Gummiindustrie : „Muss nicht Gummi sein“

Semperit Martin Füllenbach
© Martina Draper

Der heimische Gummiverarbeiter Semperit hält daran fest, die Produktion von Medizinhandschuhen zu verkaufen. Allerdings wurde der Plan nach dem Corona-Ausbruch vor einem Jahr auf Eis gelegt. Die Sparte fährt gerade ungeahnte Umsätze ein. Der Beschluss zum Verkauf ist für Konzernchef Martin Füllenbach aber aufrecht. Mitten in der Corona-Pandemie sei allerdings nicht der richtige Zeitpunkt für einen Verkauf der Medizinsparte. „Solange wir Rekordumsätze und hohe Margen haben, wäre es ökonomisch unklug zu verkaufen“, so Füllenbach. Man wisse nicht, wie lang der Boom dauere, „sinnvollerweise verkauft man in normalisierten Marktphasen“. Er schaue sich die Lage im Zwei-Wochen-Rhythmus genau an. Es müsse allerdings nicht zwingend 2021 sein. In der Zwischenzeit werden Akquisitionspläne gewälzt, auch außerhalb des Stammgeschäfts Gummi.

Nach mehrjährigen Restrukturierungen, einem 2019 nochmals verschärften Sparkurs und dank der aktuellen Corona-Sonderkonjunktur für Medizinprodukte sind die Kassen gefüllt, bei 140 Prozent Eigenkapital. Für Zukäufe wäre man deshalb nicht auf den vorherigen Verkauf der Medizinsparte angewiesen, sagte Füllenbach am Donnerstag zur APA. „Wir schauen uns Möglichkeiten an, aber auf sehr unverbindlichem Level“, und „es muss nicht Gummi sein“. Man schaue sich bewusst nicht nur nach Gummiunternehmen um und möchte auch die industrielle Wertschöpfung erweitern und in neue Märkte gehen.

Zu den bekanntesten Semperit-Produkten zählen heute Gummi-Handschuhe für den medizinischen Bereich: In Malaysia werden (seit der Auflösung eines Thai-Joint-Ventures vor drei Jahren in Eigenregie) Untersuchungshandschuhe produziert (2020: 9,6 Milliarden Stück). Im niederösterreichischen Wimpassig werden OP-Handschuhe gefertigt (160 Millionen Paar). Alle Semperit-Operationshandschuhe würden in Österreich produziert, es gebe in diesem Bereich keine Zukäufe, wird hinzugefügt. Aus Semperit-Werken kommen auch Handläufe (etwa für Rolltreppen), Folien für Skibeläge, Gummiringe für Seilbahnrollenführungen, Dichtungen für Wasserschläuche oder Fensterdichtungen und Kunststofftechnikprodukte. Rund 1.000 der knapp 7.000 Beschäftigten arbeiten in Österreich. In Wimpassing, am Geburtsort der Firma, sind es heute 800. In der dortigen OP-Handschuhproduktion sind rund 90 Mitarbeiter beschäftigt - Im Fall einer Trennung von der Handschuhproduktion wäre der Standort Wimpassing keinesfalls in Frage gestellt, sagt der Konzernchef. Hier sei auch das Entwicklungszentrum für die ganze Gruppe.

Verändertes Hygieneverständnis, aber neue Wettbewerber

Obwohl man bei Semperit erwartet, dass nach dem Sieg über Corona der Bedarf an Handschuhen in vielen Arbeitsprozessen hoch bleiben wird, da sich auch das Hygieneverständnis geändert habe, werde die neue Marktdynamik Folgen haben: „Wir sehen, dass neue Wettbewerber in den Markt eintreten, dass große Mitbewerber massiv ausbauen. Jetzt sind wir weltweit Nummer neun, am Ende würden wir in wenigen Jahren nur mehr Nummer 15 oder 18.“ Dabei gehe es um Größenvorteile, Rohstoffverfügbarkeit und riesige Investitionen, um dreistellige Millionenbeträge. „Das Geld wollen wir lieber in der Industriesparte einsetzen.“

Die Gruppe hat 2020 nach dem Verlustjahr 2019 historische Rekorde bei Umsatz und Ergebnis erzielt. Unterm Strich blieb ein Nettogewinn von 194,6 Millionen Euro, nach 44,9 Millionen Verlust davor. Coronabedingt legte im Sektor Medizin der Umsatz um mehr als die Hälfte auf 449,2 Millionen Euro zu, während er im Sektor Industrie um 12,6 Prozent auf 478,4 Millionen zurückging. Insgesamt wuchs der Konzernumsatz um 10,4 Prozent auf 927,6 Millionen Euro. (apa/red)