Lagerautomation : Hand drauf

E-Food im Vormarsch. Obst und Gemüse werden virtuell eingekauft noch am gleichen Tag in einer Kühlbox dem Empfänger frei Haus zugestellt. Amazon bündelt seit drei Jahren das Angebot von kleineren E-Food Anbietern zu einem zentralen großen Verkaufskanal. Das Internet ist der Innovationstreiber in Sachen Intralogistik, darüber sind sich die Experten einig. Allein in Österreich liegt der Umsatz der im Internet gekauften Waren bei 378 Euro pro Kopf. Tendenz weiter steigend. Diese gewaltige Lager- und Distributionslogistik kann nur mit einem hohen Grad an Automatisierung funktionieren. Die Maschine ersetzt den Menschen, dennoch wird dieser aus dem Lager nicht verschwinden. Seine neue Aufgabe: überwachen und optimieren.
SSI Schäfer setzt sich für Teilautomatisierung ein.
„Der aktuelle Entwicklung bei der Automatisierung der Kommissionier-Jobs geht in Richtung besserer Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine“, beobachtet Harrie Swinkels, Geschäftsführer von SSI Schäfer im deutschen Giebelstadt. Eine Vollautomatisierung des Lagers sieht er nicht als optimale Lösung für jeden Anwender, weshalb SSI Schäfer Lösungen für eine sogenannte „mitwachsende Automatisierung“, sprich stufenweise Teilautomatisierung anbietet. „Technik und Automation müssen immer maßvoll eingesetzt werden“, mahnt Swinkels vor zu viel Übermut. SSI Schäfer liefert spezielle Kommissionier-Stationen, deren Umfeld dem Mitarbeiter Höchstleistungen bei der Kommissionierung ermöglicht und die Ergonomie am Arbeitsplatz verbessert. So schafft die vollautomatische Pickzelle SSI Robo-Pick 2.300 Picks pro Stunde und lässt sich nahtlos in bestehende Lagerarchitekturen integrieren.
Kleiner Helfer: Smart Object.
Dass automatisches Kommissionieren ein hohes Maß an Standardisierung braucht, weiß auch Hans-Christian Graf. Der Leiter des Logistik-Technologie-Zentrums am Logistikum Steyr erwartet einen Paradigmenwechsel in der Automation. „Neue adaptive Systeme der Intralogistik, sogenannte Smart objects, kombinieren kleine, aber intelligente Leistungs- und Funktionseinheiten in möglichst variabler Weise“, erklärt Graf. Smart objects sind in der Regel mit RFID-Chips ausgestattete Lager- und Transportobjekte, die nicht nur ihre Identität kennen, sondern auch ihre Ziele und Routing-Optionen selbständig ermitteln können. „Das führt zum Konzept des Internets der Dinge, bei dem sich das Internet vom Kommunikationsmedium zwischen Computern zum Kommunikationsmedium zwischen logistischen Objekten weiterentwickelt“, so Graf. Bei der vollautomatischen Kommissionierung werden künftig bildgebende Sensoren nicht nur Kommissionierobjekte erkennen, sondern auch untergeordnete Artikel identifizieren können. „Das Greifen wird bei Kleinteilen mittels hocheffizienter Pneumatik und neuer kinematischer Ansätze von Saugelementen durchgeführt“, so Graf. Anbieter wie Knapp oder SSI Schäfer beginnen Systeme zu installieren, die automatisch 2.000 Kommissionierungen pro Stunde schaffen. „Derartige Anlagen werden den Faktor Mensch bei Routinekommissionierungen in absehbarer Zeit mehr und mehr ersetzen“, ist Graf überzeugt.
Mehr Maschine und weniger Mensch heißt unterm Strich, dass die Personalkosten deutlich sinken. Doch das allein ist nicht entscheidend für die Automatisierung. Swinkels gibt Entwarunung: „Viel wichtiger ist die Aufwertung des Mitarbeiters am Arbeitsplatz, weil er statt stumpfes Maschinen-bedienen mit der verantwortungsvollen Koordination der Ablaufprozesse gefordert wird.“
Dematic wagt sich an Frischware.
Dematic, Entwickler und Lieferant von Logistiksystemen hat in der zentralen Umschlagsanlage der dänischen Supermarktkette Netto ein innovatives Konzept realisiert. Dort wurde die Palettenzusammenstellung für Obst und Gemüse automatisiert. Gespickt mit technologischen Raffinessen, neu entwickelter Materialkomponenten und einer intelligenten Materialflusssteuerung werden 70 Prozent aller Auftragspaletten vollautomatisch kommissioniert und versandfertig verpackt. „Für unser Frischwarenzentrum suchten wir seit 2003 nach einer optimalen Lösung, doch vor zehn Jahren war die Technik noch nicht so weit“, erinnert sich Jorgen Larsen, Logistikleiter des Netto-Umschlagszentrums. Bei Frischprodukten steht das One-Touch-Handling im Vordergrund. Dabei sollen die Waren nur einmal von Menschenhand angegriffen werden. Mit manueller Kommissionierung lassen sich mehre Handgriffe nicht vermeiden. Mit der von Dematic installierten vollautomatischen Kommissionieranlage geht das schon.
Knapp hat flexibelsten Roboter der Welt.
Siegfried Zwing, Director Food-Retail Solutions, bei Knapp beobachtet, dass automatisches Kommissionieren vor allem bei der Verwendung von Standardgebinden als auch im Einzelkommissionierbereich en vogue wird. Geht es um Hochleistungen beim Kommissionieren, so bietet Knapp ergonomische Ware-zur-Person-Arbeitsplätze, die dem Lagerarbeiter automatisch mit den Waren versorgen. „Um hier eine dauerhaft hohe Leistung zu erreichen, erfolgt der eigentliche Kommissioniervorgang mit dem flexibelsten Roboter der Welt, nämlich mit der Hand“, so Zwing.
Vollautomatisierung noch nicht gerechtfertigt.
Noch haben Energiekosten eine marginale Bedeutung in der Gesamtkostenbetrachtung und fallen daher bei der Vollautomatisierung nicht ins Gewicht. Allerdings spielt Energieeffizienz im Hinblick auf den gesamten Produktlebenszyklus eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung derartigen Technologien. Vollautomatisches Kommissionieren birgt durchaus die Gefahr in sich, dass Flexibilität verlorengeht. Immer wichtiger wird daher der Blick auf die Life-Cycle-Perspektive und die damit verbundenen Kosten in Gegenüberstellung zum erreichten Nutzen. „Sehr häufig sehen wir den Einsatz von Vollautomatisierung wirtschaftlich noch nicht gerechtfertigt“, so Zwing.
Die Umstellung des Kommissionierens von Menschenhand auf Maschine bedeutet ein nicht unbeträchtliches finanzielles Investment, hat aber auch Auswirkungen auf die Personalkosten. „Errechnet werden diese über die erzielte Leistungen und Qualität der Mitarbeiter gegen erzielte Leistung und Qualität der Automatisierung“, erklärt Zwing. Dem gegenübergestellt werden die Betriebs- und Servicekosten der Maschinen. „Allerdings lassen sich auch in diesem Punkt nicht alle Anwendungen über einen Kamm scheren“, wie Zwing ergänzend betont.