Bionik : JKU: Der Bioniker des 3D-Drucks
Einen Aufprall mit 1000-facher Erdbeschleunigung. Diese unglaubliche G-Kraft muss der Kopf eines Spechts beim Klopfen abfedern. Die Sonderschau „Spechte - hör mal, wer da klopft!“ im Biologiezentrum Linz widmet sich derzeit diesem Phänomen.
Specht als Vorbild für Kopf-und-Nacken-Schutz
Die Ausstellung, die von Prof. Hans Winkler (Veterinärmedizinische Universität Wien) wissenschaftlich betreut wird, gibt auch Einblicke in die faszinierende Welt von Zoltan Major. Der Leiter des Instituts für Polymer Product Engineering (ippe) an der Linzer Johannes Kepler Universität (JKU) hat mit seinen Mitarbeitern Melinda Bozzay, Theresa Distlbacher und Martin Reiter dafür einen Spechtschädel im Maßstab 1:4 ausgedruckt. Anhand dieses Modells erklärt er das vierfache Dämpfungssystem im Schädel des Vogels. „Für Menschen gilt ein Aufprall mit 100-facher Erdbeschleunigung als lebensgefährlich“, erklärt der Professor. Deshalb sei es hochinteressant, herauszufinden, wie die Dämpfungssysteme beim Specht wirken. Wie schafft es die Natur Knochen, Muskel, Bänder und Knorpel des kleinen Vogels so aufeinander abzustimmen, dass er diesen G-Kräften widersteht. Welche speziellen Materialeigenschaften knochenähnliche, zelluläre Schaumstrukturen mit unterschiedlicher Dichte stecken dahinter. Majors Idee und Forschungsschwerpunkt sind dabei sehr speziell: Mit dem Specht als Vorbild will er nämlich den Kopf-und-Nacken-Schutz in Fahrzeugen verbessern.
Mundstücke für behinderte Personen
Steckt das Spechtprojekt auch noch in Kinderschuhen hat sich der Bioniker des 3D-Drucks mittlerweile einen Namen bei zwei Linzer Krankenhäusern gemacht. Unter dem Projekttitel „RaProErgo“ (Rapid Prototyping für Ergonomie / FFG Oberösterreich Ausschreibung 2015 – Medizintechnik) macht das ippe-Team gemeinsam mit der FH Gesundheitsberufe OÖ Ergotherapie, dem Kompetenznetzwerk Informationstechnologie zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen (KI-I) und anderen Forschungspartnern Mundstücke für behinderte Personen. Mit diesen individuell nach den Ansprüchen der Patienten gefertigten Mundstücken sollen diese in Zukunft Touchscreens von Computern und Mobiltelefonen bedienen können.
Positioniersystem für Bestrahlungstherapie bei Gehirntumoren
Ebenso eng ist die Zusammenarbeit mit dem Ärzteteam der radio-onkologischen Abteilung im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern (Prof. Hans Geinitz). Dabei werden Befestigungs- und Positionierungssysteme für die Bestrahlungstherapie bei Gehirntumoren für jeden Patienten individuell im 3D-Drucker gefertigt. „Der Erfolg einer Therapie hängt in hohem Maße von der Präzision der Bestrahlung ab.“ Deshalb muss der Patient für die Dauer der Bestrahlung in einer fixen Position bleiben. „Mit generativer Fertigung können wir diese an Gesichtsmasken erinnernden Befestigungs- und Positionierungssysteme für jeden Patienten maßgeschneidert herstellen.“ Erste Anwendungen an Patienten werden gerade im Rahmen einer Dissertation vorbereitet.
Gedruckte Lebermodelle
Artifizielle und bioartifizielle Leberunterstützungssysteme sind experimentelle Forschungsschwerpunkte von Prof. Igor Sauer, Oberarzt am Berliner Charité Centrum Chirurgische Medizin. Warum er mit dem ippe zusammenarbeitet, erklärt Zoltan Major so: „Wir arbeiten an Lebermodellen, die für Operationen und Behandlungen einsetzbar sein sollen. Wir befinden uns aber noch in der embryonalen Phase. Wir wollen aus weichem Kunststoff die Mikrostruktur einer Leber samt dem sie durchziehenden Arteriensystem abbilden.“ Ein erstes virtuelles Modell ist bereits vorhanden, eine präparierte Leber liefert die Charité in Kürze als Modell. Aus diesem Modell sowie CT- und MR-Bildern werden dann Engineering-Systeme für den 3D-Druck oder Simulations-Systeme entwickelt. „Immerhin können wir schon jetzt Kleinststrukturen erzeugen, die nur im Mikroskop zu erkennen sind“, bietet Major einen Ausblick in die Zukunft.