Strategie : Novomatic: Wie digitalisiert ein Glücksspielkonzern?
FACTORY: Herr Huber, wie digitalisiert ein Glücksspielkonzern, dessen DNA eigentlich schon digital ist?
Markus Huber: Novomatic nimmt heute in vielen Bereichen eine Vorreiterrolle ein. Durchgängig digitale Produkte haben wir schon lange im Programm. In Zukunft wollen wir uns noch besser mit unseren Zulieferern vernetzen, gewisse Produktionsprozesse automatisieren.
Würden Sie sagen, dass Gesetze und Reglementierungen Ihre Digitalisierungsstrategie einschränken?
Huber: Im Bereich unserer Produkte werden uns klare Regeln vorgegeben, die auch die Möglichkeiten für die Digitalisierung definieren. Aber das ist in unserem Business eine akzeptierte „Hürde“. Unsere Produktion trifft das allerdings nicht. Hier nutzen wir die Möglichkeiten der Digitalisierung, um einerseits, unsere Variantenvielfalt in den Griff zu bekommen und andererseits, in unseren Prozessen schlanker und effizienter zu werden.
Kämpft denn Novomatic mit den Herausforderungen einer Losgröße 1-Produktion?
Huber: Ja, man glaubt es kaum, aber unsere Produktion von Spielgeräten ist eine Auftragsfertigung. Losgröße 1 ist bei uns keine Seltenheit.
Ist dieses Problem nicht zum Teil hausgemacht? Stichwort Produktkonfiguratoren?
Huber: Nein – das ist so gewollt. Wir wollen auf die Anforderungen der Casinos, was Spiele und Form angeht, bestmöglich eingehen. Wir sind ein Full-Service-Anbieter und fertigen in Gumpoldskirchen ganze Casino-Einrichtungen, nicht nur Automaten. Regulatorische Vorgaben kommen hinzu. Sie sehen also, worin das mündet?
Ein Varianten-Management hoch tausend?
Huber: Richtig.
Welchen Umfang hat die Automatenproduktion bei Novomatic?
Huber: Derzeit produzieren wir in 16 Produktionsstandorten in zwölf Ländern.
Mag Novomatic auch in vielen Dingen digitaler Vorreiter sein, in Sachen Fertigungsautomatisierung sind Sie zögerlich unterwegs. Wann mündet die Findungsphase in robotischen Helfern?
Huber: Im Bereich der Serienfertigung haben wir bereits einen hohen Automatisierungsgrad erreicht. Das zeigt sich in einigen Werken außerhalb Österreichs. Schwieriger ist es im Bereich der Kleinserien und der Individualfertigung, wo wir aber auch bereits über den Einsatz neuer Automatisierungsmethoden nachdenken.
Böse Zungen würden jetzt behaupten, Automatisierung habe nichts mit Industrie 4.0 zu tun.
Huber: Diese Zungen haben auch recht. Industrie 4.0 ist kein rein technologisches Thema. Das wird, meiner Meinung nach, noch viel zu oft missverstanden. Industrie 4.0 ist ein organisatorisches Thema. Ein bisschen IT und Robotik einführen, reicht nicht. Es geht hier um eine grundlegende Transformation der Ablauforganisation.
Der vielzitierte „Cultural Change“…
Huber: …wird von vielen Unternehmen immer noch unterschätzt. Robotik und IT mögen Türöffner sein, aber wer auf den Wandel in der Organisationsstruktur vergisst, wird schnell merken, dass jede digitale Maßnahme wirkungslos verpufft. Außerdem benötigt Industrie 4.0 eine entsprechende Digitalisierungsinfrastruktur. Dazu gehört, zum Beispiel, ein professionelles Master Data Management für alle wesentlichen Stammdaten über alle unterschiedlichen Systeme und Konzernunternehmen hinweg.
Das heißt, Sie betreiben ein zentrales Condition Monitoring Ihrer Geräte?
Huber: Ein komplexes Thema, bei dem die unterschiedlichen Rahmenbedingungen beim Betrieb der Geräte und die Gerätevielfalt zu berücksichtigen sind. Aber erste Überlegungen dazu gibt es bereits.
Stichwort Betreibermodelle: Gibt es solche Ansätze bei Novomatic?
Huber: Hier gibt es unterschiedliche Modelle. Neben dem Betrieb der eigenen Spielstätten verkaufen und vermieten wir unsere Spielgeräte – abhängig von den unterschiedlichen Marktgegebenheiten. Im Kontext von Industrie 4.0 könnte man das Mietmodell als „Gambling device as a Service“ bezeichnen.
Ist die Blockchain für Sie ein interessanter Ansatz?
Huber: Die Frage, die sich mir hier stellt, ist: Wozu wird die Blockchain verwendet?
Für das Tracking von Bauteilen.
Huber: Gut. Nehmen wir an, wir verwenden die Blockchain zur Nachverfolgung von Bauteilen, einerseits im Produktionsprozess und in der Produktionslogistik und andererseits, direkt beim Kunden. Dann stoßen wir sehr schnell an das große Problem von Industrie 4.0: fehlende Standards. Im eigenen Unternehmen kann ich das Format selbst festlegen und damit funktioniert die Blockchain wunderbar. Aber dort, wo es richtig interessant werden würde, nämlich beim Datenkontakt zu anderen Firmen, sind wir mit über 100 unterschiedlichen Blockchain-Formaten konfrontiert. Als Unternehmen müsste ich mich also mit jedem Kunden und Lieferanten auf ein gemeinsames Format einigen. Was nicht passiert. Wir sind zwar groß, haben aber nicht die Marktmacht einer Automobilindustrie, die ihren Zulieferern Dinge leicht vorgeben kann.
Könnte der Staat hier ein Öffner für einheitliche Formate sein?
Huber: Definitiv. Ob diese Formate staatlich oder über Normungsgremien gehen, sei dahingestellt. Probleme der mangelnden Standardisierung spüren wir auch bei individuellen Zahlungsformaten, wie ebXML in Österrreich oder ZUGFeRD in Deutschland. Schöne Initiativen, die doch wieder in einer Insellösung münden und uns vor Herausforderungen stellen.
Interessant ist, dass Sie Künstliche Intelligenz (KI) nutzen wollen, um Wiederbeschaffungszeiten besser abschätzen zu können.
Huber: Richtig. Eine der größten Herausforderungen in unserem Segment ist die Wiederbeschaffungszeit von elektronischen Bauteilen. Diese kann bis zu 24 Monate dauern. Wir müssen also wirklich lange vorausplanen, um Bauteile rechtzeitig zu bekommen. Selbst die genaueste Absatzplanung unterliegt diesem Schweinezyklus. Abhängig davon, welche großen Hersteller in Asien auftauchen und wieder verschwinden. Künstliche Intelligenz, die Marktvolatilitäten abwägt, könnte hier helfen. Erste Projekte, „Proofs of Concepts“ (POC) sind dazu bereits in Planung.
Auch die Deutsche Bahn kämpft mit langen Lieferzeiten bei Ersatzteilen. Wirkt dem aber mit additiver Fertigung entgegen. Sich die Bauteile einfach zu drucken, wäre das keine Alternative?
Huber: Gerade im Bereich der Ersatzteile ist 3D-Druck auch für uns interessant. Unsere Spielgeräte haben einen sehr langen Lebenszyklus und für das Retrofit von Gebrauchtgeräten kämpfen wir mit Obsoleszenz. Hier wollen wir gedruckte Teile zunehmend einsetzen. Dafür wurde bereits ein entsprechendes Element in unserer Organisationsstruktur geschaffen. Ziel ist es, Use Cases zu identifizieren und umzusetzen.
Stimmt es, dass Sie genauso viele Cyberattacken wie das Verteidigungsministerium abwehren müssen?
Huber: Das würde ich mich zu trauen zu behaupten: Ja. Glücksspiel ist ein sehr beliebtes Ziel. Aber zum Glück sind wir im Bereich der IT-Security sehr gut aufgestellt.
Ist die Cloud also ein No-Go?
Huber: Nein. Selbst bei vertraulichen und personenbezogenen Daten nicht. Wenn eine entsprechende End-to-End-Verschlüsselung unterstützt wird, ist es egal, ob die Daten in der Cloud oder am lokalen Server liegen. Viel problematischer ist das Thema Betriebskritikalität. Betriebskritische Systeme, wie ein Casino-Managementsystem, müssen hochverfügbar sein. Unsere eigenen Systeme sind hier abgesichert. Bei einem Problem genießen sie höchste Priorität beim Wiederanlauf. Aber was passiert, wenn Probleme beim Cloud-Provider auftauchen? Wie kürzlich bei einem namhaften Cloud-Anbieter in den Niederlanden, wo deren Cloud-Dienst bis zu vier Tage nicht verfügbar war. Da gibt es dann keine Prior-Kunden.
Sie meinen Microsoft Azure? Ein äußerst seltener Fall.
Huber: Aber passiert. Und als Kunde habe ich keinen Einfluss, wie schnell dieser Service wieder verfügbar ist.
Was ist mit einem lokalen Stand-by-System?
Huber: Wäre eine Alternative. Aber was ist, wenn ich ein System habe, das mit anderen Systemen Daten austauscht? Update- und Aktualisierungszyklen kann ich in der Cloud leider nicht steuern. Auch Schnittstellenänderungen lassen sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens nur schwer in der Cloud mitziehen. Mein Fazit: Systeme, die intern stark vernetzt und/oder betriebskritisch sind, sollten weiter on-premise betrieben werden. Der Rest eignet sich durchaus für die Cloud.
Sie waren Teil des ersten interdisziplinären Studiengangs zur digitalen Transformation „DigiTrans“ an der TU Wien. Ihr Resümee?
Huber: Absolut lohnenswert und definitiv notwendig. Solche Ausbildungsangebote hätte es schon viel früher gebraucht. Schade, dass es in dieser Form nicht weitergeführt wird.
Sie meinen berufsbegleitend?
Huber: Richtig. Wir können dem Fachkräftemangel nicht ausschließlich mit jungen Leuten entgegenwirken, wir müssen bestehendes Personal weiterbilden und dafür braucht es berufsbegleitende, modulare Angebote.
Hier die Rute ins Fenster der Hochschulen zu stellen, ist aber leicht. Unternehmen sollten sich nicht aus der Affäre ziehen.
Huber: Natürlich sind hier Human Resources-Abteilungen ganz besonders gefordert. HR muss sich im Bereich der Mitarbeiterentwicklung besser aufstellen. Das ist bei uns bereits sehr gut gelungen, wie man, zum Beispiel, an unserer Coding Academy zur Ausbildung von Programmierern erkennen kann. Dennoch finde ich, dass hier vor allem die Politik gefordert ist. Es braucht modulare, kleinteilige und vor allem berufsbegleitende Ausbildungsangebote.
Sie haben Erfahrungen mit einem Mitarbeiter mit Asperger-Syndorm gemacht. Erzählen Sie uns davon.
Huber: Das war eine sehr interessante Erfahrung. Das Onboarding des Mitarbeiters wurde noch professionell begleitet, bald war er aber selbstständig tätig und wurde zu einem absoluten Leistungsträger. Dieser Fall zeigt deutlich, dass Menschen aufgrund besonderer Eigenschaften nicht an den Rand gedrängt werden sollten. Im Gegenteil: Stimmt das Arbeitsumfeld, sind dies wertvolle Arbeitskräfte.
Vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Elisabeth Biedermann.