Nachgefragt : Digitalisierung: Professor Bontrups gewagte Lösung für den Arbeitsmarkt 4.0
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Schon US-Autobauer Henry Ford erkannte: Autos kaufen keine Autos. Was passiert also, wenn durch Maschinen unser Arbeitsvolumen stetig schrumpft und Menschen dann die Mittel für den Konsum fehlen? Aus einem wegrationalisierten Industriearbeiter wird nicht so schnell ein Programmierer, warnt auch der deutsche Professor Heinz-Josef Bontrup. Seit Jahren wirft sich der Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik für den lohnabhängigen Arbeiter in den Ring. Eine Maschinensteuer hält er für ökonomischen Unsinn, das bedingungslose Grundeinkommen für unfinanzierbar und gesellschaftlich kritisch, will aber eine andere Lösung für den Arbeitsmarkt 4.0 gefunden haben.
FACTORY: Herr Bontrup, warum bedeutet Digitalisierung und Automatisierung für Sie einen enormen Druck auf die Arbeitsmärkte?
Heinz-Josef Bontrup: Weil die einfachere, repetitive Arbeit wird zunehmend verschwinden. Auf der anderen Seite werden komplexer strukturierte Tätigkeiten an Bedeutung gewinnen. Doch ich befürchte, wenn man dann den Saldo betrachtet, wird dieser negativ ausfallen. In Summe ist mit einem deutlichen Rückgang des gesamten Arbeitsvolumens zu rechnen.
Jobs werden also wegfallen, aber woanders wieder entstehen...
Bontrup: Aus einem wegrationalisierten Industriearbeiter macht man so schnell keinen Programmierer. Das ist Theorie, die in der Praxis nicht funktioniert. Es verstärkt sich vielmehr eine so genannte gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichtssituation, die insgesamt auf die Gesellschaft durchschlägt.
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Sie sprechen von einer abnehmenden Nachfrage?
Bontrup: Genau. Da das immer produktiver hergestellte Marktangebot mit immer weniger arbeitenden Menschen bereitgestellt werden kann, kommt es zu größeren Nachfrageausfällen auf den Arbeitsmärkten. Die Probleme werden hier zunehmen.
Laut Politik und Medien leben wir doch in Zeiten eines wirtschaftlichen Booms bei nahezu Vollbeschäftigung. Können wir das nicht einfach wegstecken?
Bontrup: Von einem Boom würde ich zurzeit in Deutschland und in vielen Industriestaaten nicht reden. Es ist richtig, wenn in den letzten Jahren in Deutschland bei einer realen Wachstumsrate von ca. zwei Prozent eine gute Entwicklung stattgefunden hat. Wir haben auch einen Rückgang der registrierten Arbeitslosigkeit und einen Zuwachs der Erwerbstätigkeit zu verzeichnen. Nur diese positiven Entwicklungen kommen nicht bei allen Menschen an.
Und das ist ein Problem, weil....
Bontrup: Betrachtet man den langfristigen Trend seit 1991, dann gab es beim Arbeitsvolumen keinen Zuwachs. Und jetzt kommt ein ganz entscheidender Punkt: Wir haben das nicht gestiegene Arbeitsvolumen über Köpfe massiv umverteilt. Es entstand ein gigantischer Zuwachs an Teilzeit und an geringfügiger Beschäftigung. Dagegen ist die Vollzeitquote massiv gesunken. Gleichzeitig wurde der Niedriglohnsektor extrem ausgeweitet.
… bei einer langfristig sinkenden Investitionsquote?
Bontrup: Richtig. Das reale Wachstum schlägt nicht investiv adäquat auf die reale Produktion und das Arbeitsvolumen durch. Die Unternehmen in Deutschland „parken“ ihre komfortablen Gewinne lieber auf den Kapitalmärkten.
Wie viele der Erwerbsfähigen sind nun tatsächlich arbeitslos bzw. prekär beschäftigt?
Bontrup: Bei den Arbeitslosenzahlen müssen wir hier in Deutschland von den rund 2,5 Mio. registrierten Arbeitslosen ausgehen. Hinzu kommen rund 1 Mio. Arbeitslose, die von der Bundesanstalt für Arbeit als „Unterbeschäftigte“ deklariert und aus der Statistik herausgerechnet werden. Das sind zum Beispiel Arbeitslose, die älter als 58 Jahre sind, die sich krank gemeldet und gesundheitliche Einschränkungen haben oder Qualifikationsdefizite aufweisen und Weiterbildungen absolvieren sowie 1-Euro-Jobber. Diese Menschen sind keineswegs „unterbeschäftigt“, sondern werden von der Politik bewusst „wegdefiniert“.
Was sind für Sie Unterbeschäftigte?
Bontrup: Unterbeschäftigte sind vielmehr Arbeitskräfte, die nur einen Arbeitsvertrag für zum Beispiel 20 Stunden pro Woche bekommen konnten und einen Vollzeitjob suchen, aber am Markt nichts finden. So haben heute nur rund 24,5 Mio. der 44 Mio. Erwerbstätige eine Vollzeitbeschäftigung. Die restlichen 14,5 Mio. sind Teilzeitarbeiter oder geringfügig Beschäftigte bei einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von gut 16 Stunden.
Die Rechnung müsste also laut Ihnen wie lauten?
Bontrup: 2,5 Mio. Arbeitslose gemäß Arbeitsamt plus 1 Mio. als „Unterbeschäftigte“ wegdefinierte Arbeitslose, 3 Mio. der Teilzeitarbeiter, die viel lieber in Vollzeit arbeiten würden und wenn man möchte auch die 1 Mio. Scheinselbstständige. Das sind in Summe 7,5 Mio. Arbeitslose.
Ist das nicht etwas provokant?
Bontrup: Warum? Bedenken Sie eine Umschichtung bei konstantem Arbeitsvolumen: Auf einem Arbeitsplatz hat man zwei bis drei Beschäftigte draufgesetzt. So geht natürlich die kopfbezogene Arbeitslosenzahl wundersam zurück. Hier muss man vor allem den ökonomischen Effekt beachten: Wenn so viele Menschen in die Teilzeit geschickt werden, dann kommt natürlich nur ein kleines Einkommen heraus. Wovon man aber kein menschenwürdiges Leben führen kann.
Wenn die Digitalisierung mit ihrem Rationalisierungspotenzial am Arbeitsmarkt tatsächlich greift, würde ein bedingungsloses Grundeinkommen das Problem doch lösen?
Bontrup: Hierzu ein ganz klares Nein. Zum Ersten mag ich es nicht, wenn Menschen in einer Gesellschaft andere für sich arbeiten lassen. Bei Arbeitslosen ist das übrigens nicht so, da der Arbeitslose sein Schicksal nicht frei gewählt kann. Zum Zweiten lehne ich es aus Gründen der Motivation ab.
Warum sollte es der Motivation schaden?
Bontrup: Wie soll vor allem bei jüngeren Menschen Motivation entstehen, wenn sie wissen, dass sie bedingungslos eine bestimmte Summe erhalten? So entstehen Parallelgesellschaften. Und zum Dritten ist es nicht finanzierbar. Sehen Sie, wir hatten 2016 in Deutschland eine verteilbare Wertschöpfung von knapp 2,4 Milliarden Euro (Volkseinkommen). Wenn jeder der über 80 Millionen Deutschen 1.000 Euro pro Monat bekommt, dann bekommen diese fast eine Milliarde Grundeinkommen. Wir erarbeiten aber nur 2,4 Milliarden. Das ist eine absurde Forderung.
Dann wäre also eine Maschinensteuer zielführender?
Bontrup: Das ist ebenfalls ökonomischer Unsinn, weil eine Maschine an sich keinen Wert schafft, sondern nur im Zusammenhang mit einem Menschen. Sie kann ja nur einen erwirtschafteten Mehrwert besteuern. So können auch Unternehmensabgaben nur auf die Wertschöpfung eines Unternehmens bezogen werden, nicht auf eine Maschine. Die Wertschöpfung setzt sich aber nur aus vier Arten zusammen: Löhne, Zinsen, Mieten/Pachten und Gewinne. Worauf soll dann bitteschön eine Maschinensteuer bezogen werden?
Wo liegt dann für Sie die Lösung in diesem Dilemma?
Bontrup: Wir fordern die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich.
Eine Forderung die auf Spott stößt...
Bontrup: Ich kann das in einem Modellbeispiel gerne vorrechnen (siehe auch extra Kasten): In einem Musterbetrieb arbeiten 100 Beschäftigte zu einem Stundenlohn von 15 Euro 40 Stunden pro Woche. Bei konstantem Arbeitsvolumen und einer Produktivitätssteigerung von 2 Prozent kann in der gleichen Zeit statt einer angenommenen Leistung von 500 Stück nun eine Leistung von 510 Stück erstellt werden. Diese zwei Prozent liefern die Basis für die Verteilungs- bzw. Finanzierungsmasse, die an die Beschäftigten (2 Prozent auf 15 Euro sind 0,30 Euro) als Lohnausgleich weitergegeben werden können. Gleichzeitig wird die Arbeitszeit um diese 2 Prozent (0,8 Stunden in der Woche pro Kopf) reduziert.
Und wie hilft das Arbeitslosen?
Bontrup: Bezogen auf die gesamte Belegschaft kommen so 80 Stunden pro Woche zusammen. Dafür können zwei Arbeitslose eingestellt werden. Gleichzeitig wird wieder das alte Arbeitsvolumen erreicht. Wobei sich die Beschäftigtenzahl auf 102 erhöht. Die zwei neuen Mitarbeiter bekommen jetzt sofort den neuen erhöhten Stundensatz von 15,30 Euro.
Damit steigen aber die Arbeitskosten von 60.000 Euro auf 61.200 Euro ...
Bontrup: Ja, aber jetzt kommt der Clou: Der Anstieg ist ökonomisch völlig uninteressant, da die Leistung ja ebenfalls gestiegen ist. Und ganz wichtig: Die ökonomisch entscheidenden Lohnstückkosten bleiben unverändert.
Das Prinzip des vollen Lohn- und Personalausgleichs kennt also keine Verlierer?
Bontrup: Nein, da im Befund eine Lohnstückkostenneutralität vorliegt. Somit erhalten wir auch eine Verteilungsneutralität. Daher müssen auch keine Preise (Inflationsneutralität) erhöht werden. Gleichzeitig steigt für die Unternehmer der absolute Gewinn in Höhe der zwei Prozent Produktivitätszuwachs. Ein erfreulicher Effekt für die Unternehmer: Sie müssen die Arbeitszeitverkürzung mit Lohn- und Personalausgleich nicht finanzieren. Das heißt, die Arbeitslosen und Beschäftigten finanzieren sich selbst.
Wird das genügen, um die Probleme zeitnah zu lösen?
Bontrup: Nein. Weil 30 Jahre „gesellschaftlich“ geschlafen wurde und die Gewerkschaften nur Lohnrunden gefahren haben, müssen wir jetzt in die Gewinne rein. Wenn wir heute für die Vollzeitbeschäftigten von einer 38-Stundenwoche in fünf Jahren auf eine 30-Stundenwoche runterfahren wollen, geht das nicht allein über die Produktivität. Das heißt, es müsste die Gewinnquote sukzessive bis zum fünften Jahr um knapp sieben Prozentpunkte sinken.
Da werden Unternehmen kräftig Alarm schlagen.
Bontrup: Aber bitte, das ist doch wirklich nicht sonderlich dramatisch. Abgesehen davon können die Unternehmen auf Grund der Lohn- und Beschäftigtenzuwächse mit verstärkten Nachfrageeffekten rechnen. Zudem hat der Staat keine fiskalischen Kosten für die Arbeitslosigkeit von ca. 50 Mrd. Euro jährlich zu stemmen.
Was passiert mit den eher schwer vermittelbaren Arbeitslosen?
Bontrup: Wir von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik sind der Auffassung, dass die von uns abgeleitete Zahl der 7,5 Mio. Arbeitslosen nicht komplett in die Unternehmen reinzuholen sind. Da es auch geringer Qualifizierte oder gesundheitlich eingeschränkte Arbeitskräfte gibt, brauchen wir zusätzlich einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor.
Wie könnte der aussehen?
Bontrup: Zum Beispiel in Kommunen könnten Menschen, die an den regulären Arbeitsmärkten chancenlos sind, über Steuern finanzierte Jobs zu fairen Löhnen aufnehmen und gesellschaftlich wertvolle Arbeit verrichten. Ein Großteil des Steueraufwands kommt dann über zusätzlich generierte Nachfrageeffekte in die Märkte und in die Staatskasse wieder zurück. Darum denken wir, dass Ludwig Erhards Forderung „Wohlstand für alle“ auch in einer globalisierten Welt von heute möglich ist.
Vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Otto Geißler.
Zur Person: Prof. Dr. rer. pol. Heinz-Josef Bontrup lehrt Wirtschaftswissenschaft und Arbeitsökonomie an der Westfälischen Hochschule. Bekannt ist er unter anderem auch als Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, die jedes Jahr ein „Gegengutachten“ zum Gutachten des Sachverständigenrats der deutschen Bundesregierung, den „Wirtschaftsweisen“, erstellt.