Oberösterreich : Reifegradmodell Industrie 4.0: Was die ersten Testkandidaten sagen
Um im Wettbewerb weiter bestehen zu können, sind Advanced Manufacturing und die nachhaltige Produktionsoptimierung für jedes Unternehmen essenzielle Bestandteile geworden. Zur Messung dieser Industrie 4.0-Reife hat der Mechatronik-Cluster der Standortagentur Business Upper Austria gemeinsam mit dem Institut für Intelligente Produktion der FH-OÖ Campus Steyr das Reifegradmodell Industrie 4.0 (RGM) entwickelt.
Maßgeschneiderter Fahrplan zu Unternehmensoptimierung
Bei diesem Modell wird anhand der Dimensionen Daten, Intelligenz und Digitale Transformation der Status quo eines Unternehmens in Bezug auf Industrie 4.0 gemessen. Ein strukturierter Prozess unterstützt die Firmen, Verbesserungspotenziale zu finden und diese zu realisieren. Neben operativen Unternehmensbereichen wie Produktion, Vertrieb oder Planung, lassen sich mit dem Modell auch anstehende Projekte bzw. unternehmensstrategische Maßnahmen auf ihr Potenzial untersuchen und bewerten. Ein individueller auf die Bedarfe maßgeschneiderter Fahrplan zur Unternehmensoptimierung lässt sich daraus ableiten und erstellen.
Erstmals haben im Projekt „KoReMoAn“ nun drei Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen das RGM gemeinsam angewendet: Der Tischlereibetrieb Lidauer aus Scharnstein, der Elektronikspezialist Melecs aus Lenzing und die Maschinenfabrik Albert aus Gampern. „Damit haben wir gezeigt, dass das Reifegradmodell unabhängig von Unternehmensgröße und Branche universell einsetzbar ist“, freut sich Elmar Paireder, Manager des Mechatronik-Clusters.
Reifegradmodell verschafft guten Überblick
Unternehmensberater Herbert Furch ist Certified Digital Consultant und hat im Kooperationsprojekt „KoReMoAn“ des Mechatronik-Clusters einen Tischlerbetrieb, einen Maschinenbauer und ein Elektronik-Unternehmen bei der Durchführung des Reifegradmodells begleitet. „Das Modell ist für die Ermittlung des digitalen Reifegrades von Ablauf-Prozessen in einem Unternehmen sehr gut geeignet, weil man durch die Fragen bei den Interviews viele Kenntnisse über die Prozesse im Unternehmen sehr detailliert bekommt“, erklärt Furch. „Obwohl wir nur ein bis zwei Applikationsfelder (Ablaufprozesse wie z.B. Produktion, Logistik, Einkauf) je Unternehmen untersuchten, gewannen wir einen guten Überblick über das gesamte Unternehmen. Da man für einen Träger meistens mehrere Interviewpartner hat, lassen sich die Träger auch sehr gut bewerten und die erforderlichen Maßnahmen finden, die für die Verbesserungen erforderlich sind.“
Wie die beteiligten Unternehmen den Prozess erlebt haben
„Wir gehen ganz konkret bereits die Systemanbindung zu unseren Hauptlieferanten an“, berichtet Carmen Lidauer-Sparber, Geschäftsführerin der Tischlerei Lidauer. Selbst bei Melecs, wo Digitalisierung bereits ein integraler Bestandteil der Produktion ist, wurde Verbesserungspotenzial erkannt. „Bei der Angebotserstellung haben wir einen Bedarf festgestellt, der gleich mit einem neuen Softwaretool gedeckt wurde“, sagt Niederlassungsleiter Werner Haas. Auch bei der Maschinenfabrik Albert hat man schon ein konkretes Ziel vor Augen: „Wir wollen auch in der Produktion ein Shop Floor Management einführen und kombinieren das mit einer umfassenden, innovativen Maschinendatenerfassung“, so Geschäftsführer Martin Kirchmaier.
Der Hauptnutzen für die Beteiligten
Stark profitiert haben alle drei Beteiligten von der unternehmensübergreifenden Kooperation. Der Hauptnutzen: Viele Herangehensweisen aus einer anderen Branche sind auch für das eigene Unternehmen umsetzbar. „Die Arbeitsweise von branchenfremden Unternehmen bringt im positiven Sinn Überraschungen und neue Sichtweisen, die die eigenen Ideen beeinflussen“, kann Werner Haas den unternehmensübergreifenden Zugang im Cluster-Kooperationsprojekt weiterempfehlen. „Im Sinn von Kaizen Management lernen wir von den Besten. Ein Benchmark mit branchenfremden Unternehmen – zB in den Bereichen Logistik oder Einkauf – ist für uns interessant“, pflichtet Martin Kirchmaier bei.
Durch das ausgewogene Verhältnis von Gemeinsamkeiten und Unterschieden ist das voneinander Lernen besonders ausgeprägt. „Die Gemeinsamkeiten im strukturellen, organisatorischen Aufbau ergeben auf dieser Ebene ähnliche Problemstellungen“, weiß Carmen Lidauer-Sparber. Diese Themen gemeinsam anzugehen, ist daher höchst effizient und spricht für den kooperativen Ansatz.
HR-Reifegradmodell legt Basis für Digitalisierungsprozesse
„Die Einstellung der Mitarbeiter zum Thema Digitalisierung war in den drei beteiligten Unternehmen immer positiv. Sie haben konstruktive Ideen und Vorschläge eingebracht – auch, weil sie in den Prozess voll eingebunden waren“, gibt Berater Herbert Furch eine wichtige Erkenntnis wieder. Der Schlüssel zu einer erfolgreichen digitalen Transformation liegt bei den Mitarbeitern. Genau hier setzt auch ein neues Angebot der oö. Standortagentur Business Upper Austria an: Gemeinsam mit dem Institut für Arbeitsforschung und Arbeitspolitik der Johannes-Kepler-Universität Linz hat das Netzwerk Humanressourcen ein Modell zur Messung der Individuellen Reife des HR-Systems eines Unternehmens in Bezug auf Industrie 4.0 entwickelt. Informationen dazu gibt es bei Ronald Mitterndorfer, Projektmanager im Netzwerk Humanressourcen. Kontakt: ronald.mitterndorfer@biz-up.at
So geht’s: In vier Schritten zum Erfolg
Schritt 1: Die Anwendung des Reifegradmodells im Unternehmen beginnt mit einem Start-Workshop, bei dem das Bewertungsmodell und die Vorgehensweise vorgestellt werden. Die Präsentation der unternehmenseigenen Strategie und Ziele bildet dabei die Basis. Des Weiteren werden sogenannte Applikationsfelder (zB: eine Abteilung oder ein Prozess), Träger (ein Applikationsfeld wird in mehrere Träger unterteilt) und Interviewpartner ausgewählt.
Schritt 2: Anschließend werden mittels strukturierter Interviews die Applikationsfelder und Träger analysiert, sodass der Ist-Zustand des Unternehmens bewertet werden kann. Die Interviews bilden im gesamten Modell die zentrale Phase, da aus diesen Erkenntnissen die weiteren Handlungsempfehlungen und Vorgehensweisen abgeleitet werden.
Schritt 3: Anhand der Strategie, der Ziele, der Interviews und der im Modell zur Verfügung gestellten Referenztabellen lassen sich Potenziale identifizieren, die zu einer verbesserten Industrie 4.0-Reife führen. Auf Basis der gewonnenen Informationen werden Verbesserungs- und Projektvorschläge erarbeitet und der Soll-Reifegrad bestimmt.
Schritt 4: Im Ergebnisworkshop werden die Ergebnisse der Reifegradbewertung den Unternehmensvertretern präsentiert und mit den Teilnehmern besprochen