Digitalisierung : Industrie 4.0: Womit verdienen Automatisierer künftig ihr Geld?
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Gestern sprach er noch auf dem Industriekongress unserer Schwester Industriemagazin, heute diskutiert er mit Automatisierern über die Zukunft der Fabrik. Wir sitzen, wenn es um Industrie 4.0 und oder die Digitalisierung der Fabriken geht, mit einem Madigmacher, Herrn Prof. Andreas Syska, und einem dezidierten Pragmatiker, Matthias Schagginger, Leiter Produktmanagement von Bachmann Electronic, in Feldkirch zusammen. Dazu gesellt sich auch noch ein Realist, Werner Elender, COO des Unternehmens, und die Fragen für FACTORY stellt Robert Weber.
Factory: Warum sind Sie der Madigmacher der Industrie 4.0, Herr Prof. Syska?
Andreas Syska: (lacht) Diesen Titel kann nur derjenige verliehen haben, der nicht richtig hinhört, was ich zu sagen habe. Denn die Möglichkeiten von Digitalisierung und Vernetzung gehen weit über das hinaus, was derzeit diskutiert wird. Sie bieten uns die historisch einmalige Chance, zu gestalten, wie wir zukünftig leben, arbeiten und wirtschaften wollen.
Und Sie Herr Schagginger – warum sind Sie der Pragmatiker, wenn es um die Digitalisierung der Fabriken geht?
Matthias Schagginger: Ich habe CIM miterlebt und sehe heute wieder Themen und Technologien hochpoppen, die am Ende wenig Sinn machen. Dazu kommt: Dieses Mal ist das Thema Industrie 4.0 auch noch politisch aufgeladen – wem soll das nutzen, frage ich mich.
Ihren Kunden…
Werner Elender: Einige unserer Kunden sind verunsichert. Sie rennen zu Verbandsveranstaltungen und haben die Sorge, den Anschluss zu verpassen. Wir raten an der Stelle dreimal tief durchzuatmen. Es fehlt das gemeinsame Verständnis. Wir sind sehr technikorientiert und der Nutzen und die Vorteile für den Kunden müssen erkennbar sein. Was bringt die Samm-lung von Daten, ohne zu wissen, was man damit anfangen will. Vieles was wir heute erleben, ist aufpoliertes Marketing altbekannter Technologien und keine Innovation.
Andreas Syska: Des Kaisers neue Kleider, halt. Bis auf die webbasierte Vernetzung ist nicht viel Neues da. Die Technologien, die eingesetzt werden, wären auch ohne Industrie 4.0-Schild auf die Agenda gekommen – man verliert sich im Klein-Klein und stülpt Technologie über Fabriken, die es morgen vielleicht gar nicht mehr so gibt.
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Marketing ist per se nicht böse – warum springt Bachmann electronic nicht auf den Zug auf und verkauft ein paar Steuerungen mehr mit Industrie 4.0-ready-Logo?
Matthias Schagginger: Wir nennen die Dinge gerne beim Namen, das passiert bei Industrie 4.0 nicht. Steckverbinder, die es seit den 90-er Jahren gibt, sind auf einmal Industrie 4.0-ready – das glaubt Ihnen doch keiner.
Okay, verstehe. Technologien sind bekannt, kein großer Wurf, vieles wäre auch ohne das Verkaufsschild Industrie 4.0 gekommen, aber neue Geschäftsmodelle sind doch wichtig oder fallen die jetzt vom Himmel!?
Werner Elender: Vom Himmel sicher nicht, aber auch nicht durch Verbands- tagungen oder Ministerien, die den Hype mit Steuergeld forcieren. Wir denken bei Industrie 4.0 oft immer noch nicht vom Endkunden her – darum stockt das Thema, darum sind es die Ausrüster, die das Thema medial forcieren, nicht die Anwender.
Andreas Syska: Fabrikausrüster und Forschung treiben die Politik vor sich her und diktieren die Agenda. Sie führen Projekte durch und erklären der Politik praktischerweise auch gleich, dass diese erfolgreich und die Fördergelder gut angelegt sind. Branchenverbände sekundieren, da sie ein gutes Geschäft für ihre Mit-gliedsunternehmen wittern. So ist ein geschlossenes System entstanden, in dem sich die Beteiligten wechselseitig in ihren Ansichten bestärken und sich gegenseitig herzhaft auf die Schultern klopfen. Seien wir doch
mal ehrlich: Ist es wirklich eine neue Idee, die Performance der Maschine zu überwachen?
Gut und schön, aber wenn Sie selber Geschäftsführer eines mittelständischen Automatisierungsunternehmens wären – was würden Sie machen – sprengen und neu bauen?
Andreas Syska: Ich würde mein bestehendes Geschäftsmodell zerstören, bevor es ein Anderer macht. Ich opfere meine eigenen Produkte, um eine Plattform aufzubauen. Produkte sind nur noch Mittel zum Zweck, um die Plattformen zu betreiben. In Deutschland und auch Österreich ist man vielfach der Überzeugung, dass man Technikwunder hinbekommt, wenn denn nur einmal die Datenformate definiert sind. Man wird dadurch schneller, hat aber nichts Neues erfunden. In den USA läuft das anders. Ich würde mich als Angreifer also zwischen Bachmann electronic und dem Kunden schieben, die Plattform betreiben und dort an allen Geschäften partizipieren. Und dann ist der Steuerungsbauer austauschbarer Komponentenlieferant.
Weitergedacht…Verschenkt Bachmann electronic in Zukunft seine M1-Steuerung?
Matthias Schagginger: Verschenken eher nicht (lacht) – aufgrund der Offen-heit können unsere Steuerungen schon seit Jahren mit Software von Dritten programmiert werden. Natürlich wird die von uns selbst angebotene Software-Infrastruktur stark weiter wachsen und dem Anwender Entwicklungszeit und Kosten sparen. Und neben dem heute üblichen Kauf wird es asset-light Modelle wie Leasing, vielleicht sogar das eine oder andere Betreibermodell geben. Und das Märchen von der Crowd, die einem jegliche Software gratis als Open Source schenkt, glaubt in der Industrie auch niemand mehr. Dort zählt viel mehr, dass etwas wirklich dauerhaft funktioniert.
Werner Elender: Wir kennen das beschriebene Phänomen ja bereits aus der Consumerwelt. Der Unterschied zu unserem Geschäft: Wir als Hersteller haben viele Differenzierungsmerkmale am einzelnen Produkt aufgebaut und unsere Kunden erwarten Zuverlässigkeit, Ersatzteile, Service – auch auf Jahrzehnte. Fest steht aber: Solange ich noch am Produkt hänge, ist Fokussierung auf Plattformen nahezu unmöglich, der Hersteller kann dann nicht loslassen.
Andreas Syska: Ich stimme Ihnen zu. Der Quereinsteiger tut sich leichter. Die größte Gefahr für Produzenten mit Fabrik sind Produzenten ohne Fabrik. Stellen Sie sich vor: Ein Hersteller gibt Patente frei, und stellt die auf einer Platt- form zur Verfügung und profitiert von einzelnen Interaktionen – darin sehe ich die Zukunft. Aber unser Wohlstand hängt an Produktions- und Produkt-Know-how. Das aufzugeben, ginge ans Eingemachte.
Matthias Schagginger: Das erinnert mich an eine Diskussion aus den 90er Jahren. Damals diskutierten wir, ob wir statt einer Software-Lizenz für SCADA, besser ein reines Betreiber- modell anbieten sollen!? Darüber denke ich heute wieder nach. Doch es fehlt mir noch das Einsatzfeld.
Jetzt reden wir also über Plattformen – gut, aber warum sind mittelständische Automatisierer in den IIoT-Plattformen nicht vertreten?
Matthias Schagginger: Die werden von Wettbewerbern geführt (lacht). Aber so eine Plattform könnte auch Google gehören. Wir arbeiten an eigenen Lösungen für unsere Kunden – das ist auch günstiger als in der Google-Cloud, denn billig ist die nicht, auch wenn das suggeriert wird. Wir bieten seit Jahren zwei Cloud-Lösungen an – manches findet große Resonanz am Markt, anderes nur drei oder vier Anwender. Unsere Kunden suchen die Beratung durch uns.
Verständnisfrage – Plattform heißt auch: Apps entwickeln und der Plattform zur Verfügung stellen. Wäre das nicht ein neues Geschäftsmodell für Bachmann electronic?
Werner Elender: Achtung, bei diesem Thema möchte ich einschränken: Hier sind in erster Linie nicht wir als Hersteller von generischen Steuerungslösungen angesprochen, sondern die Maschinenbauer, mit den anlagenspezifischen Funktionen und Informationen.
Matthias Schagginger: Ich habe das noch nicht verstanden. Alle Biotope, die man gezüchtet hat – hofft man – dass sie mal abgehen wie der Playstore im B2C-Bereich. Aber seien wir realistisch: Steuerungen in Werkzeugmaschinen sind und bleiben erstmal geschlossen. Die paar Informationen, die man teilt reichen für eine Anwendung heute sicher nicht aus.
Womit verdient Bachmann electronic in zehn Jahren sein Geld?
Werner Elender: Mit Dienstleistungen und mit mehr Condition Monitoring. Wir entwicklen uns zum Gesamtlösungsanbieter. Darin sehen wir Potenzial.
Matthias Schagginger: Und mit robusten und langzeitverfügbaren Industriesteuerungen. Anders als beim Mobiltelefon wird auch die radikalste Transformation nicht zur elektrotechnischen Neuausrüstung von Industrieanlagen alle 1 bis 2 Jahre führen. Wer jemals ein ERP-System eingeführt hat, weiß, dass es nicht nur um fertige Algorithmen aus dem App-Store geht – da reden wir noch gar nicht von harter Echtzeit. Und darauf, dass sich die ganze Sache vollständig in die Cloud verlagert, werden wir noch weit mehr als zehn Jahre warten müssen, wenn überhaupt. Da fehlt mehr als ein bisschen Infrastruktur und 5G.
Andreas Syska: Ich schlage jetzt einmal einen weiten Bogen: Was macht Sie so sicher, dass in Zukunft noch in Fabriken produziert wird?
Also nicht mehr in die Fabrik investieren?
Andreas Syska: Das Thema muss aus dem kleinen Karo der Fabrik heraus und darf nicht länger einseitig aus der Perspektive der Technologie und der Fabrik diskutiert werden. Man würde damit nur alte Fehler wiederholen, in-dem man Lösungen einführt, ohne das zugehörige Problem zu kennen und ohne Vision einer Welt von morgen. Die Produzenten glauben gerne daran, dass sie mit ihren Fabriken so etwas wie das Hoheitsrecht auf Wertschöpfung besitzen. Wer genau hinsieht, erkennt aber schon heute Anzeichen dafür, dass die Wertschöpfung in Zukunft dezentralisiert sein wird.
Ein Beispiel bitte.
Andreas Syska: Ganz klar 3D-Drucker: Klar stehen heute erste Geräte auch in den Fabriken, künftig aber eben auch in Handwerksbetrieben, im Supermarkt oder bei mir zu Hause. Beispiel Maker-Spaces: Sie ermöglichen jedem den Zugriff auf NC-gestützte Werkzeugmaschinen. Das alles ist der- zeit zwar technisch noch recht limitiert, aber die Fortschritte sind gewaltig. Wenn diese dezentralen Orte der Wertschöpfung einmal vernetzt sind, dann wird sich einiges an Produktion dahin verlagern.
Matthias Schagginger: Aber selbst die brauchen Steuerungstechnik.
Andreas Syska: Ja, aber nicht Ihre. Die baut sich der Windkrafthersteller vor Ort womöglich selber. Sie liefern das Know-how und verlieren den nicht-digitalen Teil der Wertschöpfung, wie Elektronikproduktion, mechanische Bearbeitung, Montage, usw.
Wir sind wieder beim Kunden, der sich verändert… oder der neue Kunde.
Werner Elender: Der Kunde verändert sich ständig und es kommen neue hinzu. Aus diesem Grunde müssen wir unsere direkten Kunden, aber auch die Endkunden und deren Bedürfnisse ständig im Auge behalten. Wir dürfen nicht im Heute verharren, sondern müssen auf die geänderten Anforderungen wachsam reagieren. Ich sehe das aber nicht in erster Linie als Risiko, sondern eher als eine spannende Aufgabe.
Industrie 4.0 ist auch ein gesellschaftliches Thema.
Andreas Syska: Ja, und das wird zu oft übersehen. Wie gesagt, Digitalisierung und Vernetzung ermöglichen uns zu gestalten, wie wir zukünftig leben, arbeiten und wirtschaften wollen. Dabei ist der Stellenwert von Arbeit aber ebenso zu verhandeln, wie die faire Verteilung von Wohlstand sowie der Zugang zu Ressourcen, Informationen und Wissen. Dieses Thema braucht eine Vision – einen Nordstern. Dieser findet sich aber nur außerhalb der Fabriken und der Wirtschaft. Die derzeit ins Scheinwerferlicht ge-schubsten Themen Effizienzgewinn und Marktwachstum – schneller, höher, weiter – sind keine Vision, sondern das Hamsterrad 4.0.
Matthias Schagginger: Gut und schön, aber der globale Wettbewerb treibt uns zu höher, schneller und besser.
Endfrage – wie wirtschaften wir in 2040?
Andreas Syska: 2040 wird sich ein erheblicher Teil der Wertschöpfung in flexiblen Netzwerken abspielen. Mit anderen Worten: Die Wertströme umfahren die klassischen Fabriken. Die Industrie, wie wir sie kennen, hat ihr letztes Kapitel aufgeschlagen. Das ist die eigentliche Folge der Vernetzung des Digitalen.
Werner Elender: Ich möchte da einschränken. Das Szenario gilt nur für Produkte, bei denen keine Langzeitverfügbarkeit notwendig ist. Und gilt nur für Produkte, für die Individualisierung ein relevantes Ziel ist. Massenware braucht weiter Fabriken. Wir werden immer noch Fabriken haben, in denen Menschen arbeiten. Anders arbeiten, aber sie arbeiten. Erneuerbare Energien versorgen die Fabriken der Zukunft und Automatisierungstechnik erleichtert das Arbeiten und schafft Produktivität.
Vielen Dank für das Gespräch!