Künstliche Intelligenz : Künstliche Intelligenz: Verliert Europa den Anschluss?
Die Künstliche Intelligenz (KI) nimmt eine zentrale Stellung in der Vorbereitung auf eine sich rasant digitalisierende Weltwirtschaft ein. Zu den Spitzenreitern dieser noch sehr jungen Technologie werden im internationalen Vergleich gerne Länder wie die USA oder China als auch Topfirmen wie Amazon und Google angeführt. Bei den staatlichen Aktivitäten überragt China die restlichen Länder mit Investitionen in mehrstelliger Milliardenhöhe. Umfragen wie beispielsweise die aktuelle VDE-Studie sollen diese Thesen unterstützen. Da die Studie nur 7 Prozent Rückläufer aus vor allem kleineren Firmen sowie zehn Hochschulen zu verzeichnen hatte, kann sie nicht als repräsentativ angesehen werden. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass sich die europäischen Unternehmen dem Thema KI unterschiedlich näheren. „Man muss für KI die einzelnen Firmen nach Größe und Zugehörigkeit zu B2B oder B2C unterscheiden, da sie hinsichtlich Digitalisierung und KI völlig unterschiedlich informiert und aufgestellt sind“, erklärt KI-Experte Peter Seeberg von der Beraterfirma asimovero.AI. Während größere Unternehmen in Europa die Chancen der KI längst realisiert haben, üben sich vor allem kleinere Betriebe noch eher in Zurückhaltung.
KI-Markt in Europa weitet sich stark aus
Trotzdem soll der europäische KI-Markt laut der Studie „AI in Europe – Ready for Take-off“ des European Information Technology Observatory (EITO) von rund drei Milliarden Euro auf zehn Milliarden Euro im Jahr 2022 anwachsen. Das entspricht einem jährlichen Wachstum von 38 Prozent im Durchschnitt. Wogegen 2018 das Markvolumen noch bei zwei Milliarden Euro lag. Im Vergleich dazu steigen die Ausgaben für Server und Speicherplatz nur um 24 Prozent pro Jahr, während die Umsätze mit Software (45 Prozent) und Dienstleistungen rund um KI (47 Prozent) wesentlich stärker anziehen. Mittlerweile existiert ein breites Angebot an marktfähigen Lösungen, die auf Basis der KI aufgebaut sind. Dazu zählen zum Beispiel Lösungen für Machine Learning, Software-Tools für die Sprach- oder Bilderkennung, Lösungen für Chatbots zur Kundenberatung oder komplexe Anwendungen für personalisierte Mailings, die sich quasi automatisch versenden lassen. Gemäß der EITO-Studie investieren die produzierenden Unternehmen in Europa im Moment am stärksten in die Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz. Auf dem zweiten Platz liegt die Finanzbranche, gefolgt vom Handel. „Der deutsche Mittelstand ist naturgemäß außerordentlich zurückhaltend und vorsichtig“, sagt Reinhard Karger, Unternehmenssprecher beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). „Er investiert natürlich erst dann, wenn der Mittelstand darin einen Vorteil sieht. Und selbst in diesem Falle würde er dies nicht massiv kommunizieren wie es die US-Firmen lauthals tun.“ Gerade diese amerikanischen Plattform-Unternehmen versprechen sich mit KI Wettbewerbsvorteile durch beispielsweise eine zielorientiertere Werbung für Google, ein besseres Matching bei Facebook oder eine optimierte Logistik für Amazon. Ein Industrieunternehmen würde dagegen Geschäftsgeheimnisse ausplaudern.
Das Märchen von Big Data
„Ich denke nicht, dass andere Länder uns im Bereich KI voraus sind“, sagt Karger. „Vielmehr ist es so, dass man aktuell eher einen Marketing-getriebenen Hype im Bereich B2C beobachten kann. Davon profitieren Unternehmen wie Amazon und Google. Das ist alles in Ordnung. Die Frage, was KI in der realen Produktion bewirken kann, ist eine ganz andere Frage.“ Gleichzeitig wird vielfach behauptet, dass China und die USA auf Grund des Fehlens jeglichen Datenschutzes über einen riesigen Schatz an Datensätzen verfügen und damit Vorteile im globalen Wettbewerb um die Marktführerschaft aus der KI ziehen können. „Das ist ein Märchen“, protestiert Seeberg. „Viele Firmen im produzierenden Gewerbe konzentrieren sich auf kleine Datenvolumina. An den Maschinen entstehen nicht immer ausgesprochen viele Daten. Diese reichen auch oft aus. Die viel größere Herausforderung ist aus wenigen Daten sinnvolle Ergebnisse herauszuholen.“ Hinzu kommt, dass die DSGVO bei Maschinendaten sowie vorausschauender Wartung im produzierenden Gewerbe im Grunde gar nicht zur Anwendung kommt, da es sich nicht um personenbezogene Daten handelt. „Ich fände die Abschaffung der DSGVO sehr schade, nicht zuletzt deswegen, weil sie gerade im Begriff ist, zum weltweiten Goldstandard zu werden, so Karger. „Es gibt für die DSGVO viele Befürworter in den USA, Japan und Indien.“
Regionale Unterschiede bei KI-Aktivitäten
Die aktuelle Elsevier-Studie „ArtificiaI Intelligence: How knowledge is created, transferred, and used - Trends in China, Europe, and the United States” ergab, dass die Kapazitäten für Forschung, Technologie und Anwendung von KI als entscheidend für die jeweilige nationale Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheit und Wirtschaftskraft angesehen wird. Wobei sich die USA bei den Forschungsfeldern eher auf die Gesundheit konzentrieren, setzen die Chinesen ihren Schwerpunkt auf die Landwirtschaft. In Europa sind die einzelnen Bereiche in etwa gleich ausgeprägt. Europa hält zwar nach wie vor den größten Anteil an wissenschaftlichen Publikationen, verliert aber weiterhin Terrain an die USA und vor allem China. Das Reich der Mitte dürfte in naher Zukunft Europa bei den Publikationen für KI überholen, nachdem es bereits 2004 die Vereinigten Staaten hinter sich gelassen hatte. Gleichzeitig zeigen weitere Länder eine starke Entwicklung im wissenschaftlichen Bereich. So hat sich Indien in den letzten fünf Jahren zum drittgrößten Land in der KI-Forschung entwickelt. Andere Schwellenländer, wie zum Beispiel der Iran, gehören ebenfalls zu den Top 10 der KI-Forschung. Die im Rahmen dieser nationalen Strategien entwickelten KI-Politiken sind von Land zu Land sehr unterschiedlich: Während die Regierungen in den USA und Europas durch Förderung von Forschung und Industrie eine unterstützende Rolle bei der KI-Politik spielen, nimmt die chinesische Regierung eine aktivere Rolle wie zum Beispiel bei der Festlegung der Schwerpunkte der KI im Land ein.
Der Aufstieg Chinas
Die chinesische Staatsregierung veröffentlichte im Juli 2017 einen Entwicklungsplan für den KI-Bereich bis 2030 mit dem Ziel, eine weltweit führende Position in Theorie, Technologie und Anwendung einzunehmen. Der Aktionsplan konzentriert sich auf die Stärkung der Produktionskapazitäten sowie die Gewinnung und Ausbildung qualifizierter KI-Beschäftigter. Dafür stellt die chinesische Regierung über 2 Mrd. Dollar bereit und kündigte des Weiteren an, 2,1 Mrd. Dollar in einen KI-Technologiepark in Peking zu investieren. Wobei manche Experten sogar von einem Gesamtvolumen der chinesischen Investments (privat und staatlich) in KI und Robotik von schätzungsweise 300 Mrd. US Dollar ausgehen. Chinas KI-Forschung ist laut der Elsevier-Studie durch eine vergleichsweise geringe Zitierwirkung gekennzeichnet, was auf eine regionale Reichweite der Publikationen sowie eine relativ schwach ausgeprägte internationale Zusammenarbeit verweist.
KI-Vielfalt in Europa
Europa ist die größte und vielfältigste Region in Bezug auf den wissenschaftlichen Output für KI. Gleichzeitig kultivieren die Europäer gemäß der Elsevier-Studie ein hohes und steigendes Niveau an internationalen Kooperationen außerhalb Europas. Das breite Spektrum der KI-Forschung spiegelt in Europa die Vielfalt der europäischen Länder wider, die sich jeweils mit ihren eigenen Vorstellungen und Besonderheiten präsentieren. Im April 2018 skizzierte die Europäische Kommission (EK) einen dreigliedrigen Ansatz für ihre KI-Aktivitäten: Erhöhung der öffentlichen und privaten Investitionen in KI, Vorbereitung auf sozioökonomische Veränderungen und Etablierung eines angemessenen ethischen und rechtlichen Rahmens. Darüber hinaus sollen die KI-Forschungsinvestitionen für den Zeitraum 2018 bis 2020 im Rahmen des Programms „Horizon 2020“ auf 1,5 Mrd. Euro erhöht werden.
KI-Markt in den USA attraktiv für Talente
Der US-amerikanische Unternehmenssektor zieht gemäß der Elsevier-Studie weltweit Talente an und ist in der KI-Forschung gut aufgestellt. Dies gilt ebenfalls für den akademischen Sektor der USA. Die US-Wissenschaftler arbeiten zunehmend international mit anderen Forschern zusammen. Die KI hat in den Vereinigten Staaten einen starken Fokus auf spezifische Algorithmen und trennt Sprach- und Bilderkennung in verschiedene Cluster. Die KI-Forschung zeigt insgesamt weniger Vielfalt als Europa, aber mehr im Vergleich zu China.