Maschinensteuerung : Warum die Cloud das Ende der SPS einläuten könnte
Wo geht das hin, wenn IT-Konzerne wie Microsoft und SAP den Schulterschluss mit Steuerungslieferanten wie Beckhoff und Siemens proben. Bosch Rexroth und Phoenix Contact eigene Cloudlösungen realisieren, um die vertikale Vernetzung von der Klemme bis zur Cloud Realität werden zu lassen. Und noch dazu klassische Maschinenbauer wie Trumpf eigene IoT-Plattformen wie Axoom gründen, um auch an den Geschäften mit Produktionsdaten teilhaben zu können. Droht irgendwann die „Battle of the Clouds“? Wird eine heftige Marktbereinigung einen Champion oder mehrere Marktführer küren? Werden Kooperationen den Markt bestimmen? Oder wird eine diversifizierte Nachfrage viele Anbieter mit unterschiedlichen Systemen entstehen lassen? Und vor allem: Wenn der Sensor an die Cloud funkt, wo bleibt da die Steuerung?
Eine große Cloud für alle
Viele Fragen stehen offen, manche Antworten scheinen schon gefunden zu sein. Dass es zu einer Marktbereinigung kommen wird, davon ist Dirk Volkening überzeugt. „Kleine Plattformen, die ihre Nische nicht gefunden haben, werden es schwer haben“, ist der Produktmanager für Cloud Technologien bei Wago überzeugt. Die Entwicklungsgeschwindigkeit der großen Plattformen werde viele von ihnen einfach überrollen. Und eines sei klar: Der Trend der letzten Jahre, ECO-Systeme und Partnerschaften einzugehen, wird sich noch weiter fortsetzen. „Dadurch werden wir der „Big-Cloud“ zwar näher kommen, jedoch halte ich eine einzige Cloud allein aus marktwirtschaftlichen Gründen für unrealistisch und auch nicht erstrebenswert“, so Volkening. Geht es nach ihm sollen Geräte, die Daten in eine Cloud liefern nach wie vor dazu in der Lage sein, mit verschiedenen Cloud-Plattformen Daten auszutauschen.
Der Reiz großer Marktchancen
Jedoch reizt viele das recht junge Geschäft mit der Cloud mit noch unberührten Marktanteilen. Eigene Lösungen sind daher mehr Mittel zum Zweck einer neuen Cash-Cow, scheint es. Dass das eine Marktkonsolidierungen mit sich ziehen wird, „ist nur eine Frage der Zeit“, ist Daniel Reinhardt überzeugt. Durch die Inhomogenität der Anwendungsfälle sei es zwar sehr unwahrscheinlich, dass letztendlich daraus eine einzige Lösung hervorgeht, aber „starke Partnerschaften werden mehr“, so der Produktmanager der IoT-Plattform connyun. Kleinere IoT-Plattformen wie connyun hängen sich lieber an die Großen und ermöglichen Konzernen wie Kuka den Zugang zu einem offenen System, an dem verschiedenen Partner ihre Kompetenzen einbringen können. Eine Zukunft in der sehr eng miteinander kooperiert werden muss. Etwas das wohl auch immer mehr Steuerungshersteller treffen wird. Die Isolation ist vorbei. „Noch können wir die genauen Vorteile, die sich aus einer Steuerung in der Cloud ergeben, nicht absehen“, so Ralf Kölle, Geschäftsführer scitis.io, ein Plattformentwickler für Industrie, Anlagen- und Werkzeugmaschinenbau. „Ich sehe es nicht, dass die Isolation, die die Steuerungshersteller bisher betrieben haben, auch in einer Cloud weitergehen wird.“ Zukünftig wird eine Interaktion miteinander viel stärker gefordert sein.
Platzraubende Steuerungshardware
Genau diese Problematik beleuchten Forschungsvorhaben wie zum Beispiel die Multi-Cloud oder Picasso. Dort wird geklärt, ob eine Anbindung der Steuerungstechnik an schnelle IT-Systeme auch gleichzeitig eine vollständige Integration bedeutet. Ob eben SPS, Motion und CNC nur mehr einige unter vielen Anwendungen auf Cloud-Plattformen sind. Sicher ist: Die zahlreichen Vorteile Cloud-basierter Anwendungen liegen auf der Hand. Zum Beispiel eine sehr hohe Rechenleistung ohne platzraubende Steuerungshardware, die nie völlig ausgenutzt wird und zudem schnell veraltet. Nicht zu vergessen die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation. Gerade bei komplexen Anlagen ist es heute meist problematisch, eine hinreichende Datenbasis für Mehrwertdienste wie Condition Monitoring zu etablieren, um nicht nur Probleme zu erkennen, sondern auch zielführend deren Lösungen zu finden. In der Cloud stehen alle erforderlichen Maschinendaten für Fehlerdiagnosen zur Verfügung, die nach Belieben mit den Daten anderer Maschinen zusammengeführt werden können. Zusammenfassend heißt das: Steuertechniken in der Cloud können aufgebrochen, modularisiert und mit den vielfältigen Möglichkeiten des Cloud-Computing wie serviceorientierte Software-Architekturen beliebig erweitert werden. Klingt gut. Dennoch gibt es einen „Showstopper“
„Die Entwicklungsgeschwindigkeit der großen Plattformen wird viele kleine Anbieter einfach überrollen.“
ls Ende 2013 das BMBF-Projekt „Industrielle Cloud-basierte Steuerungsplattform für eine Produktion mit Cyber-physischen Systemen (Picasso)“ startete, wurde von vielen Seiten ein Einsatz im Werkzeugmaschinenbau als völlig ungeeignet beurteilt. Heute ist das zwar Geschichte, aber manche Bedenken sind geblieben. Diese liegen völlig zu Recht im Bereich der Kommunikation zwischen Cloud und Anlage. Hier sind zwei wesentliche Größen zu unterscheiden: die Lichtgeschwindigkeit und Performance des Netzwerks. Wobei einerseits die Lichtgeschwindigkeit mit der Applikation ein natürliches Limit definiert. Wird beispielsweise eine Zykluszeit von einer Millisekunde benötigt, dann darf die Anwendung höchstens 150 km entfernt vom Server lokalisiert sein. Eine andere wichtige Größe: Die Stabilität des Kommunikationsnetzes. Für einen Demonstrator hat Christian Kirchner bewusst auf keine High-End-Werkzeugmaschine gesetzt, sondern eine typische Montageanlage, die Feldbus-Zykluszeiten von ca. 10 ms genommen. Der Mitarbeiter bei Robert Bosch weiß, dass Picasso damit beweisen konnte, was heute in der Cloud bereits ohne Probleme machbar ist. „Auch Zeiten unterhalb der 10 ms werden zukünftig kein Thema mehr sein“, so Kirchner. Bei einer klassischen Anlage sei dann im Zweifelsfall eher der SPS-Zyklustakt das limitierende Element.
Stabilität durch Ausreißer gefährdet
Die Stabilität der Verbindung kann jedoch durch vereinzelte Ausreißer, die die Übertragung verzögern, durchbrochen werden. Solche Ausreißer können Werkstücke beschädigen oder im schlimmsten Fall die gesamten Anlage zerstören. „Der Erfolg ist eben noch zu einem gewissen Grad prozessabhängig“, sagt Felix Kretschmer, Projektleiter Picasso der ISW Stuttgart. Bei stark regelungsgeführten Prozessen, die deterministisch über die Cloud laufen, würde die Anlage in einen sicheren Zustand fahren, falls ein Datenpaket verzögert ankommt. Das wäre nicht tolerierbar. Aber mit Time-Sensitive Networking (TSN) gibt es schon erste Ansätze, „um auch diese Probleme bald zu lösen“, ist Kretschmer überzeugt.
Mehr Durchgängigkeit, weniger direkte Steuerung
Für viele produzierende Unternehmen ist die IT eigentlich nicht Teil ihrer Kern-DNA, sondern ein Mittel zum Zweck. Dennoch sehen sie hier Ansätze zur Differenzierung am Markt. Die vom Maschinenbauer Trumpf gegründete Tochter Axoom bietet eine digitale Geschäftsplattform für Fertigungsunternehmen und Hersteller. Speerspitze sind die beiden Cloud-Lösungen „Axoom IoT“ für Maschinenhersteller und „Axoom Smart Enterprise“ für produzierende Unternehmen. Der Maschinenhersteller sieht große Chancen bei der Anbindung von Maschinen an die Cloud und knüpft daran die Erwartung größerer Servicemargen. Das heißt, schnellere Reaktionszeiten, verbesserte Funktionalitäten durch Remote-Services oder Remote-Updates u.v.m. Wogegen die Anwender zunächst gar keinen großen Mehrwert in einer reinen Maschinensteuerung aus der Cloud sahen. „Mehrwerte entstehen hier eher durch die Vernetzung der Maschinen, Systeme und Anwender im gesamten Unternehmen. Wobei die Lösung hier natürlich auch Cloud-basiert sein kann“, erklärt es Marc Detmers, Manager bei Axoom. Greifbare Mehrwerte erhalten die Anwender vor allem über die durchgängige horizontale Vernetzung aller Prozesse. Dennoch kennt Detmers die Vorbehalte der Anwender, gerade was die Sicherheit bzw. Eingriffe (Hackerattacken) von außen angehen. Cloud-Lösungen werden deswegen gegenwärtig eher für das Erreichen von Durchgängigkeit in der Systemlandschaft und der Wertschöpfungskette eingesetzt und weniger zur direkten Steuerung der Anlagen.
Der Luxus der Unabhängigkeit
Auf der letztjährigen Hannover Messe war es dann bei Phoenix Contact soweit, der deutsche Automatisierer stieg mit „Proficloud“ ins wolkige Business ein. Proficloud ist eine herstellerunabhängige Lösung für Steuerungen jeglicher Art – „von Steuerungen für den klassischen Maschinenbau über die Gebäudeautomatisierung bis hin zu Steuerungen für urbane Infrastrukturen“, erklärt Arno Martin Fast, Produktmarketing bei Phoenix Contact. Als offene IoT-Plattform bietet diese Cloud alle Möglichkeiten, die Daten von Maschinen und Anlagen weltweit zu erfassen und auszuwerten. Die Cloud-Devices (Koppler, Steuerung, Gateway) sollen es erlauben, ohne zusätzlichen Engineering-Aufwand, Bestandsanlagen sowie neue Fertigungskonzepte zu integrieren. Die Strategie - und damit ist Phoenix Contact nicht allein - liegt auf der Hand: „Mit Proficloud sind wir im Vergleich zu allen Wettbewerbern von Drittanbietern wie Microsoft Azure, IBM Bluemix oder AWS technologisch wie preislich unabhängig“, so Fast. Ein Luxus, der freilich an sehr harte Marktbedingungen geknüpft ist.
Fazit: Einerseits nähern sich die verschiedenen Cloud-Systeme den maschinellen Anlagen zusehends an, wogegen sich die Steuerungstechnik immer mehr von der Hardware löst. Kein Wunder, dass Soft-Master, Soft-SPS und Soft-NCs mit Riesenschritten auf dem Vormarsch sind. Verbinden sich beide Megatrends mit den aktuellen Entwicklungen im Bereich der Kommunikationstechnik wie zum Beispiel TSN und DetNet, so kann eine sinnvolle Basis für Steuerungstechnik aus der Cloud entstehen. Doch eines kann man heute vielleicht schon sagen: Die Geschwindigkeit, mit der sich diese Vision realisieren wird, könnte durchaus zu einer zügigen Konsolidierung des Marktes führen. (eb/og)