Leonhard Muigg : Digitale Transformation: Was Südosteuropa besser macht
Wer in den Chefetagen die Frage stellt: Was unter der digitalen Transformation verstanden wird, erhält hierzulande immer ähnliche Antworten. Manifestiert hat sich dabei die Meinung, dass Digitalisierung hauptsächlich ein IT-Thema sei. Fragt man weiter, wo Unternehmer die Herausforderungen oder Blockaden für die Umsetzung von Digitalisierungskonzepten sehen, wird – derselben Logik folgend – das limitierte Technologie-Budget genannt. An dieser Stelle kommt nicht selten die Sorge der Nicht-Akzeptanz durch die Mitarbeiter ins Spiel. Spannend ist, dass ehemals kommunistischen Staaten einen ganz anderen Zugang erkennen lassen. Die Bereitschaft, vorhanden Abläufe und Technologien auf den Prüfstand zu stellen, ist in diesen Ländern viel höher. Im Unterschied zu Österreich. Denn bei uns sind Anforderungsdefinitionen an neue Lösungsarchitekturen von langwierigen Diskussionen über Tools oder Abläufe geprägt. Selbst dann, wenn der Aufwand, um bestehende Systeme einzubinden, enorm groß ist und in keinem Verhältnis zum vermeintlichen Nutzen steht, wird daran festgehalten.
Höhere Bereitschaft zur Transformation
Warum sind Industriebetriebe in Südosteuropa flexibler? Warum werden dort im Einsatz befindliche Systeme, die Kernprozesse unterstützen, schneller in Frage gestellt als hierzulande? Warum ist die Bereitschaft des Projektteams ein gängiges Tool durch ein anderes zu ersetzen viel höher? Dazu habe ich vor Kurzem auf einer Veranstaltung eine interessante Erklärung erhalten: „Bedenken, Sie, Herr Muigg, dass unsere Industrie vor nicht allzu langer Zeit schon einmal einen großen Schritt zu setzen hatten. Nach dem politischen Umbruch in unserem Land mussten unsere Fertigungsbetriebe rasch auf den industriellen Standard in Zentraleuropa umstellen. Da hatten gewohnte und liebgewonnene Werkzeuge und Abläufe keinen Platz mehr. Wir haben damals gelernt, dass Sentimentalität nicht angebracht ist, wenn es darum geht konkurrenzfähig zu bleiben.“ Genau dieser Spirit ist in ehemals kommunistischen Ländern immer noch zu spüren. Akzeptanzlevel, Veränderungsbereitschaft und Innovationsfähigkeit sind hier erkennbar höher als bei heimischen Betrieben. In Österreich herrscht leider die gefährliche Meinung vor, dass Erfolge der Vergangenheit auch die Zukunft prägen.
Digitalisierung ist ein Change-Prozess
Hierzulande fehlen oft die Ideen, die eigene Kernkompetenz in neue, gewinnbringende Geschäftsmodelle zu transferieren. Und das führt mich wiederum zurück zum Management-Level der Betriebe, der bei der digitalen Transformation nicht selten hinderlich agiert. Denn Digitalisierung mehr oder weniger auf IT zu reduzieren, ist viel zu kurz gegriffen. Technologie spielt diesbezüglich nur eine untergeordnete Rolle. Das Hauptgewicht eines Digitalisierungskonzepts muss auf der Veränderung der Organisation liegen. Erst in weiterer Folge sollten technische Rahmenpunkte geklärt werden. Dass das sehr tief in das Thema Consulting greif, ist klar. Dass Siemens das früh erkannt hat, aus konzerninternen Projekten viel gelernt hat und damit nun Kunden helfen will, wohl auch.