Nischengeschäft : Handwerk oder Industrie? Die neuen Nischen der Roboterhersteller
Ich war vor sechs Wochen bei einem regionalen Wirtschaftsverband zu Gast. Das Thema des Abends: Robotik. Die Diskutanten: Ein Roboter-Fachmann, einige Sparkassen-Banker, Versicherungsvertreter, überraschend viele Tischler und sogar zwei Goldschmiede. Das Interesse an den Maschinen für das Handwerk war überraschend groß. Die Tischler löcherten den Robotikexperten mit Fragen. Die meisten Teilnehmer des Abends sahen zum ersten Mal einen Roboter im Live-Betrieb. „Das ist dieses 4.0“, erklärte mir mein Sitznachbar, ein Mittvierziger, stolz. Ähm ja, vielleicht ein bisschen, meinte ich aber dazu gehört schon noch mehr. (Hier ein Beitrag von Robotik-Experten und ehem. R&D-Leiter bei KUKA Martin Ruskowski, der behauptet Roboter sind nicht Industrie 4.0) Für die Werkstatt 4.0 wird es aber wohl reichen.
Kollaborative Roboter landauf landab
Meine Skepsis war den Tischlern an diesem Abend völlig egal, wenn der Roboter ihnen helfen kann, einfach zu bedienen ist und günstig erworben werden kann. Genau das versprechen die Hersteller der kollaborativen Roboter landauf landab. Der Hype um die neue Form der Robotik scheint ungebrochen – eine neue Roboterklasse entsteht, wenn denn der Preis stimmt. Mitte Mai verkündete der Automatisierer Pilz seinen Einstieg in den Markt – zugegeben, ein Exot, ausgestattet mit Schunk-Greifern. Die Safety-Spezialisten sind aber in guter Gesellschaft: Igus, Franka Emika mit Voith oder Universal Robots sind schon länger am Start und buhlen um – ja, um wen buhlen sie denn eigentlich? Industrieanwender oder Tischler?
Branchenbeobachter sprechen jetzt schon von einem Hype auf dem Markt und manche kleinen Anbieter mussten schon wieder aufgeben. Viele Jungunternehmen sind Vordenker einer neuen Generation von Robotern mit neuen Bedien- und Programmieroberflächen, die sich eher an der Apple-Welt und weniger an der Industrie-Norm orientierten. Das gefällt dem Werker, denn das Arbeiten mit dem Roboter wird leichter. Das könnte beim Durchbruch helfen – auch bei den Tischlern an diesem Abend, die schnell mit ihrem iPhone noch ein Video von dem Roboter machen – im Hochformat (Kopfschütteln bei passionierten Hobbyfilmer) versteht sich. Roboter faszinieren. Übrigens: Ausgerechnet ein Branchenfremdling, nämlich Gleitlagerspezialist igus, ist ein Vorreiter in Sachen Buhlen um den Handwerksbetrieb.
Keiner entkommt den Cobots
Auf keiner Messe kann man den kollaborativen Robotern mittlerweile mehr entkommen. Kaum ein Werbevideo der Industrie kann auf Roboter verzichten. Sie tanzen, sie heben, sie schenken Bier ein oder lachen einen an. Fast jeder Aussteller lässt den Roboter an seinen Stand Dinge heben oder bunte Knöpfe drücken.
Und das ist der Blick in die Zukunft: Der Roboter in der Elektronikindustrie soll feinfühlig monotone Arbeiten übernehmen, am besten Smartphones zusammensetzen – eine Vision der Hersteller. Die Realität ist eine andere. Ich habe bis dato nur sehr wenige Einsätze gesehen, nur wenige kollaborative Anwendungen in der Industrie wahrgenommen, mal hier und da in der Automobilindustrie als vierte Hand und mal abgesehen von Universal Robots, die seit mehreren Jahren immer mehr Industrieanwender überzeugen können. So auch den burgenländischen Elektronikfertiger Melecs.
Neue Produktionsphilosophie
Und ausgerechnet Universal Robots veröffentlichte vor einigen Monaten ein Whitepaper mit der Vision von Robotern im Handwerk. Die Individualisierung eines Produkts schafft nicht die Massenfertigung mit 4.0, sondern das Handwerk mit einem Roboter, so der Tenor. Das hörte sich zwischen den Zeilen ganz nach neuer Markterschließungsstrategie der Dänen an. Clever: Umso mehr Wettbewerber sich in der Industrie tummeln, desto sinnvoller ist es, sich in einer neuen Branche breit zu machen oder sogar eine ganz neue Produktionsphilosophie für diese zu entwickeln.