Leitbetrieb Tirol : Tirol: Die 4.0-Retrofitter
Über 30 Jahre lang war Hans Reiter für einen Gasmotorenhersteller tätig. Ob im Vorstand oder bis zuletzt jahrzehntelanger Produktionsleiter, der Tiroler hatte alle Positionen durch. Vor drei Jahren dann der Schlussstrich und Reiter verlies den Großbetrieb im Bezirk Schwaz. Zusammen mit seinem langjährigen Kollegen, Franz Stock, wollte der Tiroler noch einmal voll durchstarten: Dieses Mal als Unternehmer. So nahm im April 2013 das Gasmotorenkompetenzzentrum ECI Manufacturing seine operative Tätigkeit auf. Und eins beweisen Reiter und sein Team jetzt schon: Eine Fertigung nach 4.0-Aspekten lässt sich auch mit wenig Budget umsetzen.
Industrie 4.0 muss bedarfsorientiert sein.
Von hochtrabenden Begriffen wie Cyberphysical Systems (CPS) hält Reiter wenig. Für den Tiroler muss Industrie 4.0 ganz klar eine Anforderungen vom Anwender an die Anbieter sein und nicht umgekehrt, „wie es derzeit der Fall zu sein scheint“, so Reiter. Einem bodenständigen, von Kosteneffizienz und Qualitätserfordernissen getriebenen Betrieb sei viel mehr geholfen, wenn dieser wisse, wo er welche Werkzeuge im Einsatz hat und in welchen Produkten er welche Bauteile verbaut hat. Genau bei dieser Prozesstransparenz haben auch die Tiroler ihren Grundstein gelegt. Ihre Fertigung haben sie nämlich komplett digitalisiert. „Wir haben von der Bestellung über die Planung/Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Verwaltung der Lagerbestände und Werkzeuge, Qualitätssicherung alles über ein Produktionssystem (MES) vernetzt“, erklärt der Firmengründer. „Inklusive aktives Eingreifen in Prozesse, um einen Fertigungsprozess möglichst zeitnah zu stabilisieren.“
Gebrauchte Maschinen vernetzen.
Kritiker könnten nun behaupten, einem jungen kleinen Unternehmen, wie ECI fällt so etwas leicht, denn neue Maschinen seien von vornherein schnittstellentechnisch eher darauf ausgerichtet sich zu vernetzen. Diesen Kritikern nimmt Reiter sofort den Wind aus den Segeln, denn all seine Werkzeugmaschinen sind 90er Baujahr. „Wir haben alle Bearbeitungszentren aufwendig mechanisch überholt, damit sie wieder sehr genau produzieren können“, erklärt er. „Die Maschinen selbst, wie auch deren Steuerung haben wir dabei, um zusätzliche Features erweitert.“ Mithilfe einer selbstentwickelten Hardware, der ECI-Box, lassen sich nun auch älteren Maschinen einfach an das Fertigungsnetz anbinden. „Unsere ECI-Box schafft es über einfache digitale und analoge Ein- und Ausgänge bzw. über verschiedenste Bussysteme mit unterschiedlichen Maschinen, Steuerungen und IT-Systemen zu kommunizieren“, erklärt Reiter. Eine Maschine erhalte somit einen Mehrwert bereits innerhalb von Stunden. Relativ einfach können so Maschinen- und Betriebsdaten erfasst, automatisierte CNC Programme übertragen sowie Prozessparameter an der Maschine angepasst werden.
Montage nach Lean Aspekten.
Noch steuern die Tiroler ihre Geschäfte von einer untergemieteten Halle der Firma DAKA aus. „Man könnte fast sagen, wir sind eine Garagenfirma“, scherzt Reiter. Im November letzten Jahres gab es aber bereits den Spatenstich zur neuen Produktionsstätte. Immerhin 3,5 Millionen Euro werden in den neuen Standort investiert. Und so wie das Wachstum der Tiroler voranschreitet, können sie sich das auch leisten. Denn mittlerweile beschäftig ECI Manufacturing über 15 Mitarbeiter. Im Jahr 2014 erzielten sie einen Umsatz bereits über den Erwartungen. „Tendenz klar steigend“, prognostiziert der bodenständige Unternehmensgründer.
Mitte des Jahres geht es dann in die neuen Hallen. Von vornherein wurde dort die Montagelinie nach Lean Aspekten geplant, um mit minimalen Umlaufbeständen und Durchlaufzeiten optimale Arbeitsabläufe zu erhalten. Der nächste Schritt: „Unsere Maschinen in ein Automatisierungsprojekt zu integrieren“, erklärt Reiter. So werden vier neue Maschinen (wieder Baujahr 90er Jahre) mit einer bestehenden Palettenautomatisierung ausgestattet werden. Modernste Leit- und Steuertechnik all inklusive. „Dadurch ist es uns dann möglich flexibel von Losgröße 1 bis zu Großserienfertigung alle Bedürfnisse abdecken zu können“, so der Schwazer. Vor einem Monat wurde dafür eine neue Abteilung gegründet. ECI Mechatronic Systems unter der Leitung von Roland Larch konzentriert sich speziell auf die Aufarbeitung alter Gebrauchtmaschinen nach mechatronischen Aspekten. Mit viel Kompetenz und äußerst moderaten Mitteln retrofitten die Tiroler mittlerweile jede Maschine damit zu einem echten 4.0-Prachtstück. (EB)
Kurz und Knackig:
Das versteht Hans Reiter unter Industrie 4.0
Industrie 4.0 ist ein Bedarf der fertigenden Industrie und muss eine Anforderung vom Anwender an die Anbieter sein und nicht umgekehrt, wie es derzeit der Fall zu sein scheint.
Was ist für Sie das Unwort des Jahres in Zusammenhang mit Industrie 4.0?
Cyberphysical Systems: Ein pompöser Ausdruck. Aus meiner Sicht in riskanter Nähe zum CIM Boom der 90er Jahre, der längst Vergangenheit ist.