Logistik : Pick by Robot
Frederik Brantner hat eine Meinung die viel Kritik mit sich bringen kann. Der Geschäftsführer von Magazino in München ist überzeugt, dass Roboter uns Menschen bald überholen. „Bei der jetzigen technischen Entwicklung werden Roboter ihre menschlichen Kollegen leistungsmäßig bald überholen“, ist Brantner überzeugt. Dabei spielt der Pro-Roboter-Mann auf ein besonderes Einsatzfeld an: Pick and Place. Übersetzt nehmen und absetzen. Die Münchner beschäftigen sich mit Entwicklung und Implementierung von Robotern überall dort, wo es darum geht, den Menschen bei wiederholenden Tätigkeiten zu unterstützen. „Kollege Roboter“, wie ihn Branchenkenner gerne nennen, betritt gerade bei Lagerbetreibern und Logistikunternehmen immer öfter die Bühne. Dort übernimmt er Jobs für die er geradezu prädestiniert ist.
Amazon Robotics
Mit seiner Überzeugung ist Brandtner nicht allein. So lässt der globale E-Commerce-Akteur Amazon seit längerem Roboter werken. Die Marke Eigenbau, besser gesagt Amazon Robotics, sorg in den 109 Logistikzentren weltweit für Traumwerte bei der Umschlagshäufigkeit. Dank Roboter lassen sich in den Logistikzentren nicht nur um 50 Prozent mehr Waren lagern, „sondern wird auch die Verarbeitungszeit für die bestellten Produkte von teilweise mehreren Stunden auf nur wenige Minuten reduziert“, schwärmt Roy Perticucci, Vizepräsident von Amazon Europa.
Halbmarathon pro Tag
Gerade repetitive Tätigkeiten können von Maschinen permanent ohne Unterbrechung ausgeführt werden. Kollege Roboter ist besonders dort gern gesehen, wo einzelne, individuelle Objekte und keine ganzen Ladungsträger kommissioniert werden müssen. Und wo Los-Größen immer gegen eins tendieren und wo Gegenstände nicht zu klein (Schrauben) oder zu groß (Kühlschrank) oder zu komplex (Fahrrad) sind. Bevor Kollege Roboter zu werken beginnt, muss sein Job genau definiert werden und spielt besonders die Navigation im Lager, die Enge der Regalgänge, die offene und oftmals komplexe Umgebung einer Lagerhalle eine entscheidende Rolle. Bisherige Systeme wie beispielsweise Pick-by-light oder Pick-by-Voice assistieren den menschlichen Lagerarbeiter indem sie ihn bei den Kommissionierschritten „Suchen“ und „Identifizieren“ unterstützen.
Doch der Mensch ist ein Mensch, wird müde, schwächelt körperlich in der Produktivität. Schon heute legen menschliche Kommissionäre in Versandzentren in 14-Stunden-Schichten locker 28 Kilometer pro Tag zurück. Roboter werden anfangs sicherlich keine so große Auswahl an Gegenständen greifen können, doch kann Kollege Roboter mit einigen Vorteilen gegenüber seinem menschlichen Pedant punkten.
Fehler um die Hälfte reduzieren
Mit einem optimalen Akku-Management arbeitet er rastlos so lange es der Anwender will, Zuschläge für Nacht-, Wochenend- oder Feiertagsarbeit begehrt er nicht. Die Fehlerquote wird enorm reduziert, weil er permanent technisch in Top-Form ist. Zahlen sprechen für sich: „Menschliche Laufwege und die Fehlerquote werden dank Roboter um 50 Prozent reduziert, die Produktivität steigt um 25 Prozent und der Flächenbedarf im Logistikbereich lässt sich ebenfalls um 25 Prozent verringern“, erklärt Harald Bergermann, Verkaufsmanager bei Grenzebach Maschinenbau in Deutschland.
Bergermann und sein Team haben den Roboter „Carrys“ entwickelt, mit dem mobile Regale unterfahren, angehoben und automatisch zur nächsten Pick-Station und nach der Entnahme von Artikeln wieder zurück ins Lager transportiert werden. Unterschiedliche Regaltypen stellen sicher, dass verschiedenartigste Artikel platzsparend und sicher gelagert werden. Die Regale sind in ihrer Aufteilung völlig variabel und können Artikel verschiedener Abmessungen und Gewichte und auch hängende Konfektion lagern. Grenzebach verspricht mit seinem Carrys-System beim Kommissionieren eine Ressourceneinsparung von bis zu 70 Prozent gegenüber konventionellen Lösungen.
Roboter löst Mensch am Kommissioniertisch ab
Egal in welchem Bereich, sei es E-Commerce oder auch die Intralogistik im industriellen Bereich, überall braucht man am Ende ein einzelnes Objekt und keine ganze Palette. Die Münchner Magazino hat dafür seinen intelligenten Roboter Toru auf Lager: Der mobile, wahrnehmungsgesteuerte Roboter ermöglicht die genaue Vermessung und Erkennung von Objekten mittels 2D- und 3D-Kameras sowie den sicheren Griff auf das einzelne Produkt. Mit dem automatisierten stückgenauen Handling wird eine der bedeutendsten Lücken in der Automatisierung geschlossen.
Der Fokus: Der Roboter löst den Menschen am Kommissioniertisch ab, weil das Picking vollständig automatisch erfolgt. Das Stückgut wird direkt von einem mobilen Regalroboter identifiziert, sicher gegriffen und schließlich an seinem Bestimmungsort abgelegt, also ganz ohne menschliches Zutun. Toru, der Name kommt aus dem Japanischen und bedeutet „greifen“, funktioniert auf Basis eines Stereomessverfahrens zur effizienten Generierung einer 3D-Punktewolke. Die Position eines Objekts im Raum kann so exakt bestimmt werden. Zusätzlich wird eine 2D- Kamera eingesetzt, die sogenannte Feature-Punkte erkennt. Feature-Punkte sind markante Punkte im Bild wie zum Beispiel Kanten und Ecken. Durch die Speicherung der Punkte in einer Datenbank wird eine Wiedererkennung von Objekten auch bei einer veränderten Position und Orientierung des Objekts ermöglicht, indem die aktuelle Aufnahme mit den gespeicherten Punkten abgeglichen wird. In Kombination mit der präzisen Greiftechnik wird der sichere Zugriff auf das Objekt ermöglicht.
Der Roboter am roten Arbeitsplatz
Parallel mit dem Mensch arbeitet auch der vor kurzem auf dem Markt gebrachte Roboter CR-35iA des japanischen Roboterherstellers Fanuc. Das Gerät eignet sich besonders für Jobs an sogenannten „roten Arbeitsplatzen“, wie Thomas Eder, Geschäftsführer von Fanuc Austria sie nennt. „Das sind Tätigkeiten, die für Menschen auf Dauer sehr belastend sind und hier besser ein Roboter am Platz ist.“ Beim Zusammenarbeiten von Roboter und Mensch kommt es beim Kommissionieren auf die Sicherheit für das Bedienpersonal an.
Roboter handelt, Mensch sortiert
CR-35iA ist eigenen Angaben zufolge eine Weltneuheit eignet sich für den Intralogistikbereich. Der Roboter kann Partien bis 35 kg heben und macht das Handling, der Arbeiter daneben erledigt die Sortierarbeit. Beispiel: Der Roboter holt KTL-Boxen aus dem Regal und stellt sie dem Arbeiter bereit, der die Boxen belädt. Danach stellt der Roboter sie wieder in das definierte Regal. Das Gerät ist sensibel programmiert, es braucht keine Schutzzäune zwischen Mensch und Roboter. Spürt der Roboter ein Hindernis, bleibt er stehen und startet erst wieder auf Knopfdruck. „Unsere Weltneuheit ist ein idealer Einstieg, Kommissioneranlagen oder Verpackungsstationen mit geringem Aufwand zu automatisieren“, betont Eder, der sich über kommende Anfragen aus der Industrie nach diesem neuen Gerät zufrieden zeigt. Es ist vor allem die Automobilindustrie, für die Fanuc seit 25 Jahren Roboter liefert. „Getrieben wird die Roboterisierung von der Betriebswirtschaft: Senkung der Produktions- und Standortkosten bei gleichzeitiger Steigerung der Zuverlässigkeit und Qualität in der Intralogistik“, weiß Eder aus der täglichen Praxis.