FACTORY: Warum interessiert sich die AUVA für Digitalisierung?
Georg Effenberger: Einerseits wegen der daraus resultierenden Risiken, andererseits ist es für die AUVA eine Chance die Prävention besser in Arbeitsabläufe zu integrieren. Unser Ziel ist den Unternehmen dabei zu helfen, die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung zu erkennen und Lösungsstrategien zu entwickeln. Um die notwendige Expertise aufzubauen, sind wir in multinationalen Vorhaben und Projekten aktiv.
Ist die Digitalisierung aus Ihrer Sicht in den Betrieben bereits angekommen?
Effenberger: Vernetzung und Digitalisierung sind aus meiner Ansicht noch nicht zur Gänze in den Betrieben angekommen. Im Moment geht es da noch viel um Marketing. Wo die Digitalisierung aber in der Praxis bereits zu finden ist, ist bei der Fernwartung von Maschinen oder der Störungsbehebung – wo wir auch schon bei einem Beispiel für eine potenzielle Gefährdung wären.
Worin besteht die Gefahr, wenn bei einer Maschine ein Update gemacht wird?
Effenberger: Die Maschine könnte auf einmal anders reagieren, als es der Benutzer gewohnt ist. Das alleine wäre noch kein Problem, solange die Maschine hinter Schutzzäunen versteckt ist. Bei kollaborierenden Systemen, wo man dazu übergeht die Gefahrenbereiche zu „überschneiden“, birgt das hingegen Sicherheitsrisiken. Kollaboration kann funktionieren, nur müssen sich dann beide – der Mensch und die Maschine – entsprechend verhalten. Wenn sich aber die Maschine verändert, weil sie dazulernt, dann ist die Frage, wo setzt man Grenzen? Wie weit kann eine Änderung gehen und wie weit darf sie nicht gehen. Hierbei geht es dann auch um Themen wie künstliche Intelligenz (KI). Ich bin mir sicher, es gibt schon Entwicklungen in diese Richtung.
Was ist zu tun, wenn im Endeffekt eine neue Maschine „entsteht“?
Effenberger: In der Maschinen-Richtlinie bleiben solche Fragen offen. In der derzeitigen Version ist definiert, ab wann man von einer neuen Maschine spricht bzw. wann eine tiefgreifende Verkettung oder eine wesentliche Änderung vorliegt. Ob das einfach mit einem Update der Steuerung erreicht ist, muss der Hersteller abschätzen. Dazu gibt es definierte Kriterien: Handelt es sich um eine wesentliche Leistungserhöhung wurde lediglich das Sicherheitsniveau erhöht. Aber das Thema gibt es nicht nur bei Maschinen im klassischen Sinn, sondern auch bei Fahrzeugen. Eine neue Version der Software wird eingespielt und dann wartet man auf Nutzerfeedback. Ob das wirklich der Idealzustand ist, bezweifle ich. Aber das ist die Logik der IT. Das verhält sich nicht so, wie in der MSV 2010 oder der Maschinen-RL geregelt. In den nächsten Jahren wird daher mit Sicherheit eine Überarbeitung dieser Richtlinie erfolgen und darauf Bezug nehmen müssen.
Da Sie es anfangs erwähnt haben, sehen Sie ein baldiges Ende von Schutzzäunen?
Effenberger: Nein. Weil es aus vielerlei Gründen einfacher ist Gefahrenbereiche bei Maschinen und Anlagen „einzuhausen“. Andernfalls benötigt man zusätzliche Sensoren und Sicherungen, das wird kompliziert. Ich kann nicht bei einem Roboter den ganzen Bereich, den er prinzipiell zur Verfügung hat, als Kollaborationsbereich definieren. Wenn doch, müsste sich der Roboter so langsam bewegen, dass das Ganze nicht mehr effizient ist. Außerdem sind kollaborierende Systeme dafür da, um Stärken des Menschen und der Maschine zu vereinen. Wenn es nicht so ist, dann ist der Schutzzaun die bessere Lösung.
Und wo beginnt Sicherheit von „digitalen Produktionsanlagen“?
Effenberger: Bereits bei ganz einfachen Dingen wie sicheren Passwörtern. Wenn der Hersteller die Maschine mit dem voreingestellten Benutzername und Passwort »admin / admin« ausliefert und es keinen Zwang gibt das zu ändern, kann bereits von einer Gefährdung ausgegangen werden. Viele Unternehmen sind sich des damit einhergehenden Risikos nicht bewusst und machen sich angreifbar. Hier muss das Bewusstsein von Arbeitgebern und den Verwendern geschärft werden. Auch für Sicherheitsfachkräfte ergeben sich durch das Zusammenwachsen von Safety und Security (z. B. sichere Passwörter) neue Fragestellungen. Wir empfehlen, dass die Passwörter für die Einstellung von sicherheitsrelevanten Parametern auf den Maschinen von Sicherheitsfachkräften verwaltet werden.
Wie gewinnt die AUVA Wissen zum Thema Digitale Prävention?
Effenberger: Gemeinsam mit Forschungseinrichtungen bauen wir unser Knowhow weiter auf. Wir sind beispielsweise eine Kooperation mit der TU Graz eingegangen. In deren Pilotfabrik beschäftigen wir uns mit Arbeitssicherheit vor dem Hintergrund der Digitalisierung. Wir beginnen auch Unternehmen bei Forschungsprojekten zu Digitaler Prävention zu unterstützen und haben in unser Schulungsprogramm neue Seminare aufgenommen. Der Begriff Prävention ist hier aber weiter zu fassen, da geht es nicht nur um Maschinensicherheit. Für Unternehmen kann ein solches Forschungsprojekt in mehrfacher Hinsicht von Vorteil sein. Denn jede Störung – sei es nun ein Unfall oder ein technisches Problem – führt zu zusätzlichen Kosten und am Ende des Tages geht es um eine störungsfreie Produktion und die bestmögliche Leistung der Beschäftigten.
Ein weiterer Bereich dem Sie sich verschrieben haben ist die Ergonomie. Wie wirkt sich hier die Digitalisierung aus?
Effenberger: Die Ergonomie schaut mit der Zentrierung auf den Menschen darauf, wie Arbeit gestaltet sein soll, damit es den Menschen dabei gut geht und er optimal Leistung erbringen kann. Da sind wir bei den Details zur normalen Arbeitsplatzgestaltung bis hin zu Fragen, die sich im weitesten Sinne mit Softwareergonomie und Usability beschäftigen: Wie eindeutig sind Maschinensteuerungen zu bedienen? Oder auch, wie wirken sich Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR)-Systeme auf den Menschen aus. Diese Fragestellungen werden auch international untersucht.
Welche Fragestellungen gibt es da?
Effenberger: Für Schulung, Ausbildung und Training scheinen AR- und VR-Systeme ideal. Es sind aber relativ wenig Daten verfügbar, obwohl es in manchen Bereichen schon jahrzehntelange Erfahrung mit diesen Systemen gibt, denken Sie z. B. an Flugsimulatoren in der Luftfahrt. Daher muss erforscht werden: Wie viel Information kann ich jemanden zumuten und ab wann wird sie einfach zur Störung und Ablenkung bzw. welche Gesundheitsrisiken, wie etwa Epilepsie, gibt es?
Arbeitet die AUVA auch selbst mit Virtual Reality-Anwendungen?
Effenberger: Ja, wir haben beispielsweise ein VR-System mit einem Haltungsanalysetool verbunden. Damit kann analysiert werden wie sich bestimmte Abläufe auf den Körper auswirken. In diesem Fall haben wir einen virtuellen Lagerraum in dem man verschiedene Tätigkeiten durchführen muss. Im Hintergrund wird die Körperhaltung detektiert. Damit lässt sich analysieren welche Gelenke bei welchen Tätigkeiten besonders belastet werden.
Lassen sich solche Arbeitsabläufe den überhaupt 1:1 simulieren?
Effenberger: Es gibt natürlich Grenzen. Ich kann die virtuelle Kiste nehmen, aber ich spüre natürlich nicht das Gewicht der Kiste. Wenn wir z.B. Dinge vom Boden aufheben, dann hat das Gewicht einen wesentlichen Einfluss wie wir uns bewegen (sollen). Damit können sich andere Bewegungsabläufe ergeben, die dann den Wert der Analyse schmälern.
Bringt die Digitalisierung bereits mehr Sicherheit in die Produktion?
Effenberger: Nein, vorerst ist davon nicht zu bemerken. Aber für eine generelle Aussage darüber ist es noch zu früh, da die Digitalisierung in den Betrieben noch wenig verbreitet ist. Über Unfälle gibt es auch noch kein wirklich belastbares Zahlenmaterial in Österreich. In der Unfallforschung müsste man sich das dann auch ganz genau ansehen, wo ist wirklich etwas passiert und was war die tatsächliche Ursache.
Abschließend, gibt es bald eine vorhersagende Prävention?
Effenberger: Ich bin skeptisch, ob künstliche Intelligenz die Vorhersage von Unfällen ermöglicht. Denn diese basiert ja im Prinzip auch auf nichts anderem als Wahrscheinlichkeitsrechnungen, die ein bestimmtes Muster weiterspielen und dann Ereignisse prognostizieren. Das funktioniert vielleicht bei Instandhaltung, aber nicht mit Sicherheit. Das menschliche Verhalten lässt sind nicht so weit vorhersagen.
Danke für das Gespräch!