Interview : Förderpolitik vs Industrie: Friedrich Bleicher zwischen den Fronten
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FACTORY: Herr Bleicher, mit der researchTUb mi-factory haben Sie als Erster einen Demonstrator für die Thematik Industrie 4.0 geschaffen. Warum ist Aspern mehr als nur ein Schauraum?
Friedrich Bleicher: Weil wir in Aspern darauf geachtet haben, dass sich die Demonstrationsfabrik mi-factory selbst finanziert. Wichtig war mir dabei auch die Ausrichtung der Demonstratorprodukte. Hier wollten wir uns zur bestehenden Pilotfabrik-Landschaft abheben. Wir haben in der mi-factory Komponenten in industriellem Maßstab gefertigt – zu Marktpreisen. So sind schon Gelenke für einen E-Roller und Komponenten für ein TÜV-zertifiziertes Elektrofahrrad in Aspern gemacht worden. Diese industrieadäquate Ausrichtung bietet Studenten ein sehr praxisgerechtes Ausbildungsszenario. Das Demonstrationslabor von researchTUb geht jetzt in die Pilotfabrik der TU Wien in Form einer Kooperation mit zwei weiteren Instituten über. Bald bauen wir dort unser neues Hauptprodukt, einen 3D-Drucker.
Ist es denn der Sinn einer Pilotfabrik, Produkte herzustellen?
Bleicher: Sehen Sie, das Konzept der Pilotfabrik sieht vor, dass sich diese nach einer anfänglichen Anschubfinanzierung über Fördermittel aus eigenen Aktivitäten selbst trägt. Das ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für uns beteiligte Institute, zu deren Bewältigung wir im Wesentlichen drei Möglichkeiten sehen. Erstens über Demonstrationsveranstaltungen (Seminare, Kurse), zweitens über anwendungsorientierte Forschungsprojekte in größeren Konsortien mit Unternehmenspartnern und drittens über bilaterale Kooperationen mit Einzelunternehmen zur Technologieweiterentwicklung. Für die Darstellung von Produktionsabläufen und der technischen Zusammenhänge ist dann ein Beispielprodukt unerlässlich.
Gibt es schon ein Beispiel für so ein Demonstrationsthema?
Bleicher: Ja, das gibt es. Wir haben Lösungen zum Thema Energieeffizienz, dem Condition Monitoring und entwickeln gerade Anwendungen einer Schnittstellenlösung auf Basis des Kommunikationsprotokolles OPC UA für die Machine-2-Machine-Kommunikation.
Die große Sensation ist OPC UA nicht mehr. Die meisten Steuerungshersteller bieten das mittlerweile auch an.
Bleicher: Das stimmt nicht. Wer heute Maschinen-und Steuerungshersteller zu OPC UA anfragt, wird zu deren Anwendung oftmals nicht ohne eine proprietäre Lösung auskommen.
Und da wird es teuer ...
Bleicher: Richtig, damit ist aber dem produzierenden Unternehmen unserer Meinung nach nicht immer geholfen. Wir entwickeln eine für den Produktionsbetrieb einfach anwendbare Lösung – vergleichen Sie es mit der USB-Schnittstelle. Unter Laborbedingungen können wir bereits ein „Plug & Produce“-Szenario durchspielen. So kann ein Roboter einmal für eine Maschinenbeladung eingesetzt werden. Wir können ihn aber jederzeit rasch umkonfigurieren und mit einer anderen Maschine kooperieren lassen. In der Pilotfabrik wird das implementiert und getestet. Die ersten Anfragen aus der Industrie liegen bereits am Tisch.
Die Pilotfabrik rechnet sich also bereits?
Bleicher: Ob sich die Pilotfabrik so rechnet, wird sich Ende 2018 herausstellen, dann enden nämlich die Förderungen der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG). Allerdings stellt sich die Frage, ob eine rein monetäre Betrachtung für ein derartiges Projekt der richtige Maßstab ist. Österreich sollte sich auch die Frage stellen: Wie viel ist Innovation wert?
Wie viele Pilotfabriken braucht das Land?
Bleicher: Unter den obigen Gesichtspunkten würde ich die Anzahl auf zwei einschränken.
Sie kennen das Machtspiel der Bundesländer. Aspern wird nicht die einzige Pilotfabrik bleiben. Oberösterreich und die Steiermark werden bald nachrücken.
Bleicher: Da haben Sie natürlich recht, in Österreich wären wohl neun Pilotfabriken gerne gewünscht. Aber so „easy going“ ist das mit diesen Einrichtungen nicht. Das Konzept der Pilotfabrik an der TU Wien sieht vor, dass wir diese mindestens zehn Jahre lang betreiben. Demgemäß waren wir als beteiligte Institute gezwungen, uns Gedanken über ein Businessmodell zu machen, damit sich das Projekt nachhaltig finanzieren lässt. Wir haben genauso Personalkosten, Anschaffungskosten, für die Nutzung der Räumlichkeiten fallen sogar Mietkosten an – zwar durch die Wirtschaftsagentur unterstützt, aber dennoch langfristig eine Herausforderung, wofür wir eine breite Projektpartnerstruktur gewinnen müssen.
Aspern ist nur eine Station auf Ihrer Roadmap Industrie 4.0. Wer tiefer schürft, weiß, dass dahinter etwas viel Größeres steckt. Erzählen Sie mir vom europäischen Kompetenzzentrum KIC-AVM für Manufacturing.
Bleicher: Im November fällt die Entscheidung zum KIC-AVM und ob wir hier in Österreich zu einem Hub für die sogenannte „Knowledge and Innovation Community“ auf EU Ebene werden. Wien wäre damit neben Paris, Mailand, Birmingham und Aachen eines der Co-Location Centres (CLC). Das heißt, wir würden über das CLC mit einer geplanten Laufzeit von 7 + 7 Jahren jährlich im höheren zweistelligen Millionenbereich Projekte abwickeln.
Österreich ist im europäischen Umfeld eigentlich zu klein und dennoch hat sich Wien erfolgreich um das Zentrum beworben. Wie geht denn sowas?
Bleicher: Die Manufacturing-Szene in Europa ist sehr vernetzt, die Akteure arbeiten schon seit Jahren zusammen. Unis, Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen wie BRP-Rotax, Magna, Infineon, Miba, Siemens und SFL haben dafür 2015 unter der Koordination von Prof. Gerhard die Plattform „KIC AVM Austria“ gegründet. Diese hat die Anforderungen und Interessen in Österreich eruiert und auf EU-Konsortiumsebene vertreten. Ich war von Anbeginn an in die Abstimmungen mit den Forschungspartnern involviert. Das KIC-AVM-Konzept baut darauf auf, dass es Forschungsaktivitäten gibt, die durch die KIC-Mittel zusätzlich unterstützt und ausgebaut werden. Und meine von Ihnen vorhin angesprochene Roadmap baut darauf auf.
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Deshalb auch Ihre Bewerbung um das COMET-Zentrum CDP?
Bleicher: Ja, richtig. Kommt KIC-AVM, sollte Österreich auf so etwas bestmöglich vorbereitet sein – und zwar bundesweit und nicht nur in Wien. Mit CDP könnten wir zusätzliche Forschungsmittel über KIC-AVM hebeln.
Zum ersten Mal zwingt der Fördergeber zwei COMET-Zentren zur Zusammenarbeit. Nämlich das Ihre CDP und Ihr Grazer Pendant „Pro2Future“. Wie geht es Ihnen damit?
Bleicher: Die Kooperation zwischen Kompetenzzentren ist für die FFG grundsätzlich nicht neu, allerdings in dieser Größenordnung wohl schon. Diese Abstimmung der Zusammenarbeit geht als Erstlingswerk wohl beiden Konsortien nicht einfach von der Hand. Wir sehen uns mit einem äußerst sportlichen Zeitplan konfrontiert, um die gemeinsamen Themen zu definieren.
Aber ist das nicht genau die Idee von Industrie 4.0, dass diese beiden Welten ineinandergreifen?
Bleicher: Grundsätzlich ja. Als Steuerzahler begrüße ich natürlich diesen Schritt, die Kooperation der zwei Kompetenzzentren zum Thema Industrie 4.0 zu intensivieren und zu einem abgestimmten Gesamtschwerpunkt zu formen. Es würde für ein kleines Land wie Österreich keinen großen Sinn machen, zwei Zentren unabgestimmt zu finanzieren, obwohl sie sich derselben Thematik widmen. Allerdings wenn ich mir die Charakteristik der Auflagen ansehe, ist das eine objektive Herausforderung, die genau ins subjektive Herz trifft. Hier wird nicht nur die Kooperation gefordert, sondern gleichzeitig wird mehr – damit meine ich die Demonstratoren – in kürzerer Zeit und bei reduzierten Mitteln verlangt.
Mehr in kürzerer Zeit – wie soll das gehen?
Bleicher: Wir haben in CDP unter Berücksichtigung der Möglichkeiten, die das KIC AVM- Projekt bieten könnte, Forschungsschwerpunkte abgestimmt. Es wurde die Forschungsagenda im Kompetenzzentrum-Antrag unter Einbeziehung der Firmenpartner entwickelt und dazu von diesen sogenannte „Letter of Commitments“ (LOC) unterzeichnet. Diese LOCs weisen verbindlichen Charakter auf – das verstehe ich aber bidirektional. Das heißt, dass bereits fixfertige Inhalte, die abgestimmt und bestätigt sind, nun umgeschrieben werden müssen. Immerhin finanzieren die Unternehmen so zirka die zweite Hälfte des Budgets; dass diese nicht gerade erfreut darüber sind, liegt auf der Hand.
Wie viele Unternehmen betrifft das?
Bleicher: Wir haben gesamt 45 Firmenpartner.
Welche Deadline wird nun angestrebt?
Bleicher: Wir wollten ehemals mit unserem Konsortium CDP ab 1. Jänner 2017 starten. Jetzt streben wir April 2017 an.
Ist diese Zeitvorgabe einzuhalten?
Bleicher: Beide Konsortien sind gezwungen, die Vorgaben zu erfüllen und die inhaltlichen sowie finanziellen Anpassungen zeitgerecht neu zu adaptieren. Ich schätze den Aufwand dafür innerhalb von CDP mit einigen Personenmonaten ein. Die Firmen wollen und müssen wir dabei einbinden. Die Gespräche, die ich derzeit mit den ersten Unternehmen führe, sind nicht alle als lustig einzustufen. Einige sehe ich als ergebnisoffen an. Der mit der FFG und Pro2 Future abgestimmte Masterplan sieht aber vor, dass wir den 1. April unbedingt halten müssen.
Wenn Auflagen, was müsste Ihrer Meinung nach verbessert werden?
Bleicher: Es gibt zwei Schleifen, die das Paket Auflagen um uns schnürt. Erstens: Die Kooperation der beiden Kompetenzzentren sieht Demonstratoren vor. Diese werden nach zwei Jahren kritisch evaluiert. Da wollen und müssen wir Ergebnisse unserer Forschungsarbeit einem internationalen Review unterziehen. Die zweite Schleife ist zusätzlich noch eine drastische Budgetkürzung. Wir sind also gefordert, dass wir mit weniger Leistung zusätzliche Ergebnisse – frühzeitig – liefern. In der Welt der Physik schwer darstellbar. Eine der beiden Vorgaben muss gelockert werden, wenn wir weiterhin unsere Firmenpartner zufriedenstellend betreuen wollen.
Nach derzeitigem Stand, sehen Sie das Glas halb voll oder halb leer?
Bleicher: Trotz der kritischen Sicht, die gerade von Firmen an mich herangetragen wird, bin ich als Forscher immer positiv eingestellt. Sonst braucht man Innovationsthemen gar nicht aufzugreifen und ich hätte ehemals die Arbeiten zum Antrag für das CDP-Zentrum wohl auch nicht begonnen. Sie erwarten von mir ein klares Statement. In diesem Sinne: „Wir werden mit der FFG einen Weg erarbeiten, wie wir das hinbekommen – und wir werden es hinbekommen!“
Vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Elisabeth Biedermann
Zur Person: Univ.Prof. Dr. Friedrich Bleicher (49) ist seit 2009 Inhaber des Lehrstuhls für Fertigungstechnik und Vorstand des Instituts für Fertigungstechnik und Hochleistungslasertechnik an der TU Wien. Das Institut feiert heuer 200 Jahre Jubiläum.