Europa herrscht vielfach eine Kultur, in der das Gegenüber ja nicht wissen darf wie viel ich beispielsweise verdiene. Es gibt Kulturen in denen herrscht eine völlig andere Offenheit. Ich denke damit hängt ein anders Bedürfnis an Datensicherheit zusammen.
FACTORY: Und was schließen Sie daraus für die Cloudtechnologie?
Merz: Der Anspruch ist: Daten sollen geschützt sein, sodass sie kein anderer sieht, und zugleich möglichst offen, sonst können wir ja nicht damit arbeiten. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Hier muss eine gute Balance gefunden werden. Dabei spielt das Thema Datensouveränität eine entscheidende Rolle.
FACTORY: Durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat sich Europa ein enges Korsett geschaffen.
Merz: Die DSGVO ist ein Abbild unserer Kultur und unseres Sicherheitsbedürfnisses. Einerseits ist das richtig und gut, andererseits müssen wir bedenken, dass es Ziele behindert. Das Paradoxe: Zum einen stopfen wir alle unsere Daten in Google und Facebook hinein und auf der anderen Seite schreien wir, dass der Datenschutz nicht weit genug geht. Da versagt meine Logik. Es wird ein riesiges Umdenken brauchen damit es funktioniert.
FACTORY: Das Projekt Gaia X soll eine innereuropäische Cloud-Plattform schaffen: Wie bewerten Sie das Vorhaben?
Merz: Die Grundabsichten sind sehr gut. Es wird der Security-Aspekt und der offene Umgang mit Daten adressiert. Gleichzeitig sorgt das Projekt für Standardisierung und Vereinheitlichung bei Ressourcen, Infrastruktur und Applikationen. Das Projekt Gaia-X umfasst ein riesiges Feld, da wird es große Subprojekte geben.
FACTORY: Und wie sehen Sie die Erfolgsaussichten für Gaia-X?
Merz: Bis wir merken, dass Gaia-X einen Nutzen stiftet wird es 20 Jahre dauern. Trotz aller Geschwindigkeit mit der Technologien kommen und gehen, die großen Dinge wie das Gaia-X-Projekt brauchen Jahrzehnte bis sie sich durchsetzen. Auch Dienste von Google, Amazon, Facebook haben Jahrzehnte für die Entwicklung gebraucht.
Danke für das Gespräch!
Zur Person:
Dr. Robert Merz leitet das Forschungszentrum Digital Factory Vorarlberg an der FH Vorarlberg. Nach dem Elektrotechnik Studium an der TU Wien schrieb er seine Dissertation in den USA, im Bereich des 3D-Druck. Anfang der 90er ein Feld, das in Europa kaum erforscht wurde. Über Stationen im BMW-Forschungszentrum in München ist er an der FH in Vorarlberg gelandet. In seiner ersten Amtszeit hat er u.a. ein Forschungszentrum für Mikrotechnik und ein Forschungslabor für Robotik und Automatisierung aufgebaut. Nach einiger Zeit in der Wirtschaft hat er als Fachbereichsleiter für Mechatronik an der FH Salzburg der Grundstein für das dortige Smart Factory Lab gelegt. Seit drei Jahren ist er wieder an der FH Vorarlberg und baut das Forschungszentrum auf. Seine Schwerpunkte: Cloud Manufacturing, Data Analytics und künstliche Intelligenz, Digitale Zwillinge und Cyber Security.
Zur Digital Factory der FH Vorarlberg:
2018 wurde das Zentrum gegründet, um Betriebe im Bereich der Digitalisierung von produzierender Industrie aber auch Logistik und verwandten Branchen zu unterstützen. In vier verschiedenen Bereichen widmen sich die Forscher den Themen Cloud Manufacturing, Datenanalyse und Künstliche Intelligenz, Digitaler Zwilling und Security von Maschinen. Neben einer Reihe von Forschungsprojekten werden im Labor Showcases gemacht und auf einer Produktionsanlage Demoprodukte mit modernen, digitalen Methoden gefertigt. Aufgrund der geographischen Lage liegt ein Schwerpunkt bei produzierenden Unternehmen aus dem Bereich der elektrischen- und mechanischen Fertigung. Blum, Hilti, Leica, Kapsch, Copadata oder Barracuda sind beispielsweise Kunden der Digital Factory.