Leitbetrieb Niederösterreich : Niederösterreich: Digitale Höhenflieger
Es war ein Aha-Erlebnis. Michael Schilling erinnert sich noch gut, wie er das erste Mal mit dem Begriff „Industrie 4.0“ in Berührung kam. „Wir waren gerade mit der Erweiterung unserer Fertigungshalle beschäftigt“, erzählt der Produktionsleiter von Test-Fuchs. Gekümmert hat ihn der in Deutschland propagierte Hype damals eher weniger. Erst als ihm klar wurde, dass die dort gepredigten Ansätze genau das trafen, was in der neuen Test-Fuchs-Halle umgesetzt wurde, stellte sich bei Schilling der bekannte „Aha-Effekt“ ein. Denn die Digitalisierung der Fertigung ist in Groß Siegharts schon lang in vollem Gange.
Schritt für Schritt zur Weltspitze.
Der Familienbetrieb Test-Fuchs hat sich in den letzten Jahren zum echten Nischenchampion gemausert. Was viele nicht wissen - in Groß Siegharts werden Prüfsysteme und Komponenten entwickelt und gefertigt, die dafür sorgen, dass Flugzeuge nicht vom Himmel fallen. Dementsprechend prominent liest sich auch die Kundenliste: Denn egal ob Boeing, Emirates, Airbus oder Lufthansa Technik, keiner kommt um diese Waldviertler herum. Trotzdem muss auch ein so erfolgreicher Betrieb wie Test-Fuchs die gleichen Schlachten schlagen, wie jeder Mittelständler in Österreich. Themen wie Ressourcenknappheit, Fachkräftemangel, Hochlohnland sind auch bei den Niederösterreichern an der Tagesordnung. Dennoch hält das Hightech-Unternehmen Groß Siegharts die Treue und investierte so 2012 rund 15 Millionen Euro in den Standort. Denn die Philosophie von Test-Fuchs besagt: Nur wer seine Kernkompetenz in den eignen Hallen hält, schafft es am Markt schnell und flexibel zu agieren.
Das war auch der Grund, warum ein Auslagern der zerspanenden Fertigung nie auf der Agenda der Waldviertler stand. Für einen Fertiger von Losgröße 1 bis Kleinserien, eine gewagte Partie, die bei Test-Fuchs dennoch aufgegangen ist. Und das mit einem klassischen Industrie 4.0-Ansatz. Die Niederösterreicher kreierten nämlich kurzum ein digitales Abbild ihrer kompletten Fertigung. Indem sie eine durchgängige Datenkette zwischen dem realen Shopfloor und der Simulation am Computer schufen, senkten sie ihre Rüstkosten signifikant. „Wir haben Werkzeuge, Spannmittel und Maschinen datentechnisch miteinander so weit verknüpft, dass wir nun einen optimalen Werkzeugkreislauf haben“, erklärt Schilling. Werden bei Test-Fuchs heute Werkzeuge ausgemessen, stehen diese Daten zeitgleich in der Simulation als auch an der echten Fräsmaschine am Shopfloor zur Verfügung. Veränderungen werden in beiden Welten simultan erfasst und ausgeführt.
Das Geheimnis des ersten Stocks.
Um die Maschinenauslastung noch weiter zu erhöhen, setzten die Waldviertler auch auf eine Automatisierung der Fertigung. Seit 2013 gesellt sich ein mechanischer Kollege unter die Fertigungstechniker. Der Roboter sorgt dafür, dass die Spindelzeiten geradezu in die Höhe schießen. Jedoch - wer die Produktionshalle in Groß Siegharts betritt, dem fällt sofort auf, dass sich neben der vollautomatisierten Fertigungslinie nach wie vor jede Menge konzentrierte Facharbeiter befinden. „Alles zu automatisieren macht für uns keinen Sinn“, erklärt Schilling seine Entscheidung für eine bewusste Teilautomatisierung. Denn ein Erfolgsgeheimnis der Waldviertler liegt darin, schnell und flexibel auf jede Kundenanforderung reagieren zu können. „Und das geht nur mit Mannkraft“, so Schilling. Dass sich Jobprofile durch die voranschreitende Vernetzung ändern werden, ist man auch bei Test-Fuchs überzeugt. Doch das habe es immer schon gegeben. „Und jeder Betrieb, der sich weiterentwickelt, muss in regelmäßigen Abständen seine Jobprofile kritisch hinterfragen“, ist Schilling überzeugt.
Im ersten Stock der neuen Produktionshalle befindet sich deshalb eine echte Fertigungselite. „Fünfzehn Mitarbeiter arbeiten dort quasi auf Abruf“, so Schilling. Robert Schlosser leitet dort die gesamte Abteilung der zerspanenden Fertigung. Zusammen mit seinem Team verteilt er die Aufträge optimal auf die Maschinen. Dadurch können Expressteile und kleinste Stückzahlen sehr kurzfristig produziert werden. Ohne lange Planungsphase gelingt es den Waldviertlern, mechanischer Bau- und Ersatzteile innerhalb von 24 Stunden lieferfertig zu machen. Entsprechende Luftfahrtzertifikate inklusive.
Sich selbst als Leitbetrieb für Industrie 4.0 zu bezeichnen, davon hält der bodenständige Produktionsleiter wenig. „Das können auch andere“, so Schilling. Seiner Meinung nach beschäftigen sich innovative Firmen schon lange mit diesem Thema, „nur war es eben damals noch ein Kind ohne Namen.“ Etwas Stolz ist ihm dann aber doch anzusehen, denn nach seinem Verständnis nach geht es bei Industrie 4.0 vor allem darum, aus den Kernkompetenzen heraus mithilfe digitaler Ansätze neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Und diese neuen Modelle liegen bereits am Tisch von Michael Schilling. Geht es um Details zu den neuen Strategien, bleibt der Produktionsleiter aber diskret, nur soviel verrät er: „In zwei Monaten wird ein neues Kapitel bei Test-Fuchs aufgeschlagen werden.“ (EB)
Kurz und Knackig:
Das versteht Michael Schilling unter Industrie 4.0
Industrie 4.0 beginnt ganz trivial in den Prozessen eines Unternehmens. Nur wer seine Kernkompetenzen vollkommen im Griff hat, weiß wo er eine Digitalisierung anzusetzen hat, um daraus neue Geschäftsmodelle entstehen zu lassen.
Was ist für Sie das Unwort des Jahres in Zusammenhang mit Industrie 4.0?
Cyberphysical Systems. Was in der Theorie spannend klingt, ist in der Praxis noch ein langer harter Weg.