Meinung : Die Instandhaltung im Zwiespalt der Digitalisierung
Was verspricht das Szenario der Instandhaltung 4.0? Klar, alles wird schneller und besser. Ganz groß im Rennen: Die "Realtime-Instandhaltung" durch totale Vernetzung und absolute Verfügbarkeit aller Daten und Fakten. Von Kostensenkung und Beschleunigung der Instandhaltungsprozesse bis zur selbstüberwachten Anlage. Und das alles mit Sensoren, die ihre Zustände mitteilen und Störungen direkt an die Instandhaltung aufs Smartphone oder Tablet melden. An jeder Maschinen befindet sich ein Webinterface, bei Störungen kann der Werker direkt Meldungen an die Instandhaltung eingeben und sofort einen Arbeitsauftrag erstellen. Das Problem: Das ist nicht die Realität in mittelständischen Produktionsbetrieben und selbst wenn, ist diese Datenflut, das was wir wollen bzw die Instandhaltung braucht?
Auf Rauchzeichen der Maschine warten
Um diesen Datentsunami der Vollvernetzung bearbeiten zu können, braucht es qualifiziertes Personal für die Auswertung. Allein um Pläne und Dokumentationen der Instandhaltung per Server oder Cloud den Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen, muss zusätzliches Personal eingestellt werden, das die Daten aufbereitet. Und überhaupt, was bedeutet denn Realtime-Instandhaltung? Da frag ich mich schon: Haben die Instandhalter bisher denn nur Kaffe getrunken und auf Rauchzeichen der Maschinen gewartet? Die Effektivität der Instandhaltung hängt nicht unbedingt von der schnellen Übermittlung von Aufträgen ab. Es ist vielmehr die Qualität der Störmeldung und die Verfügbarkeit der Ersatzteile sowie die Reaktion der Mitarbeiter an sich.
Anwenderfreundlichkeit mit sehr viel Luft nach oben
Smartphones und Tablets sind eine sinnvolle Errungenschaft und garantiert sehr hilfreich bei den Aufgaben. Kleiner Beigeschmack auf den gern vergessen wird: Jedes Gerät benötigt dann natürlich eine kostenpflichtige Lizenz des Softwarelieferanten. Bei den täglichen Arbeiten muss dann auch noch das Gerät mitgeführt werden und jeder weiß, dass es gerade in älteren Betrieben nicht immer sauber und ordentlich zugeht. In den Instandhaltungen vor Ort zeigt sich nämlich das Bild der gehypten Instandhaltung 4.0 noch eher selten. Die Anwenderfreundlichkeit von Instandhaltungssoftware muss deutlich besser und einfacher zu bedienen sein. Sie können während oder nach einer Instandsetzung nicht minutenlang am Monitor die Ereignisse dokumentieren. Anbieter vergessen, dass der Instandhalter in dieser Situation bestimmt keinen Instandhaltungsbericht schreiben und seine geleisteten Arbeitsstunden buchen kann und will.
Vom Lizenzmuffeln und IT-Göttern
Auf der Frühschicht sind neun Mitarbeiter und drei Vorgesetzte in der Instandhaltung anwesend. Aufträge werden erteilt, Störungen beseitigt, eben alles was so in der täglichen Routine anfällt. Dabei arbeiten zwei Vorgesetzte mit dem PC und erstellen Pläne. Mittlerweile gibt es sogar schon drei dieser digitalen Helfer, um Aufträge und Stunden ins System zu buchen. Zum Schichtwechsel arbeiten dann also fünf Personen im System. Ein Anruf und die Realität holt uns ein: "Bitte schnell zwei Programme schließen, wir haben nur 15 Lizenzen für zwei Werke und andere Abteilungen möchten auch noch im System arbeiten", lautet der Tenor aus der IT-Abteilung. Die Frage, die ich mir stelle: Wie sollen wir denn erst alle Daten und Dokumentationen sammeln und auswerten, wenn es schon beim Buchen der Aufträge und Stunden so holprig zugeht? Und da ist es mit dem technischen Einkauf nicht unbedingt besser. Eine Anforderung seitens der Instandhaltung wird im EDV System bearbeitet und von den verschiedensten Personen „freigegeben“. Dieser Prozess ist oft nicht der schnellste und effektivste, geschweige denn der Kostengünstigste.
Zeitfaktor für administrative Arbeiten
Nicht zu vergessen, das die Nutzung von Software Systemen auch Arbeitszeit in Anspruch nimmt. Aufträge als erledigt markieren, neue Aufträge annehmen und die geleisteten Stunden einbuchen damit das Controlling alle nötigen Zahlen hat. Nicht dass mich der digitale Instandhalter stört, aber der Zeitfaktor für administrative Arbeiten nimmt deutlich zu während die Instandsetzungen immer schneller erledigt werden müssen. Ein Zwiespalt, der so manche Instandhaltung in Schwierigkeiten bringt.
Instandhaltungsarbeiten beinhalten immer einen logistischen Aufwand, um die Aufträge zu erledigen. Werkzeug, Material und Ersatzteile müssen zusammen gestellt und zum Ort des Geschehens gebracht werden. Nun ist der Mitarbeiter gerade an einer Maschine angekommen und möchte den erhaltenen Auftrag abarbeiten. Sein Tablet blinkt und er erhält den Auftrag an einer anderen Maschine eine Störung zu beheben. Alles einpacken und wieder von Anfang an, um eine andere Aufgabe, die automatisch generiert wurde, zu erledigen. Dass da etwas in der Auftragsvergabe schief läuft, ist klar. Dass die Ressourcen besser geplant werden müssen, wohl auch.
Aus Informationen Erfahrungen machen
Wir dürfen nicht vergessen das Instandhaltung von Menschen ausgeführt wird. Die Ausbildung muss auf die neuen Techniken eingehen und die älteren Mitarbeiter dürfen nicht überfordert werden. Nicht alle haben das Verlangen ständig auf Monitore zu blicken. Eine Überflutung mit Daten und Informationen ist da eher kontraproduktiv. Am Ende fühlen sich die Mitarbeiter mehr kontrolliert als unterstützt durch die Digitalisierung. Natürlich kann anhand der gewonnen Daten sukzessive eine Instandhaltungsdokumentation aufgebaut werden. Die gewonnen Erkenntnisse müssen aber dann für alle im Unternehmen zugänglich sein und dauerhaft fundamentiert werden. Und bitte nicht vergessen: Das Kerngeschäft einer funktionierenden Instandhaltung bleibt nunmal Maschinen instandsetzen und die gemachten Erfahrungen sammeln und verwerten. Nur so werden aus Informationen irgendwann Erfahrungen.
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