technik reportage : Wie Besi Austria mit igus die Laufzeit von Anlagen verlängert

igus Energiekette Besi Austria Daniel Schmid
© Factory / Thomas Trinkl

Irgendwo in Asien. Ein Automat zur Bestückung von Silizium-Bauteilen produziert plötzlich Ausschuss in Serie. Was ist passiert? Softwarefehler? Steuerelemente defekt? Eine erste Fehlersuche kann das Problem nicht identifizieren. Manchmal sind es eben die etwas unscheinbar aussehenden Bauteile, die über das Funktionieren einer Bestückungsmaschine von Halbleiterplatinen entscheiden. Dazu zählen unter anderem Energiezuführungen bzw. Energiekettensysteme. Wenn diese zum Beispiel durch die Bewegung zu viel Abtrieb produzieren, der dann auf die zu bestückenden Trägermaterialien fällt, kann dies schnell zu fehlerhaften Produkten führen. Genau dieses Problem entstand bei einem Kunden von Besi. Hinzu kam, dass die Lebensdauer der bisher verwendeten Ketten zu kurz war. Bevor die Bauteile in nachgelagerten Prozessen mit dem Trägermaterial verbunden bzw. verlötet werden, müssen die bestückten Produkte möglichst frei von Partikeln sein. Um dies zu gewährleisten, ist es nötig, dass die Energieketten und Leitungen für Strom, Daten und Pneumatik, die die Achssysteme in Bestückungsautomaten bewegen, aus sehr hochwertigen Materialien bestehen und perfekt funktionieren. Darauf setzen Kunden von Besi, wie zum Beispiel führende multinationale Chiphersteller sowie Elektronik- und Industrieunternehmen. „Unsere Bestückungsautomaten profi ieren sich vor allem durch ihre Geschwindigkeit und Bestückungsgenauigkeit. Das sind zwei konkurrierende Parameter, die wir gegenüber unseren Wettbewerbern sehr gut in Einklang bringen“, erklärt Daniel Schmid, Team Leader Electronics System Components & Integration bei Besi Austria.

Steile Vorgaben definieren

Um diesen Wettbewerbsvorteil wieder voll auszuschöpfen, wurde mit dem Partner Igus eng zusammengearbeitet. Denn überall, wo Abrieb an bewegten Stellen entsteht, kommen die motion plastics, die igus-Hochleistungskunststoffe für bewegte Anwendungen, zum Einsatz. Daraufhin machte sich Besi mit igus an die Arbeit, um gemeinsam eine neue Lösung zu entwickeln. Der Support von igus umfasste die wesentlichen Punkte: die Auswahl des geeigneten Materials und die Konfiguration in der Anlage. Vorab wurden die Anforderungen an die Energieketten und Leitungen definiert. Dafür sind einige Rahmenbedingungen zu beachten. Die Anlagen werden immer leistungsfähiger und der Platz im Inneren einer e-Kette wird zusehends kleiner. „Sobald dieser Bauraum überfüllt ist, steigt das Risiko, dass Reibung ins Spiel kommt“, sagt Florian Plörer, technischer Verkaufsberater e-Ketten und -Systeme bei igus. „Deshalb mussten spezielle Materialien gefunden werden, die diese Anforderungen erfüllen und so gut wie keinen Abrieb mehr erzeugen.“

Die für Besi entwickelten Produkte weisen mehr als 200 Millionen Hübe auf. Das entspricht einem Vielfachen gegenüber denen, die als Standard gelten. Trotz der großen Anzahl von Hüben entsteht so gut wie kein Partikelabrieb mehr. Denn hierbei handelt es sich um Systeme, die extreme Reinraumklassen erfüllen müssen. Des Weiteren wurden Vorgaben hinsichtlich der Beschleunigungswerte, des kleinsten Biegeradius, der Verfahrwege und der Lebenserwartung aufgestellt. „Wobei wir natürlich immer eine Kombination aus allen Faktoren betrachteten“, so Plörer. „Eine besondere Herausforderung waren die engen Biegeradien bei einer gleichzeitig extremen Zyklenanzahl jenseits der 7.000 Bestückungen pro Stunde. Unter diesen Voraussetzungen wäre es zu einem ungewöhnlich frühen Wartungspunkt mit einem Kettentausch gekommen. Das musste unbedingt vermieden werden. Die Kunden erwarten gerade von europäischen Anlagen eine hohe Uptime. Andererseits werden bei solchen Dynamiken schnell die physikalischen Grenzen erreicht und die Lebenserwartung sinkt entsprechend.

Tests in der Kabel- und Kettenfolterkammer

Deshalb mussten für gezielte Vorhersagen über die Performance und Lebensdauer in unterschiedlichsten Anwendungsszenarien alle igus-Produkte intensive Testreihen durchlaufen. Denn so viel muss sicher sein: Nur echte Dauertests unter realistischen Bedingungen geben eine sichere Auskunft über die Lebensdauer von Leitungen in Energieketten. Zu diesem Zweck betreibt igus als Spezialist für bewegte Leitungen in Energieketten das mit 2.750 Quadratmetern größte Testlabor der Branche. Auf 65 verschiedenen Testständen werden die Produkte im Dauerbetrieb mit über 2 Milliarden Zyklen im Jahr auf ihre Belastbarkeit geprüft. Dabei wird diese „Kabel- und Kettenfolterkammer“ nicht zum Selbstzweck betrieben. Sie dient vielmehr der konsequenten Verbesserung der Konstruktions- und Fertigungsverfahren sowie einer konkreten Berechenbarkeit der Lebensdauer. So fließen die Daten in die auf der igus-Webseite frei zugänglichen Online-Tools ein. Damit kann der Kunde gleich online die für ihn genau richtige Leitung für seine individuelle Anwendung fi nden und ganz unkompliziert ihre Lebensdauer berechnen.

36 Monate Funktionsgarantie

Dank der Realtests im hauseigenen Testlabor erhält er die Sicherheit, dass die ausgewählte Leitung in seiner vorgegebenen Bewegung tadellos funktioniert, und überdies eine Funktionsgarantie von 36 Monaten. „In unserem Fall bewegen wir uns hinsichtlich der Bewegungszyklen und Lebensdauer meist weit über den testbaren Möglichkeiten“, erklärt Schmid. „Wobei die Realtests keine fünf Jahre laufen müssen. Letztlich kann die Zyklenzahl aufgrund langer Felderfahrung zuverlässig hochgerechnet werden.“ Dafür werden die unterschiedlichen Umgebungen und Standzeiten beim Kunden miteinkalkuliert. „So steht eine Anlage vielleicht in Sibirien und die andere in Afrika“, sagt Plörer. „Das ergibt große Unterschiede. Umgebungsbedingte Temperaturen sind verschieden und auch die Arbeitsweise beim Zusammenbau und bei der Wartung schwankt bisweilen erheblich von Nation zu Nation.“ Daher sind Besi und igus bestrebt, die Wartungszyklen weit auseinanderzulegen und hohe Standzeiten zu erzielen.

Nabelschnüre des Maschinenbaus

„Die Kunden rechnen immer in Uptime, also wie lange die Maschine am Stück laufen kann“, erklärt Schmid. „Werden bis dato nur 70 bis 80 Prozent erreicht, so fordern Kunden gut und gerne einen Wert über 90 Prozent. Die Produkte von igus helfen uns dabei, die Uptime signifi kant zu erhöhen.“ Zu den in den Bestückungsautomaten von Bei eingebauten Produkten gehört die reinraumtaugliche E6-Baureihe von igus. Sie bietet neben einer langen Lebensdauer zahlreiche weitere Vorteile, wie zum Beispiel einen extrem leisen, vibrationsarmen Lauf. Der so genannte Polygoneffekt, der beim Abrollen einer Energieführung auftreten kann, lässt sich so auf ein Minimum reduzieren. Die extrem niedrige Geräuschentwicklung wird in einem Gutachten der TÜV Immissionsschutz und Energiesysteme GmbH bestätigt. Zudem kann bei der Innenaufteilung aus einer großen Palette an Möglichkeiten gewählt werden. Dasselbe gilt für die Anschlusselemente.

Komponenten-Lebensdauer wird berechenbar

Bei Energieketten-Systemen ist das Zusammenspiel der gegeneinander bewegten Komponenten wie Chainflex-Leitungen, Innenaufteilungen, Öffnungsstege oder auch Führungsrinnen entscheidend. Die Werkstoffe müssen minutiös aufeinander abgestimmt sein, damit sie einzeln und als System ausgezeichnete Laufzeiten liefern. Bei der Energiekette selbst ist igus bislang der einzige Hersteller weltweit, der konsequent nur auf das Material Kunststoff setzt. „Die Ingenieure von igus entwickeln jährlich mehr als 300 neue Kunststoff-Compound-Werkstoffe und testen Leitungen in rund 2 Milliarden Testzyklen“, unterstreicht Plörer. „Alle Testergebnisse fließen in eine umfangreiche Wissens- und Werkstoffdatenbank. Gestützt auf diese können heute zuverlässige Angaben zum Beispiel zur Lebensdauer von Ketten und Leitungen gemacht werden.“ Dadurch wird der Traum vieler Konstrukteure wahr, endlich berechenbare und langlebige Komponenten zu erhalten. Die Anwendungsgebiete der Energiekettensysteme sind äußerst vielfältig, dazu gehören unter anderem Offshore-Anlagen, Stahlwerke, Kraftwerke, Automotive, Minenbau, Werkzeugmaschinen und Großkrane. Ebenso werden die Bereiche Reinraum, ESD-ATEX oder Hochtemperaturanwendungen bedient. In den Bestückungsautomaten von Besi kommen des Weiteren die Chainflex-Steuerleitungen CF10 von igus zum Einsatz. Sie eignen sich unter anderem für Anwendungen von höchster Beanspruchung, Reinräume, Halbleiterbestückung, Tieftemperaturen sowie freitragende und gleitende Verfahrwege. Darüber hinaus wurden Chainflex-Steuerleitungen vom Typ CF98 von igus für höchste Beanspruchungen und besonders kleine Radien verbaut. Mit diesen Produkten zählt igus zu den führenden Anbietern von Energieführungen und bewegten Leitungen. Im Bereich Energieketten ist igus Marktführer und offeriert mit über 100.000 Produkten auch das größte Sortiment.

Beste Performance im Feld

Für einen reibungslosen Betrieb werden Früherkennungssysteme, die den Verschleiß dokumentieren, aber auch Kraftmesssysteme verbaut, die die Schub- und Zugkräfte überwachen und messen sollen. „Das Schlimmste, was uns passieren könnte, ist, wenn eine Schraube oder ein sonstiges Teil in die Kette fällt“, sagt Plörer. „Dann lösen die Kraftmesssysteme einen Alarm aus. Es folgt zwar ein kurzer Abstellmoment, aber es kann sonst nichts beschädigt werden.“ Zudem können auch Kabel elektrisch durch Widerstandsmessungen überwacht werden. Denn irgendwann bricht jede bewegte Leitung aus Kupferdraht ab und der Widerstand steigt über eine bestimmte defi nierte Toleranzgrenze. Da die Kundenanforderungen immer höher werden, wurde die Bestückungsmaschine von Besi in den letzten Jahren kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert. „Auf diese Weise kamen immer mehr Randbedingungen und Spezifikationen wie zum Beispiel Reinraumklassen dazu“, betont Schmid. „Die Anforderungen sind mit den Weiterentwicklungen dann stetig gestiegen.“

Kunststoff als entscheidender Faktor

So wurden zum Beispiel mit neuen Materialmischungen, besseren Gleiteigenschaften und neuen Bremssystemen robustere und gleichzeitig leichtere Lösungen gefunden, die überdies noch viel ruhiger laufen. Und die Ergebnisse können sich sehen lassen: Beschleunigung bei 32 m pro Sekunde, der kleinste verwendete Biegeradius beträgt 48 mm, Verfahren von 500 mm und eine Lebenserwartung von 150 Mio. Hüben. „Die Halbleiterindustrie wird uns in Zukunft noch mehr Präzision bei noch höheren Geschwindigkeiten abverlangen“, betont Schmid. „Und die Märkte werden sich noch schneller weiterentwickeln und viele neue Herausforderungen sind zu meistern.“ Auch für igus ist die Marschroute schon festgelegt: „Für uns wird Kunststoff auch weiterhin das beste und entscheidende Material sein“, sagt Plörer. „Daher werden wir in unseren Testlaboren den Werkstoff Kunststoff weiterentwickeln und noch viele Kunststoffverbindungen entdecken, die weitaus leistungsfähiger sein werden. Im Grunde ist es ganz einfach: Die Mischung macht’s!“

Die Anwendung auf einen Blick: Chainflex

Was: unkonfektionierte Leitungen für den bewegten Einsatz in Energieketten Normen und Richtlinien: Chainflex-Leitungen erfüllen alle Anforderungen an EMV Sicherheit sowie Normen und Richtlinien wie UL, CSA, VDE, EAC, CTP, Interbus und Profibus.

Besonders weil: Im Gegensatz zu häufi g als „kettentauglich“ angebotenen Leitungen mit Lagenverseilung arbeitet igus bei Chainflex- Leitungen nach dem Prinzip der Bündelverseilung.

Auch interessant: 2 Milliarden jährliche Testzyklen im größten Testlabor (2.750 m2) garantieren bei igus-Produkten maximale Ausfallsicherheit.

Großes Plus: 36 Monaten Garantie

Könnte interessieren: Maschinenbauer und Instandhalter, weil sich durch getestete und damit sichere Komponenten Ausfall- und Instandhaltungszeiten minimieren.

Zum Auftraggeber: Besi

BE Semiconductor Industries ist ein global aufgestellter börsennotierter Konzern mit dem Sitz der Zentrale in Holland, der Produktionsanlagen und Prozesse für die Halbleiterindustrie entwickelt und fertigt. Die Niederlassung in Österreich konzentriert sich auf den Geschäftsbereich der Bestückungsautomaten, welche Siliziumchips auf Leadframes, Substraten und Wafer appliziert. Die auf Besi-Maschinen produzierten Bauteile finden sich in einem breiten Endnutzermarkt wieder, u. a. in Mobiltelefonen, Tablets, Computern, Autos und LED.

Zum Auftragnehmer: igus GmbH

Die igus GmbH ist ein weltweit führender Hersteller von Energiezuführungen bzw. Energiekettensystemen sowie Polymer-Gleitlagern. Das familiengeführte Unternehmen mit Hauptsitz in Köln ist in 35 Ländern vertreten und beschäftigt weltweit über 2.950 Mitarbeiter. Damit das Unternehmen seinen Kunden innovative und auf ihn zugeschnittene Produkte bzw. Lösungen in kürzester Zeit anbieten kann, betreibt es die größten Testlabore und modernsten Fabriken seiner Branche.