Mikrochips : Mikrochipproduktion soll zurück nach Europa
Oktober 2014: Die SEMICON Europa gastiert erstmals im ALPEXPO Congress Center von Grenoble. Als Austragungsort wechselt sich die am Fuß der französischen Alpen gelegene Stadt, die sich seit der Olympiade von 1968 vom Wintersport-Mekka zum High-Tech-Standort entwickelt hat, seit heuer mit Dresden ab. Dorthin war die wichtigste europäische Branchenmesse der Halbleiterindustrie 2009 übersiedelt – nachdem sie zuvor schon in Genf, Zürich, München und Stuttgart Station gemacht hatte.
Nach Dresden war die Messe eigentlich mit dem Ziel gekommen, künftig im Zentrum der deutschen Halbleiterindustrie zu bleiben. Doch das von der EU im Vorjahr proklamierte Ziel, 20 Prozent der globalen Chipproduktion bis 2020 nach Europa zurückzuholen, erfordert einen entsprechenden Schulterschluss der europäischen Industrie. Folglich vollzog auch der Branchenverband SEMI, der die Zulieferketten der Nano- und Mikroelektronikhersteller vertritt, den Schritt zum deutsch-französischen Messe-Sharing.
Silicon Saxony goes Grenoble.
Die Sachsen nahmen es sportlich und zeigten auch in Grenoble Flagge: Mit 36 Unternehmen stellte „Silicon Saxony“ den größten Ausstellerverbund. Das Dresdner TU-Exzellenzzentrum für fortgeschrittene Elektronik „cfaed“ präsentierte etwa seine Forschungen an Silizium-Nanodrähten, chemischen und Bio-Chips, HAP und Ortner zeigten Automatisierungs- und Roboter-Lösungen für hochautomatisierte Chipfabriken, und das Fraunhofer-Zentrum „Comedd“ war mit organischer Elektronik vertreten.
Während die europäische Industrie in den 1990ern noch 15 Prozent der weltweiten Chips produzierte, findet die Massenproduktion von Mikroprozessoren und Speicherchips mittlerweile vor allem in Asien und Amerika statt. In Europa konzentriert man sich aktuell auf neue Technologien wie das „Internet der Dinge“ oder extrem energieeffiziente Chips. Europäische Unternehmen erwirtschaften derzeit acht bis neun Prozent der globalen Halbleiter-Umsätze, die sich 2013 auf rund 315 Mrd. Dollar beliefen.
MEMS sorgen dafür, dass das Smartphonebild sich dreht.
Besonders gut aufgestellt sind die Europäer in wachstumsträchtigen Nischen, etwa bei hochspezialisierten Applikationen, die durch die Migration von PCs und Servern zu Mobiltelefonen und Tablets benötigt werden – oder bei Sensoren, die eine zentrale Rolle im „Internet der Dinge“ spielen werden: Die Produktion mikro-elektromechanischer Systeme (MEMS) für Sensoren wird sich etwa in den nächsten Jahren verdoppeln. Weltweite Marktführer in diesem Bereich sind STMicroelectronics in Grenoble und die Bosch-Tochter Sensortec, die bereits jedes zweite Smartphone weltweit ausstattet: Dank der Sensoren von Bosch weiß ein Smartphone oder Tablet etwa, wie es gehalten wird, und richtet das Bild entsprechend aus.
Aber auch in modernen Autos stecken bereits bis zu 50 mikromechanische Sensoren. Und sie werden immer intelligenter, kompakter und energiesparender. Im „Internet der Dinge“ sollen sie auch in bislang „elektronikfreie“ Bereiche wie Türen oder Fenster integriert werden und für mehr Komfort, Sicherheit und Energieeffizienz sorgen.
MEMS-Sensoren enthalten feinste Silizium-Strukturen, die sich bei der Bewegung des Gehäuses um Bruchteile eines Tausendstelmillimeters verschieben. Die dabei geänderten elektrischen Eigenschaften lassen sich messen und in einen Datenstrom wandeln. Manche Komponenten messen dabei nur noch vier Mikrometer – 17-mal weniger als ein menschliches Haar. Weil die mikromechanische Sensorik nur schwache elektrische Signale hervorbringt, haben die Entwickler im Bauelemente-Gehäuse neben dem Sensor – oder teilweise sogar direkt auf demselben Chip – noch eine Elektronik integriert. Sie verarbeitet die Signale, verstärkt und wandelt sie in digitale Daten. MEMS-Sensoren können so Steuergeräte direkt mit Messwerten versorgen.
Europa bei Energieeffizienz top.
Eine weitere Stärke der europäischen Halbleiterindustrie sind extrem energiesparende elektronische Komponenten. In diesem Bereich ist unter anderem Infineon aktiv, aber auch kleinere Firmen wie GreenPeak Technologies finden hier ein Betätigungsfeld. Die Nachfrage nach dem „small data“-System, das die Niederländer für die Kommunikation im intelligenten Haushalt entwickelt haben, geht regelrecht durch die Decke: Wurden 2011 noch eine Million Chips pro Jahr produziert, so sind es heute bereits eine Million pro Woche.
Europas Halbleiterindustrie wird dennoch weiterhin unterschätzt, meint Heinz Kundert, Präsident des Branchenverbandes SEMI Europe. Er betont die große Kompetenz in Forschung und Entwicklung, die vor allem am Imec in Belgien, am Fraunhofer-Institut in Deutschland und am CEA-Leti in Grenoble gebündelt sei. Imec-Boss Luc van den Hove verweist diesbezüglich etwa auf die führende Rolle der niederländischen Firma ASML, die weltweit 85 Prozent der Lithographie-Tools für die Halbleiter-Branche herstellt. Oder auf die in der Nähe von Grenoble gegründete Firma Soitec, deren neu entwickelte Materialien für Chip-Transistoren 40 Prozent weniger Energie verbrauchen.
ME2C bringt Österreich nach Grenoble.
Die rot-weiß-rote Präsenz in Grenoble wurde vom Villacher Microelectronic Cluster ME2C und der Mikro- und Nanoexpertenplattform ECSEL-Austria organisiert. „Unser gemeinsamer Messestand auf der internationalen ‚Allèe des Clusters’ war ein voller Erfolg und unterstreicht die Rolle, die der Mikroelektronik-Standort Österreich im Konzert der führenden Technologie-Regionen Europas spielt. Als ME2C-Cluster konnten wir hier sehr viel zur Sichtbarkeit von High-Tech made in Austria beitragen“, resümiert ME2C-Clustermanager Stephan Payer.
Am Gemeinschaftsstand vertreten waren die Infineon Technologies Austria AG, die Mechatronic systemtechnik GmbH, die T.I.P.S messtechnik GmbH, die Sico Technology GmbH und das Forschungszentrum CTR Carinthian Tech Research AG sowie die Material Center Leoben Forschung GmbH.
CTR baut mobiles Infrarot-Spektrometer.
Das Forschungszentrum CTR präsentierte unter anderem ein Fourier-Transform Infrarot-Spektrometer, das nicht nur klein und mobil ist, sondern auch die Messzeit deutlich reduziert. Es eignet sich für die medizinische Diagnostik, die Umweltanalytik, die Qualitätskontrolle von Lebensmitteln oder für das industrielle Umfeld. Auch das Opto-Elektronische Mikromodul, für das CTR-Forscher Martin Lenzhofer erst im September mit dem PCB (Printed Circuit Board) Design Award des Fachverbandes FED ausgezeichnet wurde, war in Grenoble ausgestellt: ein optisches Modul, das die kostengünstige Umsetzung einer Projektor-Elektronik in Smartphones oder Tablets ermöglicht.
Der Fokus der CTR-Forschung liegt im Bereich der System Integration mittels Nutzung von Mikro- und Nanotechnologien. Dabei geht es vor allem um die Entwicklung von Komponenten, Modulen und intelligenten Systemen mit erhöhter Funktionalität und verbesserter Leistung. Verstärkte Forschungsnachfrage seitens der Industrie bestätigt diese Ausrichtung, und auch die Teilnahme an der SEMICON Europa hat sich für CTR gelohnt, bilanziert F&E-Manager Heimo Müller: „Unsere Präsenz war wichtig, um unser internationales Netzwerk zu pflegen und um neue Kontakte aufzubauen. Speziell die begleitenden Konferenzen waren interessant und eine gute Netzwerkplattform.“
Materials Center Leoben hat die Nase vorn.
Das MCL war mit seinem 2012 neu eröffneten Bereich „Mikroelektronik“ heuer erstmals auf der SEMICON Europa vertreten. „Unser gemeinsamer Auftritt mit dem Cluster ME2C, der auch Teil von Silicon Europe ist, war ein starkes Lebenszeichen des Wirtschaftsstandortes Österreich auf dem Gebiet der Halbleitertechnologie“, meint Projektkoordinatorin Pamela Kremser von der Materials Center Leoben Forschung GmbH.
Aus dem Bereich der Metalle kommend, konzentriert sich die MCL-Abteilung „Materials for Microelectronics“ auf materialtechnische Lösungen für die Mikro- und Nanoelektronikindustrie und verfügt über umfangreiche Expertise in den Bereichen Materialcharakterisierung sowie Werkstoff-, Prozess- und Bauteilsimulation auf allen Längenskalen.
Folglich wurden in Grenoble keine Produkte ausgestellt, sondern Kompetenz, Wissen und Know-How präsentiert. „Für das MCL war die Teilnahme an der SEMICON aus mehreren Gründen ein Erfolg“, resümiert Pamela Kremser: „Einerseits konnten wir intensive Fachgespräche führen, andererseits auch potentielle neue Partner für innovative Ideen begeistern, Kontakte knüpfen und unser Netzwerk erweitern.“