Produktpiraterie : Gefahrvolle Revolution
Es geht ein Schreckgespenst um in der Welt der industriellen Produktion – mit dem wachsenden Aufkommen günstiger 3D-Drucker droht eine Revolution in der Erzeugung von Waren und Gütern, so die Meinung zahlreicher Experten. So könnten die 3D-Drucker in Zukunft eine ernsthafte Bedrohung der produzierenden Industrie werden, warnt etwa Karl-Heinz Leitner vom AIT – Austrian Institute of Technology. Eine Meinung, die auch andere Fachleute teilen. Etwa Michael Weinberg, Rechtsanwalt beim Interessensverband Public Knowledge. Der auf Urheberrechtsfragen spezialisierte Anwalt sieht vor allem die Gefahr, dass durch die günstigen Drucker die Produktpiraterie weiteren Spielraum erhält – könnten Produkte mittels derartiger Geräte doch einfach kopiert und in Kleinserien produziert werden.
3D-Druck keine neue Erfindung.
Nun sind dreidimensionale Druckverfahren keine neue Erfindung, bereits seit rund 25 Jahren ist das Rapid Prototyping ein von der Industrie gern und häufig genutztes Verfahren zur schnellen Erstellung von Prototypen. So fanden sich beispielsweise die ersten Anwendungsgebiete der 3D-Druck-Technologien in der Automobil-Industrie, wo sich die schnelle und kostengünstige Modell-Produktion schnell als Fertigungstechnik durchsetzte. Und nicht nur das, mit Rapid Tooling wurden Spezialwerkzeuge erzeugt, mit Rapid Manufacturing folgte der Einsatz in der Massenfertigung. Doch mit Kosten von bis zu einer Million US-Dollar waren entsprechende Maschinen, mit denen „gedruckt“ werden konnte, lange Zeit in einer Preisliga angesiedelt, die nur für Industrie-Unternehmen leistbar waren.
Open-Source-Prinzipien.
Genau hier gab es in den vergangenen Jahren aber eine rasante Entwicklung. Mit der Entwicklung eines Open Source-Modells für 3D-Drucker gab Adrian Bowyer den Startschuss für einen regelrechten Hype. Bowyler entwickelte den RepRap - ein günstiger 3D-Drucker, der für das Rapid Prototyping verwendet werden kann und alle Kunststoffteile seiner Bauteile selbst herstellen kann - und stellte das Konzept unter der GNU General Public License der Öffentlichkeit zur Verfügung. Schnell fand sich eine Community, die Bowyers Konzept in die Tat umsetzte und entsprechende Geräte baute. In Folge produzierten in den letzten Jahren verschiedenste Startup-Unternehmen auf Basis des Konzepts günstige Geräte, die an die breite Masse vertrieben werden. Mittlerweile sind 3D-Drucker für den Hausgebrauch um etwa 1.000 Euro erhältlich, tausende „Baupläne“ von produzierbaren Waren sind kostenfrei im Internet zu finden. Seit Mitte 2012 arbeitet etwa Reprap Austria an einer eigenen 3D-Drucker-Variante, der Erscheinungstermin ist für Anfang 2013 geplant.
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Wenn heute aber „jedes Produkt mit kostengünstigen 3D-Scannern und -Druckern repliziert werden“ könne, würden klassischen Herstellern enorme Verluste drohen, betont Rechtsanwalt Weinberg. Experten halten daher einen Abwehrkampf im Namen des geistigen Eigentums - ähnlich den Anstrengungen, welche die Musikindustrie gegen illegale Downloads anstrengt - auch im Bereich der 3D-Piraterie für möglich. So hätten bereits erste Gerichtsverfahren um veröffentlichte "Baupläne" stattgefunden. Boom steht erst bevor.
Die potenziellen Auswirkungen einer massenhaften Verbreitung der 3D-Drucker sind groß. „Die Gütererzeugung könnte dadurch komplett auf den Kopf gestellt werden“, erklärt AIT-Experte Leitner. Branchenkenner vergleichen den Zustand der 3D-Drucker-Community von heute gerne mit dem der Computer-Gemeinde in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts. In großen Firmen und Bastler-Garagen seien 3D-Drucker zwar bereits verbreitet, der große Boom stehe aber erst noch bevor. Wenig Wunder also, dass die betroffenen Industriezweige bereits heute Stimmung gegen den 3D-Druck für den Hausgebrauch machen. Und brandmarken die Geräte dementsprechend als Piraterie-Maschinen. Immerhin würden diese die Kopie jeglicher Form in einer ganzen Reihe von Materialien, von Plastik bis Metall, ermöglichen, betont Leitner. Zwar findet Produktpiraterie schon heute in enormen Ausmaß statt, vor allem in asiatischen Ländern. Doch mit 3D-Druckern und Scannern könnten die Fälschungen mittlerweile bedeutend billiger hergestellt werden, da sie nicht mehr mit den selben Werkzeugen hergestellt werden müssen, wie die Originale.
Das geistige Eigentum schützen. Einmal gescannt oder am Computer "reverse-engineered", können die Baupläne für „jedes beliebige Objekt“ als CAD-Modelle in Dateiform „über das Internet verteilt“ werden, so Weinberg. Jeder Besitzer einer solchen Maschine könne sich die Vorlagen herunterladen und sofort mit der Produktion beginnen. Die Hersteller von diversen Objekten, von Möbeln über Spielzeug bis zu Auto-Ersatzteilen, würden daher alles tun, um ihr geistiges Eigentum zu schützen, mit Patenten, geschützten Mustern und unter Umständen sogar mittels Urheberrecht. So gebe es in den USA bereits den Fall eines Designers, der gerichtlich gegen die Veröffentlichung eines Bauplans für das sogenannte "Penrose-Dreieck" vorging. Der Designer wollte seine Rechte unter dem Digital Millenium Copyright Act geltend machen, der üblicherweise von der Film- und Musikindustrie zur Entfernung illegal kopierter Werke bemüht wird.
Weiter geht's auf Seite 3: Erfolgsstrategie gegen China
"Das Urheberrecht ist in diesem Zusammenhang nur für Designstücke anwendbar, die als Werke der bildenden Kunst geschützt werden. Eine Vervielfältigung für den privaten Gebrauch müsste aber selbst hier zulässig sein“, entgegnet der heimische Urheberrechtsexperte Harald Karl von der Kanzlei Pepelnik und Karl. Zu beliebige Objekte müssten eher mit patentrechtlichen Ansprüchen verteidigt werden. Sobald urheberrechtlich geschützte Objekte für andere oder gegen Entgelt reproduziert werden, könnten aber auch hier Schritte gesetzt werden. „Das könnte in Zukunft tatsächlich zum Problem werden."
Erfolgsstrategie gegen China. Doch nicht alle sehen eine aufblühende Piraterie als Folge der 3D-Drucker. Diese seien vielmehr eine Chance für die produzierende Industrie, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen. Lassen sich mit den Geräten doch kostengünstige Kleinserien produzieren. Gerade in Europa könnte dies dem massiven Abwanderungstrend der Industrie in asiatische Niedriglohnländer entgegenstehen, unterstreicht Leitner. Eine Chance, die auch das deutsche Zukunftsinstitut sieht. Zwar würden die Kunden mit 3D-Druckern zu Produzenten und Unternehmen nur noch als „Ideengeber“ fungieren, dennoch könnten sogenannte Fab-Labs (Fabrikationslaboren) die Welt revolutionieren. Denn schon heute werde dort nahezu alles gefertigt, was das Herz begehrt – von der Obstschale bis zum Blutgefäß. Die Fab-Lab Community bestehe derzeit aus einem internationalen Netzwerk mit circa 50 Hightech-Werkstätten. Eine der ersten derartigen Smart-Factorys in Deutschland ist beispielsweise die Kölner Dingfabrik. Geänderte Wertschöpfungsketten.
Auch Robert Gaßner vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Berlin sieht hier Chancen. So könnten etwa globale Wertschöpfungsketten mittels 3D-Druck aufgelöst und die Produktionsprozesse in heimatliche Gefilde zurückgeholt werden. „Manche träumen davon, dass der Prosument (Kunstwort aus Produzent und Konsument, Anm. d. Red.) künftig zum Beispiel Ersatzteile selbst produziert oder kreative Verbesserungen am Produkt vornimmt“, philosophiert Gaßner. Ein Zeichen dafür, dass die Industrie den Wert der 3D-Drucker mittlerweile erkannt hat, ist, dass Industrie-Konzerne zunehmend Unternehmen in diesem Bereich akquirieren. Etwa die General Electric-Tochter GE Aviation. Diese übernahm unlängst die Unternehmen Morris Technologies und Rapid Quality Manufacturing, beides auf Additive Manufacturing spezialisierte Unternehmen. Die Unternehmen belieferten GE schon in den letzten Jahren mit Rapid Manufacturing Teilen für die Luftfahrt, etwa für die „LEAP Jet Engine“ von CFM International. Gedruckte Keramik.
Eine besonders revolutionäre Entwicklung im Bereich des 3D-Druck ist einem heimischen Unternehmen nun gelungen. Lithoz, ein Spin-Off der Technischen Universität Wien (TU Wien), hat kürzlich den ersten serienreifen 3D-Drucker für technische Keramik entwickelt. Die Unternehmensgründer Johannes Homa und Johannes Patzer ermöglichten mit ihrer Erfindung die Erweiterung der 3D-Drucktechnologie auf technische Keramiken. Bis dato konnten nur Metalle und Kunststoffe auf diese Weise verarbeitet werden. Lithoz hingegen fertigt hochpräzise, komplexe keramische Bauteile mit Festigkeitswerten ähnlich der klassischen keramischen Formgebung in jeder beliebigen geometrische Form und Struktur.
Präzisionswerkstücke. Funktionelle Prototypen und Kleinserien könnten dadurch kostengünstig und schnell produziert werden. So wurde etwa in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universität Wien und der Technischen Universität Wien die Herstellung einer funktionsfähigen Herzpumpe realisiert. Das 45 mm kleine medizinische Gerät bestehe aus hochpräzisen keramischen Einzelteilen, deren Produktion ohne den 3D-Drucker von Lithoz gar nicht möglich wäre. Die winzigen Keramik-Präzisionswerkstücke sollen künftig neben der Medizintechnik auch in vielen anderen Branchen – darunter im Sondermaschinenbau, in der Flug- und Raumfahrttechnik sowie in der Schmuck- und Uhrenproduktion - für Aufmerksamkeit sorgen, betonen die Unternehmensgründer unisono. Für Unterstützung in den Bereichen Konstruktion und Fertigung holte sich Lithoz den österreichischen Optomechatronik-Spezialisten WILD ins Boot. „Wir liefern den gesamten Mechanikaufbau mit Wannendrehung, Kippmechanismus und Achse mit Bauplattform“, erklärt Stefan Werkl, Leiter des Geschäftsbereiches Technische Optik bei WILD. Derzeit erfolge der mechanische Aufbau des 3D-Druckers am Standort Völkermarkt, die Elektronikbaugruppen würden aktuell von WILD Electronics produziert, erklären die Unternehmer abschließend.