Servitization : „Servitization liegt in der Natur der KMU“
FACTORY: Herr Scheuber, Sie propagieren Servitization als Weg zu neuen Umsatz-Potenzialen. Mit Verlaub: ein weiteres Buzzword?
Ulrich Scheuber: Nein, Servitization ist grundlegend viel mehr als Service. Wir verstehen darunter Produkt-Service-Systeme, also die Erweiterung der Produkte durch zugehörige Services. So entstehen komplette Lösungen, die noch dazu laufend an sich verändernde Anforderungen des Kunden adaptiert werden können.
Sie sprechen von neuen Geschäftsmodellen?
Scheuber: Die können tatsächlich am Ende der Entwicklung stehen. Maschinenbauer wie Trumpf oder Heidelberger Druckmaschinen sind hier schon weit vorgedrungen. Die verkaufen immer noch Maschinen, aber häufig auch das, was die Maschinen leisten oder produzieren. Der Übergang vom Kundenservice zum kompletten Servitization-Modell ist aber fließend, hier kann man nicht eines Tages einen Schalter umlegen. Das ist kein punktueller Übergang, es ist ein Marathon.
Die Idee ist ja nicht ganz neu. Rolls-Royce wird etwa immer wieder als Beispiel genannt, die machen das schon lange.
Scheuber: Wir sprechen seit mindestens 20 Jahren von Servitization, das stimmt. Aber ich denke, dass der Druck in den letzten Jahren steigt. Einerseits werden die Märkte und die Produkte immer vergleichbarer. Deutsche und Österreicher sind nicht die einzigen, die Maschinen bauen können – sehen Sie beispielsweise nach China. Andererseits kommen immer mehr Wettbewerber aus dem Digitalisierungs-Umfeld, die zum Beispiel auch Services für Maschinen bieten.
In der IT haben wir das bereits erlebt, hier ist die Hardware in vielen Bereichen austauschbar. Im Maschinenbau ist es nicht ganz so weit gekommen, aber im Prinzip geschieht hier Ähnliches. Drittens würde ich den Einfluss des Nachhaltigkeits-Gedankens nicht unterschätzen: Permanent Assets auszutauschen, ist damit nicht vereinbar.
Sie sprechen von einem Marathon. Wie startet man den?
Scheuber: Indem man Service in das Zentrum des Unternehmens stellt. Das mag banal klingen, aber in vielen Firmen ist Service immer noch ein Stiefkind, eine ‚Abteilung', die oft ein Schattendasein führt. Es gilt zu begreifen, wie das Geschäftsmodell des Kunden im Detail aussieht, vor welchen Herausforderungen er steht, wie genau er die Maschine oder Anlage nutzt und welche Services er bereits in Anspruch nimmt.
Den Servicegedanken wirklich in die Organisation zu tragen, ist vielleicht die größte Herausforderung, die sich stellt. Doch erst wenn man das geschafft hat, kann man sinnvoll darüber nachdenken, welche neuen Services man mit dem eigenen Produkt verknüpfen kann. Service und Produkt müssen ja so gekoppelt werden, dass sie wirklich zusammenpassen.
Servitization verändert aber wohl mehr als den Stellenwert des Servicegedankens?
Scheuber: Es ist ein klassischer Change-Prozess, der im Grunde alles verändert. Etwa die Frage der Finanzierung: Wer eine Anlage produziert, tut das nur im Wissen, dass er sie auch verkaufen kann, und der erste Schritt für den Hersteller ist, sich das nötige Geld zu besorgen.
Folgt man hier einem neuen Geschäftsmodell, bedarf es völlig neuer Finanzierungskonzepte, da man nun ja monatlich bezahlt wird – was am Ende übrigens durchaus in Summe mehr ergeben kann. Sie müssen auch das Thema der Laufzeiten neu betrachten, das Thema der Verfügbarkeit. All das muss zusammenspielen, das Geschäftsmodell alleine hilft nicht weiter.
Tun sich Ihrer Meinung nach große Organisationen mit diesem Thema leichter? Beziehungsweise Unternehmen mit hohem Digitalisierungsgrad?
Scheuber: Die große Herausforderung ist doch, den Kunden wirklich gut zu kennen. Und ich sehe nicht, warum ein kleines oder mittelgroßes Unternehmen hier im Nachteil sein soll. KMU werden vermutlich nicht im ersten Schritt große Digitalisierungsstrategien fahren, aber sie sind meiner Meinung nach oftmals sogar besser in der Lage, die wahren Bedürfnisse und Anforderungen ihrer Kunden zu kennen, zu verstehen und auch zu bedienen. Ich würde fast sagen, das Thema Servitization liegt in Ihrer Natur.
Ich denke auch nicht, dass eine fortgeschrittene Digitalisierung die Voraussetzung für das Thema Servitization ist. Gleichwohl braucht es eine gewisse digitale Offenheit, da ohne diese eine der drei erforderlichen Säulen, nämlich die Technologie, schwer zu bedienen sein wird. In Summe bin ich aber davon überzeugt, dass auch mit vergleichbar einfachen Mitteln die ersten Schritte gut zu bewältigen sind, da die tatsächlichen Herausforderungen oft weniger glamourös sind, als viele zunächst denken.
Der klassische mittelständische Geschäftsführer-Eigentümer argumentiert aber meist vor allem mit Qualität.
Scheuber: Ja, der „deutsche Ingenieur“, der stolz ist auf sein Produkt. Das soll er ja auch bleiben, die hohe Qualität des Maschinenbaus in Deutschland, Österreich oder der Schweiz bleibt natürlich ein zentrales Argument. Das darf aber nicht daran hindern, den Dienstleistungsgedanken hinzuzugewinnen.
Muss Servitization nicht auch das Verhältnis zwischen Hersteller und Kunde verändern?
Scheuber: Man kann der Lieferant sein, der beim Lieferanteneingang wartet. Oder man ist der Partner, dem vorne der rote Teppich ausgerollt wird und der gemeinsam mit dem Kunden dessen Geschäftsmodell betreibt. Servitization zieht eine dramatische Kundenbindung nach sich. Der Gedanke ‚Ich weiß am besten, was du brauchst‘ steht dem jedenfalls entgegen.
Zur Person
Ulrich Scheuber ist Industry Director bei Hitachi Solutions und damit unter anderem branchenübergreifend für die Themen Service und Servitization in der DACH-Region verantwortlich.