Praxistest : Künstliche Intelligenz: Können Algorithmen Prozesse verschlanken?
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Je intelligenter künstliche Systeme sind, desto komplexere Aufgaben können sie dem Menschen abnehmen. Und genau das ist das Ziel, das man mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) erreichen will. Aus diesem Grunde startete die BMW Group im Dingolfinger Werk für die Erkennung von Typenschildern auf der BMW 3er-, 4er-, 5er- und 6er-Reihe eine Kamera-basierte Anwendung als ergänzendes Prozesselement. Diese Beschilderungen auf den Fahrzeugen weisen auf die unterschiedlichen Modelle und Ausstattungsmerkmale hin. Die KI-Anwendung erkennt dabei die korrekte Anbringung der richtigen Schilder. Natürlich auch für den Fall, wenn keines der Schilder montiert werden soll und Kunden die Option „Modellschriftzug entfällt“ gewählt haben. Hinzu kommt, dass BMW auf Grund einer flexibleren Reaktionsfähigkeit auf die Marktnachfrage künftig Elektro- und Verbrennerfahrzeuge sowie Plugin-Hybride auf demselben Band fertigen möchte. Wobei eine größere Variantenvielfallt die Fehlerquellen ebenfalls erhöhen kann. „Stabile, schlanke Prozesse bilden die Basis unseres Produktionssystems“, erklärt Matthias Schindler, Clusterverantwortlicher Smart Data Analytics im Produktionssystem der BMW Group. „Die Komplexität eines Autos ist bereits heute sehr hoch und wird durch alternative Antriebe, autonome Fahrfunktionen und die Digitalisierung des Produkts weiter zunehmen.“ Dazu müssen unterschiedlichste Anforderungen (Kundenanforderungen, technische Anforderungen, Regulatorik etc.) in das Produkt integriert werden. Die Digitalisierung bzw. KI-Lösungen sollen BMW dabei helfen, diese Anforderungen in einen 60-Sekunden-Takt einzubinden.
Algorithmen sichern Qualität
BMW hat sich daher für die KI-Anwendung der Erkennung von Typenschildern entschieden, um ein innovatives System zur Qualitätsüberprüfung zu testen. Im Fokus steht die Evaluierung hinsichtlich der Robustheit sowie der Kosten dieser innovativen Applikation. „Erfüllt die KI-Lösung letztlich unsere Erwartungen, kann sie bei überschaubarem finanziellem Aufwand schnell auf weitere Standorte übertragen werden“, so Schindler. Darum hat sich der Autohersteller bewusst für eine kurzfristig realisierbare Anwendung entschieden, um möglichst frühzeitig den Nutzen beurteilen zu können und darüber zu befinden, ob sich die KI-Anwendung auch in anderen Werken implementieren lässt. In der Realisierung setzt BMW auf einen zweistufigen Prozess: Zunächst wird ein auf die Anwendung zugeschnittener, individueller Trainingsdatensatz aufgenommen, der die Basis für die Modellbildung darstellt. Anschließend erfolgt der Test des Modells. Sobald die Qualität passt, wird Serien-Hardware bereitgestellt. „Letztlich geht es uns um eine möglichst hohe Prozessqualität und eine maßgeschneiderte Unterstützung für unsere Mitarbeiter“, sagt Schindler. „Denn bei der BMW Group unterstützt immer die Technik den Menschen.“ Das heißt, BMW möchte seine Mitarbeiter bei einfachen, repetitiven Kontrollaufgaben durch Automatismen entlasten und sie dafür gezielter für anspruchsvollere Aufgaben einzusetzen, bei denen es eher auf Feingefühl und Urteilsvermögen ankommt.
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KI bei steigender Variantenvielfalt nützlich
„Die Analysen der Daten falscher oder unvollständig verbauter Teile können uns außerdem dabei helfen, Fehlerbilder zu erkennen, die Ursache präzise zu lokalisieren und abzustellen“, betont Schindler. „Dies ist gerade bei einer steigenden Variantenvielfalt besonders wichtig.“ So erweist sich das KI-System beim Abgleich der Ist-Aufnahmen mit den Daten der Kundenorder als deutlich robuster im Vergleich zu konventionellen Lösungen. Aktuell bewertet BMW die maximale Leistungsfähigkeit des Systems mit dem Ziel, Qualitätsprüfungen in identischer Logik an weiteren Standorten und in weiteren Fertigungsbereichen einzuführen. „Uns geht es darum, auf der Basis konkreter Pilotanwendungen schnell den Nutzen und das weitere Potential der KI in der industriellen Fertigung beurteilen zu können“, verweist Schindler. „Neben der beschriebenen Anwendung zur Qualitätskontrolle streben wir die Übertragung der Mechanismen auf die Optimierung der Anlageninstandhaltung an. Wir prüfen auch, wie uns KI im Rahmen virtueller Planung und Inbetriebnahme helfen kann.“ Gerade im Bereich der Applikationen zur Analyse großer unstrukturierter Daten sieht BMW derzeit ein großes Potenzial.
„Shazam“ für Maschinen
In einem anderen Fallbeispiel ist KI für eine Handy-Stand-Alone-App mit einem Maschine Learning-Backend im Einsatz, um Maschinen im Feld identifizieren und dazu Informationen generieren zu können. Damit löst die App das Problem, sofort und quasi überall an wichtige Informationen zu gelangen, die sonst nur mühsam und zeitaufwendig recherchiert werden müssten. Das können folgende Daten sein: Wo finde ich Ersatzteile? Welche Serviceleistungen gibt es? Wo kann ich mir das Gerät mieten? Welche Kontaktadressen gibt es? Brauche ich dazu einen Fahrer? Im Prinzip funktioniert die App ähnlich wie ein QR-Code. Doch dieser eignet sich nicht für draußen im rauen Feld bei größeren Objekten. „Die maßgeblichen Dimensionen bei der Bilderkennung per KI sind die Dimensionen Zugang und Convenience“, sagt Bastian Halecker, Founder und CEO der Nestim GmbH. „Das bedeutet, die Bilderkennung wird auch zur Kundenschnittstelle und eröffnet so einen neuen Kanal zu einem Kunden.“
Wo QR-Codes nicht funktionieren
Im Grunde funktioniert es folgendermaßen: Wenn ein Foto von einer Maschine angefertigt wurde, sucht das System im Internet nach Matching-Vorschlägen und stellt eine Top-3- bis Top-5-Liste zusammen. Denn eine eindeutige Erkennung des Objektes - wie bei einem QR-Code – ist hier nicht möglich. Daher bietet das System Treffer-Wahrscheinlichkeiten an. Der Nutzer entscheidet dann, ob die Maschine im Display der Realität entspricht. Auf diese Weise wird das KI-System per Machine Learning buchstäblich angelernt. Manchmal kann ein Foto auch zu keinen befriedigenden Ergebnissen führen. Für diesen Fall erteilt die App eine Anweisung, weitere Fotos aus anderen Winkeln aufzunehmen. „Das ist gerade für den Anfang eines solchen Projekts sehr wichtig, um die Fehlerquote zu minimieren, weil der Datensatz noch nicht groß genug ist“, so Halecker. „Zudem haben wir der Bilderkennung immer eine OCR-Texterkennung vorgeschaltet, die das KI-System sofort auslesen kann.“ Fehlen diese Maschinenbezeichnungen, muss ein weitaus größerer Datensatz an Bildern für eine gute Erkennungsquote vorhanden sein. Wurde die Maschine einmal als korrekt identifiziert, landet der Nutzer dann in einem weiteren Schritt auf den so genannten Optionsebenen. Hier erhält der Nutzer die gewünschten Informationen - spezifisch für den Anwendungsfall - zu den Objekten.
Probleme beim Datensatz
Für Projekte dieser Art werden im Grunde sehr viele Daten benötigt. „50 Fotos pro Objekt sind das absolute Minimum“, sagt Halecker. „Idealerweise sollten wir rund 1.000 Fotos pro Objekt zur Verfügung haben. Erst dann kann man von einer guten Trefferquote reden.“ Kein Wunder, dass an der Problematik zu kleiner Datensätze gegenwärtig noch viele Projekte in diesem Bereich scheitern. Denn vielfach liegen die Daten nicht vor. Für diesen Fall muss man raus ins Feld und möglichst viele Bilder anfertigen. Eine andere Möglichkeit bieten so genannte Data-Scraper, die Bilder im Internet sammeln und bereitstellen. „Da diese Datensätze jedoch häufig fehlerhaft sind, braucht man wiederum Mitarbeiter, die sie korrigieren“, so Halecker. „Am besten geht man ins Feld und nimmt die Daten selber auf. Dabei haben wir gelernt, dass Videos eine recht gute Datenquelle sind. Wenn man einmal das Objekt umkreist, entstehen ganz schnell viele (Einzel-)Bilder. Die Maschine kann diese gut auslesen.“ Eine weitere Möglichkeit, um an gute Daten zu gelangen, sind kleine Aktionen, indem man Maschinenführer oder Servicedienstleister bittet, Fotos zu schicken. So ist häufig in solchen Anwendungsbereichen nicht die Logik oder Technik das Problem, sondern vielmehr ein guter Datensatz.
Meinung des Autors: "KI ist kein Heilsbringer"
KI-Projekte haben erstmal nur Leuchtturmcharakter und sollten nicht den schnellen ROI anvisieren.
Im Jahre 2010 lag bei computergestützter Bilderkennung die Fehlerquote noch bei 28 Prozent. 2016 waren es nicht mal mehr 5 Prozent. Kein Wunder, dass die Umsätze im Bereich „Smart Machines“ um knapp 15 Prozent per anno wachsen. Trotzdem haben KI-Projekte erstmal nur Leuchtturmcharakter und sollten nicht den schnellen ROI anvisieren. Das Hauptmotiv kann zunächst nur das Ziel sein, Aufgaben mit neuer Technologie zu lösen. Und KI ist gegenwärtig auch kein Heilsbringer für jedwede Fragestellungen und Probleme. Denn einem Verfahren, das selbstständig lernen und sich verbessern soll, müsste es im Fertigungskontext gestattet sein, auch Fehler zu machen. Das heißt im Klartext: auch Ausschuss zu produzieren. Denn Fehlentscheidungen gehören zu jedem Lernprozess dazu. Das kann man sich jedoch in einer realen Produktion meist kaum vorstellen. Daher erfolgen KI-Pilotprojekte gegenwärtig eher parallel zur laufenden Herstellung.