Parlamentswahl in Norwegen : Norwegen: Wie Industrie 4.0 die Wahlen prägt
In Norwegen wohnen laut UN die glücklichsten Menschen der Welt. Und die haben heute, am 11.9.2017 die Wahl. Die Minderheitsregierung aus konservativer Rechter (Høyre) und rechtspopulistischer Fortschrittspartei (Fremskrittspartiet) scheint noch im Vorteil. Die Herausforderer von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Arbeiderpartiet) sind nach Umfragen wieder gleichauf mit der konservativen Rechten. Entscheiden werden somit wie so oft die kleinen Parteien. Die Bevölkerung in Norwegen ist zwar glücklich, aber nicht ohne wirtschaftliche Herausforderungen. Weil Norwegen unter dem Preisverfall von Öl und Gas gelitten hat, will es sich wirtschaftlich breiter aufstellen. Dabei will man sich explizit am deutschen Vorbild und Industrie 4.0 orientieren, wie ein Weißbuch der Regierung unterstreicht. Aber nicht nur deshalb lohnt der Blick nach Norden: Elektromobilität, Energieerzeugung und zumindest ein einmaliges Dieselfahrverbot sind weitere Themen, die auch Auswirkungen auf die Wirtschaft in Kerneuropa haben.
Norweger sind das glücklichste Volk der Welt
Im Frühjahr 2017 bilanzierten die Vereinten Nationen in ihrem "World Happiness Report": Die Norweger sind das glücklichste Volk der Welt. Kriterien für das Ranking, das Forscher von der New Yorker Columbia University gemeinsam mit internationalen Experten erheben, sind neben dem Bruttoinlandsprodukt und dem Grad der Arbeitslosigkeit, die Lebenserwartung, die sogenannte geistige Gesundheit, die Selbstwahrnehmung der Einwohner sowie die Ausprägung und Stärke des sozialen Umfelds, aber auch das Vertrauen in Regierung und Unternehmen. Überraschend an der Erhebung: Norwegen hat mit schwächer werdenden Ölpreisen und damit geringeren Staatseinnahmen zu kämpfen. Der Verlust von 50.000 Arbeitsplätzen wird dem Ölpreisverfall zugerechnet. Aber in Norwegen habe man sich entschlossen, die Vorkommen nur langsam auszubeuten und die Gewinne in Zukunftsprojekte zu investieren. Dies gelinge nur, weil es in der Bevölkerung ein hohes Vertrauen, gemeinsame Ziele, Großzügigkeit und gute Regierungsführung gebe, so die Glücksforscher.
Das Öl, das Klima und Industrie 4.0
Das Fundament des norwegischen Wohlstandes speist sich aus den Einnahmen aus der Förderung von Öl und Gas. Durch den Preisverfall beim Rohöl bekam dieses Fundament Risse. Risse, die auch einen Denkprozess angestoßen haben, der weg von der traditionellen Abhängigkeit führen soll. Norwegen soll innovativer, smarter und grüner werden.
Grün? Nachhaltig! - Der Klimawandel wird in Norwegen ernst genommen. Auch vor diesem Hintergrund sollte die Maßnahme in der Hauptstadt von Anfang des Jahres 2017 gelesen werden. Oslo hatte im Januar das getan, worüber in Kommunen in Deutschland aktuell heiß debattiert wird. Oslo verhängte für zwei Tage wegen Smogwetter ein Dieselfahrverbot für die Innenstadt. Ein starkes Warnsignal an alle Autokäufer. Und damit nicht genug. Laut dem amtlichen Transportplan der norwegischen Regierung sollen ab 2025 gar keine fossil betriebenen Fahrzeuge mehr neu zugelassen werden. Dafür wird die Elektromobilität gefördert. Die Elektrofahrerinnen und -fahrer können an 7.000 öffentlichen Ladesäulen kostenlos parken und aufladen, sie können Mautstraßen und Fähren gratis nutzen und dürfen auf die Busspur ausweichen. Elektromobile werden bei den Importsteuern bevorzugt, so dass sie in der Anschaffung oft günstiger sind als Autos mit Verbrennungsmotor. Norwegen hat keine eigene Autoindustrie und damit sind auch keine inländischen Arbeitsplätze durch die Umsteuerung gefährdet. Die Regierung lässt sich dieses Programm aber jährlich rund 400 Millionen Euro kosten.
Effizienzsteigerung auch durch Digitalisierung
Der Transportplan hat aber noch einen weiteren Effekt. Als Kompensation der Einbrüche durch den Ölpreisrückgang hatte die Regierung Infrastrukturmaßnahmen, wie den Bau von Straßen, Brücken und Tunnels sowie die Investition in Flughäfen oder Krankenhäuser intensiviert. Die Außenhandelskammer registriert laut ihres Geschäftsführers, dass deutsche Unternehmen verstärkt Aufträge erhalten. Aber mit Blick auf die Nachhaltigkeit beschränkt sich Norwegen nicht nur auf die Mobilität. Auch die Rolle der Industrie soll ihren Beitrag im Übergang zu einer Niedrig-Emissions-Gesellschaft leisten. Effizienzsteigerung auch durch Digitalisierung hat hier ihre Bedeutung.
Innovativer? Industrie 4.0! - Norwegen soll nach dem Willen der Regierung eine der führenden Industrie- und Technologienationen werden. So liest sich denn auch das Weißbuch, das explizit Deutschland und seine Industrie 4.0-Stratgie als Vorbild benennt. Und damit sind auch Kooperationen mit deutschen Unternehmen und mit dem Netz der Industrie- und Handelskammern gemeint. Damit bieten sich den Unternehmen, die mit Industrie 4.0 vertraut sind neue Möglichkeiten auf dem norwegischen Markt. In Norwegen sollen nach den Aussagen im Weißbuch zukunftsorientierte Produktionsformen und die Entwicklung von „enabling technologies“ gefördert werden. Und: Der Kompetenztransfer zwischen unterschiedlichen Branchen, insbesondere vor dem Hintergrund der Umstellung der Offshore-Industrien soll weiter vorangetrieben werden. So zeigte sich, dass Technologien, die in der Ölindustrie genutzt wurden auch für die Aquakultur-Wirtschaft geeignet waren. Hier erzielte Norwegen in den zurückliegenden Jahren immer neue Rekorde. Für den CEO des Norwegischen Forschungsrates, John-Arne Røttingen, ist das Weißbuch ein Beleg dafür, dass die Regierungsverantwortlichen die Instrumente der Forschungs- und Technologiepolitik aktiv nutzen wollen und auch über Steuerpolitik gerade forschungsintensive Start-up-Firmen fördern will.
Wer macht das Polit-Rennen?
Mit dem Blick auf den Glücksreport und seine Kriterien „gemeinsame Ziele“, „Vertrauen“ und „gute Regierung“ scheint es unwichtig, wie die Wahl ausgeht. So einfach ist es dann doch nicht. Bis zum heutigen Wahltag verfügt die amtierende "blau-blaue" Regierungskoalition aus der Konservativen Rechten (Høyre) und der rechtspopulistischen Fortschrittspartei (Fremskrittspartiet) nur über 77 der 169 Mandate. Das heißt Ministerpräsidentin Erna Solberg führt eine Minderheitsregierung, die aber von der Christlichen Volkspartei (Kristelig Folkeparti) und der liberalen Linken (Venstre) bei parlamentarischen Entscheidungen unterstützt wird. Die beiden Spitzenkandidaten Erna Solberg von der Høyre und Jonas Gahr Støre von der sozialdemokratischen DNA liegen mit ihren Parteien in den Prognosen jetzt fast gleichauf. Für beide Seiten wird etwa ein Viertel der Stimmen erwartet, womit sie jeweils auf Verbündete angewiesen sein und wahrscheinlich jeweils eine Minderheitsregierung anführen werden. Das Zünglein an der Waage werden wieder die kleinen Parteien sein.
Der Blick zurück macht vielleicht auch die Veränderung im Norwegen der vergangenen Jahre deutlich. Bei der letzten Parlamentswahl im Jahr 2013 erlitt die sozialdemokratische Arbeiterpartei unter Jens Stoltenberg große Verluste. Seit 1927 war die Arbeiterpartei aus allen Wahlen als mit Abstand stärkste Kraft hervorgegangen. 2013 erhielt sie zwar auch noch die meisten Stimmen, verlor aber im Vergleich zum Wahlgang 2009 aber 4,5 Prozent der Stimmen. Die Siegerin war die konservative Rechte mit mehr als zehn Prozentpunkten Zugewinn. Umfragen zur aktuellen Storting-Wahl sehen die rechtspopulistische Fortschrittspartei als drittstärkste Kraft. Deren Parteivorsitzende Siv Jensen ist derzeit Finanzministerin. Die rechtspopulistische Fortschrittsparte profitiert aktuell erneut von ihrem Kernthema der restriktiven Flüchtlingspolitik, wobei sowohl Rechte als auch Arbeiterpartei für eine konsequente Abschiebepraxis plädieren. Einig sind sich Rechte und Arbeiterpartei in Fragen der Ölförderung. Beide befürworten die Suche nach neuen Vorkommen von Öl und Gas und das sogar in ökologisch sensiblen Gebieten wie den Lofoten oder der Arktis.
Wird Norwegen bald Teil der EU?
Vor dem Hintergrund des Ölpreises diskutieren die Parteien in diesem Wahlkampf über Steuerpolitik, die geplante Kommunalreform und Privatisierungsbestrebungen sowohl im Gesundheits- als auch im Wirtschaftssektor. Die Trennlinien sind als nahezu klassisch zu bezeichnen. Während die sozialdemokratische Arbeiterpartei dem Modell eines starken Staates zuneigt und demzufolge Steuererhöhungen ankündigt, einen Kompetenzzuwachs der Regionen im Zuge der Gebietsreform fordert und gegen eine Privatisierung vieler bisher teilprivatisierter Unternehmen ausspricht, sind konservative Rechte und die rechtspopulistische Fortschrittspartei auf der Seite eines Staates, der eher die Funktion eines Rahmengebers übernimmt und kündigen Steuersenkungen an. Die beiden bisherigen Koalitionspartner trennt die Frage nach der Mitgliedschaft Norwegens in der EU. Will die Rechte den Beitritt Norwegens forcieren, ist die Fortschrittspartei strikt dagegen. Ähnlich populistisch und strikt gegen eine EU-Mitgliedschaft positioniert sich die Zentrumspartei. Aktuell wird diese mit rund zehn Prozent der Stimmen gehandelt. Eine Ausgangsbasis, die der Partei eine Regierungsbeteiligung bringen und möglicherweise den einen oder anderen Platz am Kabinettstisch.
Ölerschließung bleibt heißes Thema
Die norwegischen Grünen sind die einzige Partei, die die weitere Erschließung von Ölvorkommen ablehnt. Strikt. Das hatte jüngst zu einer Koalitionsabsage der Arbeiterpartei geführt. Nur: Ohne die Grünen ist eine Regierungsführung durch die Sozialdemokraten reine Utopie zumal die Grünen laut Prognosen mit einem deutlichen Zuwachs rechnen dürfen. Entscheidend wird also sein, welche der kleinen Parteien die Vierprozenthürde überwindet. Diese Hürde ist nicht entscheidend für das Erringen der Wahlkreismandate, aber für die Verteilung der 19 Ausgleichsmandate. Das Parlament, der Storting, umfasst 169 Sitze. 150 werden vom Volk direkt gewählt. 19 Sitze werden durch Mandatsausgleich von jeweils einem Repräsentanten der 19 Regierungsbezirke besetzt. Ein entscheidender Faktor ist das Votum der Wähler in der Stadt Bergen. Hier leben relativ viele Menschen und viele Wechselwähler. Und hier ist Erna Solberg die konservative Regierungschefin geboren. Man darf gespannt sein, wem das Glück in parteipolitischer Sicht in Norwegen heute am Wahltag gewogen ist.