Kunststoffrecycling : Welche Strategie Erema-CEO Manfred Hackl verfolgt
Factory: Bis 2025 will die EU über die Hälfte aller Kunststoffverpackungen wiederverwerten. Dank dieser Quoten steigt die Nachfrage bei den Recyclingmaschinenproduzenten. Herr Hackl, wie ist es in - überspitzt gesagt -„goldenen Zeiten“ tätig zu sein?
Manfred Hackl: „Goldene Zeiten“ das klingt, als würde sich der Unternehmenserfolg ohne eigenes Zutun ganz von selbst ergeben. Aber der Erfolg unserer Firma fußt nicht nur auf „glücklichen Rahmenbedingungen“, sondern ist das Ergebnis langer und engagierter Entwicklungsarbeit. Gute Rahmenbedingungen muss man zur rechten Zeit auch richtig nutzen können – ohne Aussaat keine Ernte.
Trotzdem bringt die EU Geschwindigkeit in das Thema Kunststoffrecycling …
Hackl: …was uns natürlich freut. Aber auch wir mussten in der Vergangenheit die eine oder andere markttechnische Delle erleben. Aber wenn wir uns heute mit unseren Technologien und Serviceleistungen strategisch richtig platzieren, bedeutet das für uns sicherlich einen positiven Langzeittrend.
Strategisch richtig platzieren: Deswegen auch der Zukauf einer italienischen Firma?
Hackl: Unter anderem, neben den technologischen Entwicklungen. Plasmac Srl hat sich auf kleine, standardisierte Recyclingmaschinen spezialisiert und passte deswegen sehr gut in unseren Firmenverbund.
Die Italiener wären somit die fünfte Firma im Erema-Verbund?
Hackl: Richtig.
Werden Sie Ihre Einkaufstour fortsetzen Herr Hackl?
Hackl: Wir sind nicht auf Einkaufstour, aber in so einer jungen und aufstrebenden Industrie, wie dem Kunststoffrecycling, gibt es sehr viele attraktive Optionen. Wir verfolgen natürlich eine gewisse Wachstumsstrategie. Überlegen uns aber sehr genau, wo wir investieren und wo nicht.
Ich drehe die Frage um: Gab es auch schon Angebote Teile Ihres Unternehmens zu kaufen?
Hackl: Ich denke, jeder der in etwas erfolgreich ist, wird früher oder später ein Angebot am Tisch haben. Erema ist ein Familienunternehmen im Besitz der Familien und Nachfolgegenerationen der Firmengründer. Von diesen gibt es ein klares Bekenntnis zum Unternehmen. Ein Verkauf oder Teilverkäufe sind damit kein Thema.
Die EU mag ihr Geschäft derzeit kräftig ankurbeln, aber Erema ist auch international stark unterwegs. Wo sind Ihre Märkte?
Hackl: Wir haben in rund 107 Ländern unsere Anlagen stehen. Die Hälfte unseres Umsatzes generieren wir in Europa, die andere Hälfte verteilt sich auf die anderen Kontinente.
Also einen Teil auch in Asien? Das finde ich interessant. Kennt doch jeder die Bilder von den Plastikmüllbergen in China und Co. Sind die Asiaten wirklich recyclingaffin?
Hackl: Noch mag nicht jedes asiatische Land, einem umfassenden Recyclinggedanken etwas abgewinnen. Auch den asiatischen Ländern ist bewusst, dass in punkto Kunststoffabfall und -recycling etwas unternommen werden muss. Indonesien hat zum Beispiel kein Müllentsorgungskonzept. Aber erste Aufklärungskampagnen sind gestartet und einen wichtigen Impuls hat China im April 2018 gesetzt.
Sie meinen als die Volksrepublik den Import von Plastikmüll verbot? Eigentlich ein Schockmoment für Europa.
Hackl: Ein Überraschungsmoment, genau, weil China damit den ersten Schritt gesetzt hat und nicht Europa. Bis dahin wurden Kunststoffabfälle aus Europa zu einem sehr großen Anteil nach China exportiert, anstatt in der EU darin eine Ressource zu sehen, die man durch Recycling bis zu 100 Prozent wieder für neue Produkte nutzbar machen kann.
Und weil Europa das nicht tat, haben wir über Jahre quasi unsere eigene Rohstoffgrundlage untergraben …
Hackl: Das hat sich aber glücklicherweise geändert. Seit April letzten Jahres ist auch klar, dass China eine von Importen unabhängige Kreislaufwirtschaft aufbauen möchte, und die EU forciert nun die Wiederverwertung der in Europa anfallenden Kunststoffabfälle.
Beides spielt Ihnen natürlich in die Hände. Verfolgen Sie die Handelsstreitigkeiten zwischen China und USA mit Sorge?
Hackl: Natürlich. Am Iran können wir heute schon sehen, welche Auswirkungen so ein Handelskrieg hat. Sollte eine ähnliche Abkühlung mit China entstehen, werden sich diese Handelsbarrieren auf ganz Asien auswirken. Das hätte eine wesentlich größere Dimension. Ich hoffe sehr stark, dass die Mächtigen dieser Welt ihre Entscheidungen mit Bedacht treffen. Die Zeit des Protektionismus ist vorbei.
Sie sind ein Verfechter der Produktion in Österreich und investieren derzeit kräftig in Ihre beiden Standorte Ansfelden und Roitham. Lassen Sie unsere hohen Lohnnebenkosten kalt?
Hackl: Die Investition in die Standorterweiterung ist ein klares Bekenntnis der Eigentümer zum Standort Österreich und zu den Mitarbeitern hier. Erema ist Weltmarkt- und Innovationsführer. Das wären wir nicht, wenn wir nicht gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter hätten, so wie das hier der Fall ist.
Die öffentliche Schmähung des Plastiksackerls, lässt in jungen Köpfen ein negatives Bild Ihrer Branche entstehen. Viele Ihrer Branchenkollegen ringen dank dieses schlechten Images bereits um die Arbeitskräfte der Zukunft. Trifft Sie das auch?
Hackl: Als Recyclingmaschinenproduzent sind wir davon noch verschont geblieben. Kunststoffrecycling begeistert junge Menschen, weil man damit zur Lösung des Problems beitragen kann. Aber als Beiratssprecher des Kunststoff-Clusters in Oberösterreich kenne ich dieses teils unfaire Image nur zu gut. Es ist leider nicht mehr „cool“ eine Ausbildung in einem Kunststoff erzeugenden oder verarbeitenden Betrieb zu machen, obwohl sich technologisch hier noch viel weiterentwickeln wird.
Hat die Kunststoffindustrie in der Kommunikation versagt?
Hackl: In der aktuell sehr emotional geführten Diskussion über Kunststoff, haben wir es nicht ausreichend geschafft, die Bedeutung dieses noch jungen und vielseitigen Werkstoffes für unsere moderne Gesellschaft zu vermitteln. Ja, wir müssen den Umgang mit Kunststoffabfällen in den Griff bekommen und eine echte Kreislaufwirtschaft verwirklichen. Aber hinter der Kunststoffindustrie steckt weit mehr als das „böse“ Plastiksackerl. Egal ob Medizin, Telekommunikation, Transportwesen oder Sport - gäbe es keinen Kunststoff, hätten wir nicht unseren jetzigen Lebensstandard.
Gemeinsam mit ihrem Kollegen Klaus Feichtinger wurden Sie heuer mit dem Europäischen Erfinderpreis in der Kategorie „Industrie“ ausgezeichnet. Eine große Ehre.
Hackl: …mit der wir ehrlich gesagt nicht gerechnet hätten.
Wie viele Patente halten Sie?
Hackl: Erema hat 111 Patentfamilien mit über 1.000 Patenten
Es war aber nicht die Anzahl der Patente, sondern eine neue, mit mehreren Patenfamilien abgesicherte Technologie, die Ihnen diese Auszeichnung brachte.
Hackl: Richtig. Eine Kernkomponente unserer Recyclingmaschinen ist die sogenannte Preconditioning Unit, die mit Counter CurrentTechnologie ausgestattet ist. Das bedeutet, die Einbringung des Materials in den Extruder erfolgt entgegen der Fließrichtung des Materialstroms im Extruder. Die Befüllung konnte dadurch deutlich optimiert werden. Der Effekt ist so, wie wenn man an einem Bach sitzt, einen Becher nimmt und ihn entweder in Fließrichtung füllt – dann ist das Gefäß nur teilweise voll – oder man hält den Becher gegen die Fließrichtung ins Wasser – dann ist er die ganze Zeit vollständig gefüllt. Dank dieser Methode können komplexere Materialien bei höheren Temperaturen verarbeitet werden, was zu höhere und stabilerer Qualität des recycelten Granulats führt.
Wie groß ist Ihre Entwicklungsabteilung?
Hackl: Rund 40 Mitarbeiter, aufgeteilt auf mehrere Abteilungen, sorgen dafür, dass wir technologisch an der Spitze stehen. Wir investieren rund neun Prozent unseres Umsatzes in die Entwicklung. Tendenz steigend.
Hatten Sie schon das Vergnügen mit Produktpiraten?
Hackl: Immer wieder. Unser Geschäft ist keine Nische mehr, es gibt mehr Mitbewerber. In Polen, der Türkei, China und Taiwan wurden unsere Maschinen oder Teile davon schon kopiert.
In 107 Ländern stehen Ihre Anlagen. Wer ist ihr Wachmeister, wenn es um Patentverletzungen geht?
Hackl: Mein langjähriger Geschäftsführer-Kollege Klaus Feichtinger ist hier unser Experte und Tüftler. Er überwacht alle Patente selbst. Er hat sich zwar mit Beginn des neuen Geschäftsjahres aus der Geschäftsführung der Erema Group zurückgezogen, bleibt uns mit seiner Erfahrung aber weiterhin als Manager im Bereich IP und neue Technologien erhalten.
Vor einem Jahr haben Sie mal gesagt, dass Sie 2025 die 250 Millionen-Umsatzmarke knacken wollen. Jetzt stehen Sie bei 180 Millionen. Ist das noch realistisch.
Hackl: Ja, das ist unser Ziel.
Sie behaupten, dass die Erema-Technologie das Zeitalter der Industrialisierung im Kunststoffrecycling einläutet. Ist das nicht schon längst der Fall?
Hackl: Da wir ein sehr junger Industriezweig sind, hat der Industrialisierungsgrad noch Potenzial.
Warum ist das so?
Hackl: Die Zusammensetzung des Kunststoffabfalls ist in jedem Land, jeder Region wegen unterschiedlicher Sammelsysteme ebenso unterschiedlich. Unser größter Hebel – an dem wir strategisch arbeiten – ist es also die Wirtschaftlichkeit und Produktionsqualität unserer Anlagen zu verbessern, und so, unabhängiger vom komplexen Inputmaterial, gleichmäßig hohe Qualität beim Output, also bei den recycelten Pellets zu erreichen. So entwickeln wir zum Beispiel gerade eigene Softwarepakete, mit deren Hilfe die Performance unserer Anlagen noch weiter gesteigert werden kann.
Große Maschinenbauer sehen in der Software das beste Differenzierungsmaterial zum Mitbewerb.
Hackl: Das ist auch bei uns definitv der Fall. Auf der kommenden „K-Messe“, der Weltleitmesse für die Kunststoffbranche werden wir dazu ein Novum präsentieren.
Könnte dieses Novum eine Art MMS-System für Kunststoffverarbeiter sein?
Hackl: In diese Richtung wird es gehen. Wir wollen unseren Kunden Werkzeuge in die Hand geben, um Ihre Performance zu verbessern.
Predictive Maintenance also.
Hackl: Details werden wir erst im Oktober auf der Messe verraten. Nur soviel vorab: Wir starten nicht von der grünen Wiese weg. Zwei Pilotkunden konnten damit bereits die Performance Ihrer Anlagen über Wochen und Monate erhöhen.
Bleiben wir beim Thema Software, im erweiterten Sinn der Digitalisierung. Ist denn Pay-per-Use ein Thema für Sie? Wo also Kunden nur noch für die Nutzung der Maschine zahlen.
Hackl: Wer solche Konzepte nicht im Blick behält, wird am Markt langfristig verlieren. Doch im Moment ist das in unserer Branche noch kein Thema.
Wo liegt dann für Sie der größte Nutzen der Digitalisierung?
Hackl: Eigentlich in drei Dingen: Erstens macht die Digitalisierung den Maschinenbau attraktiver für Mitarbeiter. Zweitens können wir intern den Produktions- und Informationsfluss optimieren und drittens – und das ist am wichtigsten – können wir damit die Performance unserer Kunden steigern.
Vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Elisabeth Biedermann.