Weltraumindustrie : Expedition ins Ungewisse
Bei Ruag Space Austria ist jeder Auftrag eine besondere Mission. Im 12. Bezirk in Wien und in Berndorf im Triestingtal entstehen Komponenten für Weltraummissionen. Die Exportquote das Weltraumunternehmens beläuft sich auf 100 Prozent. Geht es um Elektronik für Raumfahrtanwendungen, mechanische und thermische Produkte für Satelliten sowie Hitzeschutz für Trägerraketen spielen die österreichischen Standorte des Schweizer Technologiekonzerns eine wichtige Rolle. Im Bereich der Weltraumthermalisolation ist Ruag Space Austria Marktführer – nahezu jeder europäische Satellit wird mit Thermalisolation aus Österreich vor extremer Hitze und Kälte im All geschützt.
Geschichtsträchtiger Produktionsstandort
Berndorf gilt als der Urstandort für Weltraumtechnik in Österreich. Ruag Space Austria hat vor 30 Jahren in Berndorf mit der Entwicklung von sogenannten Multilayer Insulation (Hitzeschutzfolien) begonnen. Der Hitzeschutz für Spezial-Satelliten muss von Hand aufgebaut werden. Für Andreas Buhl, Geschäftsführer der Ruag Space Austria, sprechen für den Standort in einem Hochlohnland wie Österreich mehrere Faktoren: “Der Produktionsstandort im Triestingtal hat international eine große Bedeutung als Luft- und Raumfahrt-Standort. Wir profitieren von einer großartigen Infrastruktur und bekommen hervorragenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeit, die gerne und auch lange im Unternehmen arbeiten.“
War of talents und Hochtechnologie
Die Wertschöpfungskette aus Berndorf und Wien heraus ist sehr lange, deshalb wird Ruag für große wissenschaftliche Missionen ausgewählt. „Unser Wettbewerbsvorteil besteht darin, dass wir eine eigene Fertigung und ein eigenes Engineering haben. Wir steigen in diesem beratungsintensiven Geschäft tief in die Wertschöpfungskette ein und unterstützen den Kunden bereits in der Angebotsphase intensive,“ so Buhl. Doch auch die Arbeitgeberattraktivität spielt aus Sicht des studierten Physikers und ehemaligen Hubschrauberpiloten eine Rolle: „Unsere Mitarbeiter sind Vollbluttechniker. Es ist sehr wichtig, dass wir gute und anspruchsvolle Aufträge hereinbekommen, um diese schlausten Köpfe zu behalten und neue Talente zu gewinnen.“
Handarbeit für einen Weltmarkt
Im 400 m2 großen Reinraum wurden in Berndorf Flaggschiffmissionen der ESA und NASA ausgestattet: sowohl der Hitzeschutz für die Sonde Solar Orbiter als auch von BepiColombo wurden hier von Hand gefertigt. Für die dünnen Folien, werden dutzende Lagen metallbedampfter Polyester- und Polyimidfolien Schicht für Schicht aufgebaut. So entsteht ein Hitzeschutz der Temperaturunterschiede von -200 bis +300 Grad Celsius stand hält. Bei der europäisch-japanische Raumfahrtmission BepiColombo muss der Hitzeschutz die Raumsonde vor noch extremen Temperaturen von über 450 Grad Celsius schützen. Diese Thermoisolation schützen Satelliten und Messinstrumente vor Strahlung und großen Wärmeunterschieden. Kleinste Fehler im Hitzeschutz können eine Weltraummission scheitern lassen. Den Beitrag, den Ruag zum Erfolg der Raumfahrt-Projekte leistet, ist für Buhl nicht unerheblich: „Der thermische Haushalt im Satelliten ist davon abhängig, dass Wärmeübergänge exakt berechnet sind. Für unsere Ingenieure ist es immer wieder eine Gratwanderung, dass der Satellit letztendlich einwandfrei funktioniert.“
Wiener Spezialkonstruktionen
Mit einem Gesamtwert von fast zehn Mio. Euro ist das Thermalschutzsystem vom Solar Orbiter einer der bislang größten Einzelaufträge für Ruag Space. Darüber hinaus baute man bei Ruag den Hightech-Container für den sicheren Transport des Satelliten auf der Erde. Der Container ausgestattet mit einer speziellen Türkonstruktion und einem ausfahrbaren Satelliten-Trolley soll Schäden an der wertvollen Fracht verhindern. Der Trolley ist ein spezielles Handlinggerät in dem der Satellit montiert und auf Schiffen und Flugzeugen im Container transportiert wird.
Weltmarktführer für Navigationsempfänger
Zum optimalen Thermalmanagement trägt nicht nur die Folie bei. Beim thermischen Haushalt arbeitet das Entwicklungsteam der Ruag eng mit den Satellitenbauern, wie Thales, OHB oder Airbus, zusammen. Im 12. Wiener Gemeindebezirk befindet sich der Engineering-Standort, der die gesamte Thermalauslegung für Satelliten erstellt, sowie die Produktion anderer Produktgruppen. Am Standort in Wien befindet sich zudem die Fertigung der Elektronikprodukte und Öffnungsmechanismen für Satelliten. Hier werden jährlich 20 bis 30 Stück Navigationsempfänger (GNSS-Receiver) hergestellt, eine geringe Stückzahl im Vergleich zu anderen Branchen. „Unsere Navigationsempfänger bestimmen die Position der Satelliten im Online – Modus auf 20cm genau. Im Offline Modus der einen Nachbearbeitung in Rechenzenten benötigt kommen wir auf 2cm Genauigkeit herunter. Die typische Einsatzhöhe eines Erdbeobachtungssatelliten ist ca. 700km über der Erdoberfläche. Das ist ein weltweit führendes Hightechprodukt, dass wir seit 25 Jahren am Standort in Wien weiterentwickeln.“
Weltraumwissen für die Medizintechnik
Aus der Weltraumtechnik lassen sich Technologien in anderen Branchen einsetzen und so kommt die Multilayer Insulation etwa in der Medizintechnik zum Einsatz. Für extrem mit Kälte beaufschlagte Produkte, z.B. bei Magnetresonanztomographie-Geräten, eignen sich die Folien um den mit flüssigem Helium gefüllten Kern abzuschotten. „Vor circa 20 Jahren haben wir begonnen, uns am Standort in Berndorf mit kryogener Technologie zu beschäftigen. Für uns ergab sich damit die Möglichkeit, eine Serienproduktion aufzubauen, die uns künftig in unserem Kerngeschäft nützt. Ein klassisches Beispiel für ein Spin-Off aus dem Weltraumunternehmen in eine höhervolumige Industrie,“ erklärt der Geschäftsführer. Diese Produkte können per Katalog bestellen werden, für das Unternehmen, dass auf Einzelanfertigungen spezialisiert ist, eine Besonderheit. Die Produktionsmenge macht es möglich: Die Lagen werden durch spezielle Abrollfunktionen hergestellt. Anschließend werden die Folienpakete zusammengefüttert und mit einem Lasercutter geschnitten. Im Jahr werden ca. 200.000 m² Folie geschnitten. Damit lassen sich die erforderlichen Mengen an komplexen Formen zu vertretbaren Kosten herstellen.
Für die Serienfertigung ist im letzten Arbeitsschritt immer noch Handarbeit gefragt. Die zugeschnittenen Folien werden zusammengesetzt und ummanteln Komponenten in Kernspintomographen und MRT-Geräten. „Wir haben einen hohen Anteil an Absolventinnen aus Modeschulen in unserer Produktion, denn die Arbeit ist der einer Schneiderin ähnlich. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besitzen das Wissen wie Stoff wirkt und die Fähigkeit zweidimensionales Material in ein hochkomplexes dreidimensionales Gewand umzusetzen,“ sagt Buhl.
Weltraumgeschäft verändert sich
Auch in der technologieintensiven Weltraumindustrie verändert sich der Markt. „Derzeit entwickelt sich das Geschäft in der Raumfahrt in Richtung Konstellationen. Denken Sie etwa an das Starlink-Projekt von Elon Musk,“ so Buhl. In der finalen Ausbaustufe von Starlink soll ein Netzwerk, bestehend aus 42.000 Satelliten, ein flächendeckendes, schnelles Internet garantieren. Auch Ruag konnte von einem anderen Unternehmen mit hunderten kleinen Satelliten einen Auftrag gewinnen, wie Buhl verrät: „Mit den Erfahrungen, aus dem Spin-off, haben wir wertvolles Wissen für unser Kerngeschäft aufgebaut. Damit ist die Serienproduktion von Hitzeschutz im Satellitengeschäft besser realisierbar.“
Dass sich das Weltraumgeschäft von Ruag von manch anderen Unternehmen unterscheidet, zeigt sich auch in einem anderen Bereich. „Ein klassisches Ersatzteilgeschäft, gibt es in der Raumfahrt nicht. Gegebenenfalls wird ein komplettes Spare-Modul gebaut und bei uns auf Lager gehalten. Die längste Aufbewahrungszeit sind 10 Jahre, doch ist der Satellit einmal im Weltraum besteht kein Bedarf mehr,“ verrät Buhl. Abgesehen von einer Sondermission zum Hubble Teleskop, das von einem Produktionsfehler befreit wurde, kennt er kein Beispiel. Mit ein Grund, sind die ungeheuren Kosten, die für solche Reparatur-Missionen anfallen würden. Der Geschäftsführer schätzt, dass sich diese Situation in den nächsten Jahren verändert. Die Entwicklung hin zu Satelliten-Konstellationen trägt dazu bei.
Trotz Covid19 bleibt alles gleich
Aus Sicht von Buhl ist es absolut notwendig, dass sich ein Land wie Österreich weiter im Hochtechnologiebereich engagiert und auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stellt: „Für den Raumfahrtmarkt gibt es weltweit eine gute Prognose: in den nächsten 20 Jahren soll sich der Markt verdreifachen. Die relativ kleine Industrie in Österreich braucht wirtschaftspolitische Unterstützung, um in diesen wettbewerbsstarken Markt mitzuhalten.“
Gefragt nach den Auswirkungen der Corona-Krise sagt Buhl: „Covid-19 wirkt sich auf unser Geschäft vergleichsweise gering aus, weil die Raumfahrtindustrie eine langfristig planende Industrie ist. Viel Leistung kommt aus dem Engineering-Bereich, da arbeiten wir Monate und Jahre daran. Erhalten wir den Zuschlag für einen Auftrag, startet das Projekt mitunter erst 3 bis 7 Jahre später.“ Ein weiterer Grund sind die geringen Stückzahlen in der Herstellung und Lagerhaltung. „Aus heutiger Sicht können wir in einigen Bereichen in denen wir Spezialelektronik brauchen noch ein halbes Jahr lang produzieren. Wir kaufen geringe Mengen ein. Ich vermute wir werden die Folgen erst in einem halben Jahr merken.“