Interview : Schlüsseltechnologien für den Industriestandort absichern
Frau Mitsch, wir führen das Interview ziemlich genau 100 Tage nach Ihrem „Amtsantritt“ im Jänner 2021. Starten wir mit einer Sportreporterfrage: Wie geht es Ihnen?
Marion Mitsch: Gut, danke! Es ist natürlich eine turbulente Zeit, nicht nur für die Elektro und Elektronik-Industrie. Die Pandemie begleitet uns seit über einem Jahr, das ist eine herausfordernde Situation. Ich hoffe sehr, dass wir im Herbst wieder reisen können und es wieder möglich ist, unsere Mitgliedsbetriebe dann endlich wieder auch persönlich besuchen zu können.
INDUSTRIESTANDORT ABSICHERN
Sie vertreten 300 Unternehmen der Elektro- und Elektronik-Industrie: Was ist für sie der gemeinsame Nenner? Was sind die Probleme, die alle gleichermaßen betreffen?
Mitsch: Es geht für uns alle um die Absicherung des Standorts. Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass die Produktion in Österreich zukunftsfit ist. Gerade durch die Pandemie haben wir die globalen Abhängigkeiten von den Lieferketten erkannt und die Notwendigkeit, technologische Souveränität in Europa zu halten. Für uns alle geht es darum, Forschung und Entwicklung zu fördern, da geht es in unserer Sparte etwa um die IPCEI-Projekte, an denen sich unserer Mitgliedsbetriebe beteiligen. Zur Standortsicherung gehören auch Lösungen für den Fachkräftemangel. Hier geht es darum, welche Berufsfelder zukünftig gefragt sind, und eine entsprechende Anpassung des Ausbildungsangebots. Denn nur mit dem richtigen Fachkräfteangebot kann die Produktion in Österreich aufrechterhalten werden.
Beginnen wir gleich mit IPCEI, das für „Important Projects of Common European Interest“ steht und relativ wenig bekannt ist: Worum geht es dabei?
Mitsch: IPCEI ist ein europäisches Instrument, um Schlüsseltechnologien für den Industriestandort zu fördern und in Europa zu halten. Dieser Fördertopf wurde wettbewerbsrechtlich sehr sauber aufgesetzt: Jedes Unternehmen, das hier teilhaben möchte, muss viele Voraussetzungen erfüllen. Es muss bei der Technologie einen echten Engpass geben, es müssen Alleinstellungsmerkmale nachgewiesen werden sowie der essenzielle Bedarf, den Europa daran haben sollte. Dahinter ist ein komplexes Procedere, das für die Unternehmen recht aufwändig ist, aber eben sicherstellt, dass keine Marktverzerrung durch die Förderung eines im Wettbewerb stehenden Produkts stattfindet.
Nun gibt es drei Themen, von denen zwei zur Elektronik und Elektrotechnik zu zählen sind: Mikroelektronik und Batteriezellen laufen schon, Wasserstoff ist in Ausarbeitung. Wer aus Österreich ist bisher daran beteiligt?
Mitsch: Beim „IPCEI Mikroelektronik 1“, also dem ersten Förderungsdurchlauf, der 2018 gestartet wurde und zu dem Österreich im März diesen Jahres nach intensiven Bemühungen des FEEI nun nachträglich beitreten konnte, sind es drei: NXP, Infineon und AT&S. Dabei ging es um Themen wie energieeffiziente Chips, Leistungshalbleiter, Smart Sensors, optische Komponenten und Verbundmaterialien. Beim soeben startenden „IPCEI Mikroelektronik 2“, bei dem die Hearings laufen, haben aber schon an die 20 österreichische Elektronik-Hersteller Interesse bekundet!
Geht es bei IPCEI um ein „Reshoring“, also um ein Zurückholen von Produktionsschritten aus Asien nach Europa, oder um eine Absicherung bestehender Standorte?
Mitsch: Es geht definitiv um ein Absichern und ein Weiterentwickeln von bestehendem Know-how in Schlüsseltechnologien, ein Zurückholen nach Europa wird nicht mehr möglich sein. Mit IPCEI soll zukünftige Marktverzerrung verhindert werden: China hat seine Industrie in den letzten Jahren mit sehr hohen staatlichen Förderungen subventioniert, da gingen Milliarden in F&E – mit den daraus entstehenden Produkten überrollen die chinesischen Hersteller Europa einfach. Bei zukünftigen Technologien soll das nicht mehr passieren. Sie haben Wasserstoff angesprochen, da wissen wir nicht genau, wo es hingeht – aber es ist eine Schlüsseltechnologie, die wir in Europa brauchen.
DAUERTHEMA FACHKRÄFTEMANGEL
Sichtwort Aus- und Weiterbildung: Das ist ein Dauerbrenner, es gibt kaum eine Branche ohne Nachwuchs- und Facharbeiterprobleme. Was fehlt aus Ihrer Sicht?
Mitsch: Es fehlt an allen Ecken und Enden. Wenn Sie nur das Beispiel Infineon hernehmen, die haben in Kärnten viel investiert und brauchen entsprechend viele neue Mitarbeiter – nur wo bekommt man 400 Fachkräfte für Elektronik her? Der Mangel ist nicht so sehr bei den akademisch ausgebildeten Kräften, und auch nicht bei den Mitarbeitern mit Lehrabschluss: Es fehlt dazwischen, die typischen HTL- oder Colleg-Absolventen, die zu den handwerklichen Fähigkeiten einen Background in mathematischem Denken und Informatik haben. Da brauchen wir neue Bildungskonzepte, wir müssen uns mit den Inhalten beschäftigen, die morgen am Arbeitsmarkt benötigt werden.
Die Industrie bemüht sich sehr, entsprechend ausgebildete Bewerber aus dem Ausland nach Österreich zu bringen. Kann das eine Lösung sein?
Mitsch: Die Industrie ist stets offen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insbesondere aus dem europäischen Umfeld. In den großen Unternehmen arbeiten jetzt schon zahllose Nationalitäten neben und miteinander, da gibt es Erfahrung damit, mit Sprachbarrieren und Mentalitätsunterschieden umzugehen.
Im Vorjahr gab es das Problem, dass die FH Technikum Wien 1.500 Studieninteressierte abweisen musste, weil einfach nicht genug Studienplätze zur Verfügung standen. Da wurde eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben gerufen, über die 8 zusätzliche Plätze finanziert werden konnten. Ist das ein alternativer Lösungsansatz, der für Sie Sinn macht?
Mitsch: Das ist eine schwierige Frage, und nachdem es dazu auch keine Position des Verbands gibt, werde ich die ganz persönlich beantworten: Das ist ein sehr „amerikanischer“ Ansatz, wir haben da aber doch andere Strukturen und an den Unis oder FHs ein sehr gutes Angebot. Besser ist es, wenn die Ausbildungsstätten gemeinsam vernetzte Prozesse ins Leben rufen. Ein Über- oder Unterangebot an Studienplätzen ist meist ein regionales Problem, wenn wir da Anreize für mehr Mobilität bei den Studierenden schaffen, so wie wir es beispielsweise in einem Projekt zwischen der FH Technikum Wien und der FH Kärnten geschafft haben, ist das zielführender.
DIGITALISIERUNG ALS HILFSMITTEL
Dass die Pandemie einen Digitalisierungsschub gebracht hat, ist eine Binsenweisheit. Sind die FEEI-Mitgliedsbetriebe Profiteure oder selbst Leidtragende der Corona-Krise?
Mitsch: Eindeutig Profiteure. Es geht ja nicht nur in der persönlichen oder industriellen Kommunikation in Richtung digitaler Prozesse. Auch bei allem was mit dem Klimawandel zusammenhängt, bieten unsere Industrien entsprechende Werkzeuge und Hilfsmittel – etwa im Bereich Sensorik, Mess- und Steuerungstechnik. Die Digitalisierung wird einen großen Beitrag dazu leisten, dieses derzeit größte gesellschaftliche Problem zu lösen.
"WIR WOLLEN JA KEINE WEGWERFGESELLSCHAFT"
Klima- und Umweltfragen sind ein Thema, bei dem Sie viel Erfahrung haben. Sie waren vor dem FEEI lange bei der UFH Holding, die sich mit der Sammlung und Verwertung von Elektro-Altgeräten beschäftigt. Ist Österreich da auf einem guten Weg?
Mitsch: Ja. Wir haben ein sehr hohes Niveau, die Sammlungs- und Verwertungsquote ist schon alleine wegen der hohen gesetzlichen Anforderungen vorbildhaft.
Ein Thema, mit dem insbesondere industrielle Anwender von elektronischen Komponenten immer mehr zu tun haben, ist das Obsoleszenz-Management. Häufig wird fehlende Zukunfts- und Planungssicherheit, aber auch Qualitätsmängel bei den Produkten beklagt. Wie stehen Sie als Lieferanten-Vereinigung dazu?
Mitsch: Die österreichischen Hersteller stehen gerade bei der Elektronik für qualitativ hochwertige Produkte. Sehr oft ist es eine Kostenfrage auf Anwenderseite: Wenn man nicht von einem europäischen Hersteller bezieht, sondern Komponenten deutlich billiger aus Asien bezieht, darf man sich nicht wundern, wenn diese eben keine 10 oder 15 Jahre halten. Das ist natürlich auch ein politisches Thema, wir wollen ja keine Wegwerfgesellschaft. Am besten ist der Abfall, der gar nicht erst entsteht. Aber ebenso gehört es dazu, wiederaufbereitetes Material als Sekundär-Rohstoff zu verwenden und so die Recycling-Quote zu steigern.
EINHEITLICHE REGELUNG IN KLIMAFRAGE, NATIONALE LÖSUNG BEI NETZABDECKUNG
Wie stehen Sie zur CO2-Bepreisung, die als Schlüssel für die Klimafrage gilt, aber in der produzierenden Industrie umstritten ist?
Mitsch: Da möchte ich unseren Obmann zitieren, der unlängst in einem Interview gesagt hat, dass er dem grundsätzlich offen gegenübersteht – aber mit Augenmaß. Wolfgang Hesoun betont, dass es keinen Alleingang Österreichs in dieser Frage geben darf, sondern dass es ein gesamteuropäisches Konzept braucht, um als Standort nicht ins Hintertreffen zu geraten. Ideal wäre natürlich eine weltweit einheitliche Regelung. In jedem Fall dürfen wir nicht strenger sein als vergleichbare Länder, sonst sind die Produkte der heimischen Industrie im internationalen Wettbewerb benachteiligt.
Beim 5G-Ausbau verfolgt Österreich die Strategie einer flächendeckende Netzabdeckung, während in Deutschland die sogenannten Campus-Netze in der Industrie stärker forciert werden. Halten Sie Österreichs Weg für richtig?
Mitsch: Diese Strategie wird von uns unterstützt, denn wir brauchen gut ausgebaute Netze in allen Regionen. Trotzdem braucht die Industrie exklusive Frequenzen um ähnlich wie in Deutschland eigene Dienst, wie zum Beispiel Campus-Netze, anbieten zu können.
AUSBLICK
Wie wird die Branche durch die Corona-Krise kommen?
Mitsch: Wir blicken optimistisch in die Zukunft, aber wir dürfen nicht vergessen, dass auch die Elektro- und Elektronikbranche unter der Krise gelitten hat und nach wie vor leidet. Was die Überwindung der Pandemie anbelangt haben wir Forderungen für den „Weg aus der Krise“, der vor allem auf Planbarkeit pocht – eine klare Impfstrategie, Verlängerung der Kurzarbeit, Investitionsanreize, einheitliche Reisebestimmungen in Europa, und nicht zuletzt Eigenkapitalstärkung für die Zulieferindustrie, speziell die kleineren Betriebe, damit unsere Lieferketten im Inland auch in Zukunft aufrecht bleiben. Der Aufschwung wird kommen, aber die Folgen der Krise werden uns noch lange beschäftigen.
Ein Ausblick auf die Zukunft: Welche Themen werden für Sie als FEEI wichtiger werden, als sie es heute sind?
Mitsch: Das ist vor allem das Energiethema. Ich denke nur an das EAG-Gesetz, das demnächst verabschiedet werden wird und einen großen Markt eröffnen wird. Dazu noch E-Mobilität, und generell alle Fragen rund um die Klimapolitik. Da haben wir die Lösungen, daher werden wir uns noch stärker einbringen.