Industrie 4.0 : Herr Sommer, für was brauchen wir eine Bundesplattform Industrie 4.0?
Herr Sommer mit Oktober 2015 haben Sie offiziell die Agenden des Geschäftsführers des Vereins Industrie 4.0 in Österreich übernommen. Wenn sie morgens ins Büro kommen, was ist das Erste was sie tun, um Industrie 4.0 in Bewegung zu setzen?
Sommer: Ich fahre den Computer hoch.
Was sehen Sie als die größte Herausforderung in ihrer Position?
Sommer: Ängste zu nehmen.
Von den Unternehmen?
Sommer: Unternehmen wie auch von der breiten Öffentlichkeit. Ich habe den Eindruck, dass Industrie 4.0 mit sehr viel mehr Ängsten in Verbindung gebracht wird, als mit dem Potential, das es für die Zukunft hat. Das sehe ich als eine der größten Herausforderungen.
Welche Aufgaben beschäftigen Sie derzeit am meisten?
Sommer: Die operative Arbeit der Plattform, die sich in den Arbeitsgruppen widerspiegeln soll. Die Inhalte und das Aufsetzen dieser Arbeitsgruppen ist ein sehr großes Thema.
Aber diese Arbeitsgruppen (AG) gibt es doch schon. Ich darf Sie an die AG „Menschen in der digitalen Fabrik“ und die AG „F&E Innovation“ erinnern. War deren Arbeit also umsonst?
Sommer: Nein natürlich nicht, diese werden in die Arbeitsgruppen integriert. Wir werden daraus viel fokussierter AGs machen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass diese sehr divers waren. Alles muss ergebnisorientierter werden.
Wie viele Arbeitsgruppen wird es denn geben? Immerhin haben Unternehmen auch begrenzte Personalressourcen.
Sommer: Also im Moment haben wir sieben Arbeitsgruppen. Davon beschäftigen sich fünf mit echten Inhalten und zwei dienen der Kommunikation bzw. der Koordination mit den Bundesländern. Wobei wir bereits überlegen weitere Arbeitsgruppen einzurichten. Ich verstehe die personelle Knappheit, genau deswegen arbeiten wir an stärker fokussierten AGs, damit jene Personen, die teilnehmen auch einen klaren Nutzen daraus ziehen können.
Welchen Nutzen haben Unternehmen wenn sie sich aktiv beteiligen?
Sommer: Wer ein Gestalter von Industrie 4.0 sein will, dem lege ich die Teilnahme nahe. Sehen Sie, diese AGs wie die Plattform selber, sind im Endeffekt ein Polittool. Nicht zuletzt kleine Unternehmen, die bei der Politik wenig Gehör finden, können so ihre Themen platzieren. Das beginnt zB schon beim Thema Förderungen. Wenn eine AG sagt, es macht Sinn das Thema Sensorik stärker in den Fokus zu rücken, dann findet das mit diesem Netzwerk eher Gehör.
Im Moment treffen sich diese AGs nur in Wien? Wird sich das bald ändern?
Sommer: Bereits im Juni wird die erste AG zum Thema Pilotfabrik in Oberösterreich stattfinden und eine weitere bald auch in der Steiermark.
Stichwort Bundesländer: Wie wollen sie den Initiativen-Pluralismus hierzulande bündeln?
Sommer: Ich will ihn gar nicht bündeln.
Sie sehen es also nicht als Aufgabe der Plattform die vielen verstreuten Kräfte an einem Strang ziehen zu lassen?
Sommer: Nein und das hat auch eine sehr einfache Begründung. Auch mit unseren mächtigen Vorständen und Gründungspartnern sind wir im Moment nur eine kleine Geschäftsstelle. Wir würden es nie schaffen die vielen Regionen zu adressieren. Ich bin also froh, dass es diese Initiativen auf Bundesländerebene gibt.
Für was braucht es dann eine Bundesplattform?
Sommer: Was es schon braucht sind Annäherungen und Austausch zwischen den Bundesländern. Diese Schnittstellen wollen wir schaffen und setzen uns darum auch regelmäßig mit den Bundesländern zusammen. Wir müssen Doppelgleisigkeit vermeiden. Aber dass unsere Plattform beginnt in irgendeiner Region spezifische Schwerpunkte zu setzen, sehe ich nicht als unsere Aufgabe.
Sie wollen also keine Fördermittelströme zugunsten ihrer Mitglieder beeinflussen oder Empfehlungen für die Standorte der Pilotfabriken abgeben?
Sommer: Nein, das ist nicht unsere Aufgabe. Förderprogramme wie der Standort der neuen Pilotfabriken sind Agenden der Bundesregierung. Der Traum einer regionalen Ausgeglichenheit bleibt ein Traum. Die FFG Förderungen fließen dahin, wo es starke Kompetenzen und Excellenz gibt.
Wer sich die Mitgliederliste auf Ihrer Homepage ansieht, bemerkt, dass nur ein Softwareunternehmen (IBM) dabei ist. Gerade beim Thema Industrie 4.0: Wo bleiben die Big Player der Szene, wie SAP, Atos, Microsoft?
Sommer: Wir sind wie gesagt im Aufbau. Vor kurzem haben wir einen Umlaufbeschluss aufgegeben, wonach jetzt sechs weitere Mitglieder aufgenommen wurden. Damit sind jetzt die TU Wien, TU Graz, Montanuni Leoben, FH OÖ, FH Kufstein und das VrVis offiziell mit an Bord. Mit vielen weiteren Unternehmen sind wir in intensiven Gesprächen.
Wem soll die Plattform mehr helfen, den Anwendern von Industrie 4.0 oder den Anbietern?
Sommer: Industrie 4.0 ist ein Phänomen das die gesamte Gesellschaft betrifft. Kommt es zur Digitalisierung von Wertschöpfungsketten, trifft das Anwender wie Anbieter. Wir wollen beiden helfen. Aber bei dem Thema geht es um viel mehr als um diese, hier spielen noch ganz andere Interessenten mit. Man denke nur an Arbeitnehmervertreter, Bildungsträger usw.
Ein großer Industriebetrieb bildet den Vorstandsvorsitz. Kritische Stimmen behaupten, dass hier der Bock zum Gärtner gemacht wird. Warum ist Kurt Hofstädter als Siemens-Chef eine kluge Wahl?
Sommer: Mir ist diese Kritik auch zu Ohren gekommen, diese ist völlig unbegründet. Dr. Hofstädter ist neutral und agiert nicht im Namen seines Unternehmens. Er ist enorm engagiert in der Unterstützung des Aufbaus der Plattform. Und jemanden zu haben, der auch international eine sehr gute Reputation zum Thema Industrie 4.0 hat, ist entscheidend. Im Übrigen wurden gestern (17. Mai) ein weiterer Vertreter eines mittelständischen Industriebetriebes (Hans Höllwart, GF SFL technologies), ein Vertreter der Universitäten (Horst Bischof, TU Graz) sowie ein Vertreter der außeruniversitären Forschungseinrichtungen (Klaus Oberreiter, UAR) in den Vorstand gewählt.
Unternehmen, die also ihr Wissen in die Plattform tragen, laufen nicht Gefahr partikularen Interessen zu dienen?
Sommer: Das ist gerade der Charme von solchen Plattformen, dass man nie Partikularinteressen an die Politik oder an wenn auch immer trägt. Diese Angst ist unbegründet. In den Arbeitsgruppen entscheidet keiner allein. Es gibt einen klaren, transparenten Prozess, in den sich alle einbringen können.
Was passiert mit dem Geld aus den Mitgliedsbeiträgen?
Sommer: Mit dem Geld wird die Aktivität der Plattform finanziert. Das fängt beim Organisieren der Arbeitsgruppen an und hört bei der Abstimmung mit anderen Plattformen in Europa auf. Auch in der ersten Mitgliederversammlung im Mai sind wir vollkommen transparent. Dazu werden eigens zwei Rechnungsprüfer (IV, BAK) bestellt. Es wird keinen einzigen Posten geben, wo man sagen könnte, das Geld ist jetzt irgendwohin geflossen.
Eine der Hauptaufgaben der Plattform ist es Wissenschaft, Industrie und Politik unter einen Hut zu bringen. Wie wollen Sie diese drei Lager zusammenbringen?
Sommer: Es gibt auf der EU-Ebene das Triple Helix Modell, das im Prinzip besagt, dass Wissenschaft, Unternehmen und die Politik eine Schicksalsgemeinschaft sind und zusammenarbeiten müssen. Alle haben sehr ähnliche Interessen. Was in dieser Gleichung gerne vergessen wird, sind Arbeitnehmervertreter. Wir wollen Gemeinsamkeiten herausfinden und dazu beitragen, dass es zu Verbesserungen der Rahmenbedingungen kommt.
Gerade beim Thema Industrie 4.0 decken sich politische Zeiträume nicht mit jenen der Industrie. Wie wollen Sie da für Gleichstand sorgen?
Sommer: Gleichstand wird es da nie geben. Technologieentwicklungen werden immer in Forschungsinstituten und/oder in Unternehmen stattfinden. Die Politik kann immer nur auf bestehende Trends reagieren. Ich glaube nicht, dass es darum geht, diese zwei anzunähern. Es geht darum, dass die Politik schrittweise Veränderungen mitträgt, sodass Industrie 4.0 optimal anwendbar wird.
Ihre Plattform wird zum industriellen Sprachrohr an die Regierung. Was sind denn die derzeitigen Probleme?
Sommer: Da gibt es eine ganze Reihe. Einige Unternehmen wissen zB nicht wie sie Industrie 4.0 umsetzen sollen. Was die ersten Schritte sind, wo sie selbst stehen, wo der Mitbewerb steht. Die nächste große Herausforderung ist, dass sich die Tätigkeitsprofile der Mitarbeiter ändern. Es gehen also keine Jobs verloren, im Gegenteil es entstehen Neue, die noch keiner kennt.
Sie haben mächtige Verbände, die ihnen den Rücken stärken. Welche Rolle spielen sie bei der Plattform?
Sommer: Eine sehr aktive Rolle. Diese Verbände haben gesehen, dass es notwendig ist, gewisse Aktivitäten zu bündeln. Industrie 4.0 ist so ein Schlagwort, aber die Digitalisierung der Wertschöpfungsketten ein Faktum. Die sechs Gründungsmitglieder wussten damals ganz genau, entweder sie schauen zu wie sich der Trend entwickelt oder sie gestalten ihn aktiv mit. Gott sei Dank haben sie sich für letzteres entschieden.
Dann sind sie aber sehr aktiv was Inhalte anbelangt, denn von aktivem Output hört man wenig?
Sommer: Das liegt daran, weil wir noch keine erarbeitet haben bzw gerade dabei sind. Doch wenn diese Strategiepapiere einmal stehen, dann gehe ich davon aus, dass sie auch dementsprechend propagiert werden.
Was ist denn die Deadline für diese Strategiepapiere?
Sommer: Also wir sagen Qualität vor Quantität.
Qualität ja , aber wir hinken Deutschland bereits hinterher.
Sommer: Wir sind „Smarte Follower“. Und Deutschland hatte auch schon seine Schwierigkeiten.
Sie meinen Kaiserslautern hat also nicht alle 4.0-Hoffnungen Merkels erfüllt?
Sommer: Genau. Wir können aus den Erfahrungen, die die deutsche Plattform gemacht hat, nur lernen. Wir sind vielleicht nicht die Ersten in Europa, aber bei weitem auch nicht die Letzten.
Mit welchen ausländischen Plattformen wollen sie am intensivsten zusammenarbeiten?
Sommer: Bei der deutschen und der Schweizer Plattform sind wir uns vom rechtlichen Setting her ähnlicher, aber auch mit beispielsweise den Briten, Franzosen oder Koreanern stimmen wir uns ab.
Korea hat eine Plattform für Industrie 4.0?
Sommer: Die Koreaner sind schon extrem weit. Sie haben eine sehr gut ausgearbeitete Initiative. Ironischerweise nennen sie diese „Manufacturing Innovation 3.0“. Sie haben auch 13 Themenbereiche identifiziert, in der sie die Digitalisierung stark vorantreiben wollen.