Automation : Echtzeit: Wie Bernecker & Rainer dem Mitbewerb vorauseilt
Aktive Mitgliedschaft erforderlich
Das WEKA PRIME Digital-Jahresabo gewährt Ihnen exklusive Vorteile. Jetzt WEKA PRIME Mitglied werden!
Sie haben bereits eine PRIME Mitgliedschaft?
Bitte melden Sie sich hier an.
Factory: Wer wie wir Stammgast auf der SPS IPC Drives in Nürnberg ist, merkt sehr schnell den Schlagabtausch, den sich hier B&R mit Beckhoff und Siemens liefert. Auf Softwareebene scheint Ihnen aber jetzt mit mapp Technology der entscheidende Vorsprung gelungen zu sein. Wie dicht ist Ihnen der Mitbewerb auf den Fersen?
Obermair: Die Zeiten, in denen Maschinenbauer erst die Mechanik ihrer Maschinen konstruieren und sie dann anschließend automatisieren sind lange vorbei. Erfolgreiche Unternehmen nutzen die Potentiale der Mechatronik, und binden die jeweiligen Entwicklungsbereiche in den Entwicklungsprozess von Anfang an ein. B&R liefert dafür nicht nur die nötigen Engineeringwerkzeuge und Hardware, sondern unterstützt bei Bedarf auch mit Expertenwissen und mechatronischem Know-how, wie die perfekte Automatisierungslösung für jede individuelle Maschine umgesetzt wird. Unser Erfolgsmodell ist es, keine Einzelkomponenten, sondern Lösungen zu verkaufen. Damit sind wir dem Mitbewerb meist einen Schritt voraus.
Dennoch liefern Sie sich ein regelrechtes Kopf-an-Kopf-Rennen mit Ihrem Mitbewerb. Wie soll mapp Ihren Vorsprung sichern?
Obermair: Entscheidend ist nicht, dass wir, sondern dass unsere Kunden mit mapp einen technologischen Vorsprung haben. Sie entwickeln neue Maschinen schneller als ihr Mitbewerb. Damit haben wir viele Maschinenbauer überzeugt. Durch mapp haben wir seit dem Marktstart Ende 2014 zahlreiche Neukunden gewonnen und das Interesse ist weiterhin ungebrochen. Zudem bieten wir bereits seit 1995 Produkte und Lösungen auch oberhalb der Maschinenebene an. Unsere Leittechnikplattform Aprol ist für alle Aufgaben der Prozessleittechnik und Fabrikautomatisierung optimal geeignet. Damit bieten wir unseren Kunden ein durchgängiges System von der Feldebene bis hin zur Fabrikautomatisierung an. Klassische Steuerungstechnik-Anbieter können da nicht mithalten.
Beckhoff bietet mit Twincat Scope und Twincat IoT Communications auch Lösungen in diesem Bereich an und bedient sich eines starken Partners, nämlich Microsoft. Will er sie damit nachahmen?
Obermair: Selbstverständlich gibt es Mitbewerber, die die Bedeutung von Datenerfassung und standardisierter Vernetzung erkannt haben. Für B&R hat es jedoch die höchste Priorität, performante Echtzeit-Lösungen und den Langzeitsupport für unsere Kunden uneingeschränkt sicherstellen zu können. Zudem ist das Thema Hersteller-Haftung in Zeiten wie Diesen auch nicht mehr ganz unbedeutend. Daher entwickeln wir die Kernkomponenten unseres Engineering-Werkzeugs Automation Studio und der Laufzeitumgebung Automation Runtime selbst. In beiden Software-Paketen stecken mehr als 30 Jahre Erfahrung. Wir wissen, dass Mitbewerber auch bei diesen sensiblen Kernkomponenten – also Engineering-Werkzeug und Laufzeitumgebung – auf externe Partner vertrauen. Damit lassen sich manche Entwicklungen natürlich beschleunigen, zugleich wird jedoch das komplette Automatisierungssystem abhängig von Dritten. Das wäre für B&R nicht akzeptabel.
Auch B&R vertraut auf Partner. Ein Beispiel: Im Bereich Business Intelligence arbeiten Sie mit Jaspersoft zusammen.
Obermair: Der Unterschied ist, dass wir nur eine Schnittstellenpartnerschaft haben und nicht das Betriebssystem oder andere Bausteine vollständig in den Kern unserer Systeme integrieren. Jaspersoft ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass B&R für die professionelle Anbindung von Anwendungen und Tools schon immer ein offenes Ohr hatte. Seit mehr als 10 Jahren bieten wir mit Automation Studio ein „Roundtrip Engineering“ mit EPLAN P8. Weitere Beispiele sind integrierte Engineering-Workflows zu MATLAB/Simulink oder MapleSim. Der Fokus ist dabei immer, Anwendern disziplinübergreifender Engineering-Abteilungen das Leben zu erleichtern, und damit auch die Performance des Gesamtwerks positiv zu beeinflussen. Kürzlich haben wir gemeinsam mit Jaspersoft ein Expertentool zur Analyse großer Datenmengen (Business Intelligence) in unser Fabrikautomatisierungs-System APROL integriert. Eine Auswertung von großen Datenmengen (Big Data) direkt im System für die Prozessdatenerfassung eröffnet ungeahnte Analysemöglichkeiten für die produzierende Industrie.
Mit mapp View setzen Sie bewusst auf Webtechnologie und entscheiden sich gegen eine herstellerspezifische Lösung. Wie offen ist die neue Visualisierungslösung gegenüber Siemens-Steuerungen?
Obermair: Die Web-Technologie ist an sich ein weltweiter Standard, der natürlich auch von anderen Mitbewerbern genutzt werden kann. Ergänzend dazu sind viele B&R-Feldbusse und -Kommunikationsprotokolle vertragsfrei als Open-source-Software einfach auf SourceForge.com downloadbar. Jeder Kunde und jeder Mitbewerber ist somit in der Lage, kosten- und vertragsfrei an B&R-Systeme anzudocken. Diese Offenheit ist einmalig auf dem Markt.
Wenn ein Maschinenbauer wie Trumpf produktionsnahe Softwareunternehmen wie Axom kauft und die Gründung eines Industrie-Appstores ankündigt, gibt Ihnen das bei Ihren eigenen Geschäftsmodellen zu denken?
Obermair: Natürlich sind wir als modernes Automatisierungsunternehmen mit neuen Geschäftsfeldern konfrontiert, aber wir sehen dahinter kein neues Modell eher eine Transformation.
Und diese Transformation geht wohin?
Obermair: Ganz klar Richtung Software. Industrie 4.0 ist eine Philosophie, die einen schnellen Innovationstakt vorgibt. Mit mechanischen Mitteln ist dieser Takt nicht zu halten. Die Bedeutung von Software nimmt beständig zu. Unser Geschäftsmodell als Systemanbieter ändert sich dadurch nicht.
Entdecken Sie jetzt
- Lesen
- Videos
-
Podcasts
- Staubmanagement in der Produktion 16.10.2023
- Automatisierung in der Messtechnik 11.09.2023
- 3D-Druck: Neuigkeiten und Trends 17.01.2023
Können wir in einigen Jahren mit einer MES-Lösung von B&R rechnen?
Obermair: Wir sehen im Moment weder Sinn darin, ein ERP-System selbst zu entwickeln noch in den MES-Markt einzugreifen. Unsere Strategie in diese Richtung ist ganz klar: Wir setzen auf offene Standards – allen voran OPC UA –, um sämtliche Produktionsdaten für MES- und ERP-Systeme zur Verfügung zu stellen. Mit vielen proprietären Schnittstellen lässt sich die vernetzte Fabrik der Zukunft nicht umsetzen.
Aber genau diese Schnittstellen beginnen sich zu verschieben. Mit Hana gab SAP erstmals Einblick in ihre Strategie, nämlich immer tiefer hinunter in die Prozessleittechnik zu gehen, sprich in die Fabrikautomatisierung – ihr Spielfeld.
Obermair: Das stimmt, aber interessant dabei ist, wo treffen wir uns. Auch wenn Hanna ein Interface ist, dass Daten in Echtzeit automatisch erfassen und nach oben in die Welt der ERPs implementieren kann, bleibt die Frage, ob diese Anbieter es auch schaffen das Gold im Datenmüll zu finden. Und wir wissen dass Google, Amazon und Co bei diesen Dingen schon wesentlich weiter sind. Sollten diese Konzerne plötzlich Lust bekommen statt Drohnen und Autos Maschinen zu bauen, wird sich sicher sehr schnell sehr viel ändern.
Herr Obermair, Sie haben schon Vorträge zu Industrie 4.0 gehalten. Wie gehen Sie mit der Kritik um, als Vertriebschef auf der Bühne doch nur B&R –Produkte an den Mann bringen zu wollen?
Obermair: Im Rahmen von solchen Industrie-4.0-Vorträgen beginnen wir mit den technischen und organisatorischen Herausforderungen und erzählen nicht von unseren Produkten. Auch sind die Zuhörer sehr aufmerksam dabei, wenn wir anhand unserer eigenen Produktion hier am Standort Eggelsberg konkrete Beispiele vorstellen. „Wir“ heißt in diesem Fall unser IT-Leiter, der zugleich für das Supply Chain Management verantwortlich ist, und ich. B&R produziert übrigens ausschließlich in Österreich. Eine betriebwirtschaftliche Herausforderung, die wir nur dadurch stemmen können, indem wir seit Jahren hart an unserem Supply Chain Management von der Serienfertigung bis hinab zu Losgröße 1 arbeiten. Der Lohn ist ein astreines Industrie-4.0-Werk, das wir auszugsweise sogar beim Forum Alpbach vorstellen durften.
Was ist für Sie der Schlüssel für den Standort Österreich in Sachen Industrie 4.0?
Obermair: Interdisziplinarität. Nur wenn am Ende des Tages alle miteinander arbeiten, die Produktion mit der IT wie mit der Automatisierung, nur dann kann der Traum der Smart Factory schon jetzt sehr fein gesponnen werden. Keine der technischen Disziplinen wie zum Beispiel Robotik, Energie-Monitoring oder das Beschleunigen der Prozesse und Durchlaufzeiten ist alleine der Schlüssel für Industrie 4.0. Industrie 4.0 ist ein Transformationskonzept für produzierende Unternehmen, das sich auf drei Säulen stützt: mehr Produktivität und mehr Qualität mit weniger Ressourcen. Machbar nur mit interdisziplinären Teams. Ein Umstand, den ich immer wieder meinen Zuhörern versuche zu vermitteln.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Elisabeth Biedermann