Ersatzteilmanagement : Der Prognostiker
Für den größten Hausgerätehersteller in Europa sind die letzten Bestellungen beim Lieferanten, bevor die Produktion eingestellt wird, besonders kritisch. Es muss abgeschätzt werden, wie viele Ersatzteile für die im Umlauf befindlichen Geräte noch benötigt werden. Sind zu wenige Teile auf Lager, kann BSH seiner Lieferverpflichtung nicht nachkommen und die Kundenzufriedenheit leidet, im Extremfall sind teure Gerätetausche notwendig. Aus diesem Grund setzt man auf KI um den Restbestand an Ersatzteilen besser abzuschätzen. Die Tatsache, dass sowohl B2B- als auch B2C-Kunden mit Ersatzteilen beliefert werden, macht die Sache zusätzlich komplex.
FACTORY: BSH nutzt KI als zusätzliche Entscheidungsgrundlage. Welche Technologie steckt dahinter?
Jens Rammling: Im ersten Schritt handelt es sich um eine Mustererkennung. Es werden unterschiedliche Daten – Verbrauchsdaten, Stammdaten, Stücklistenverwendung usw. – analysiert und ein Muster identifiziert. Daraufhin wird das Ersatzteil einem Cluster zugeordnet, in dem alle Ersatzteile enthalten sind, die sich gleichen. Im zweiten Schritt wird eine Mustervorhersage ausgegeben, eine Prognose für die kommenden Jahre wird erstellt. Sowohl beim Clustering als auch bei der Prognose kommen verschiedene Verfahren zur Anwendung. Einige Beispiele sind: Hierarchisches Clustering, K Means Clustering, Similarity-Ansätze oder die Bayes’sche nichtlineare Regression.
Haben Sie auch über Alternativen dazu nachgedacht?
Rammling: Es war keine Entscheidung entweder KI oder etwas Anderes. In der Vergangenheit haben wir schon andere Ansätze verfolgt, KI ist ein weiterer.
FACTORY: Dient der KI-Ansatz bloß zu Entscheidungshilfe oder lernen Sie auch neues durch die Ergebnisse?
Rammling: Im Operativen dient der Ansatz in erster Linie zur Entscheidungshilfe. Im Projekt lernt man allerdings viele neue Dinge - vielleicht, dass sich ein Milchschlauch aus der Kaffeemaschine genauso verhält wie ein Leistungsmodul aus der Waschmaschine. Das hilft einem zwar auf den ersten Blick nicht weiter, aber es öffnet die Gedanken, um noch weiter über den Tellerrand zu blicken.
FACTORY: Ist es der einzige Bereich in dem KI bei BSH zum Einsatz kommt?
Rammling: Aktiv im Einsatz ist KI momentan nur in diesem Bereich. Aber wir haben einige Ansätze aus anderen Bereichen, wo wir über eine KI-Lösung nachdenken.
FACTORY: Wie ist die Akzeptanz der Mitarbeiter?
Rammling: Die Akzeptanz der Mitarbeiter ist gut, denn es vereinfacht die Arbeit bzw. stärkt die Entscheidungsgrundlage. Damit ist ein Nutzen sichtbar, der die Akzeptanz direkt steigert. Natürlich darf man dem Tool nicht blind vertrauen, KI ersetzt nicht den gesunden Menschenverstand.
FACTORY: Was ist die Konsequenz, wenn Sie sich verschätzen?
Rammling: Die Konsequenz – unabhängig davon, ob man KI einsetzt oder nicht – kann von zwei Seiten kommen. Entweder man hat zu viel beschafft, dann hat man irgendwann ein entsprechendes Verschrottungspotential und das Wissen, dass man auch noch jahrelang für die Lagerung gezahlt hat. Oder aber man beschafft zu wenig und kann die Lieferverpflichtung nicht erfüllen. Das führt zu unzufriedenen Kunden und im Extremfall zu teuren Gerätetauschen.
FACTORY: Kann KI hier das Knowhow der Mitarbeiter ersetzen?
Rammling: Nein, soweit ist die KI noch nicht. Dafür ist sie noch zu ungenau. Wir sind gerade in der nächsten Entwicklungsphase, in der wir identifizierte Schwächen beseitigen wollen. KI kann man derzeit mit einer Inselbegabung vergleichen. Im Gegensatz dazu schauen sich die Mitarbeiter die Fragestellung aus verschiedenen Blickwinkeln und mit diversen Querverweisen an. Somit können sie ein ganzheitlicheres Bild zeichnen. Die KI unterstützt sie bei der Entscheidungsfindung, weil sie einen Aspekt genau beleuchten kann.
FACTORY: Welcher Nutzen resultiert aus der KI unterstützten Entscheidungsfindung?
Rammling: Wenn mehr Daten zur Verfügung stehen ergeben sich in der Regel auch Potentiale. In unserem Fall haben wir unsere Bestände reduziert ohne die Lieferbereitschaft negativ zu beeinflussen. Und bei neuen Entscheidungen bauen wir von vorneherein geringere Bestände auf und können somit ebenfalls Einsparungen realisieren. Ferner zeigt sich der Nutzen in der Zukunft, wenn wir dadurch niedrigere Verschrottungskosten haben.
FACTORY: Wie schätzen Sie hier die Entwicklungen durch andere Technologien ein: Überlegt BSH Ersatzteile selbst irgendwann nachzudrucken?
Rammling: Selbstverständlich haben wir uns auch schon mit diesem Thema beschäftigt, erstmals vor über fünf Jahren. Damals war die Qualität noch zu schlecht und die Kosten zu hoch, um eine echte Alternative darzustellen. Aber wir beobachten, dass die Lücke kleiner wird. Zum einen werden die Werkstücke qualitativ besser und die Materialvielfalt hat zugenommen. Zum anderen verändern sich die Kosten. Jedoch ist es keine Alternative zur Serienproduktion, sondern nur für Sonderfälle und spezielle Teile. Wir prüfen das regelmäßig und bewerten ob der Zeitpunkt gekommen ist, um zumindest teilweise auf 3D-Druck umzustellen.
FACTORY: Denkt BSH über Plattform-Lösungen nach?
Rammling: Auch mit dem Thema Plattform befassen wir uns in der Ersatzteillogistik. Allerdings haben wir bei uns wenige standardisierte Ersatzteile im Einsatz, so dass der Austausch mit anderen Anbietern schwierig ist. Wenn es um das Thema langfristige Verfügbarkeit geht, sind natürlich die funktionsrelevanten Ersatzteile besonders wichtig. Aber gerade dort ist die Spezialisierung hoch. Dennoch ist der Ansatz an sich interessant.
Zur Person:
Jens Rammling leitet das Globale Supply Chain Management für Ersatzteile der BSH Hausgeräte. Er verantwortet das Globale Ersatzteilnetzwerk und berät die weltweiten Logistikstandorte. Er sucht die perfekte Balance zwischen Konsolidierung, Netzwerkkomplexität, Lieferfähigkeit sowie Transport- und Bestands-Kosten. Führt man ich vor Augen, dass pro Jahr alleine aus dem zentralen Ersatzteillager in Fürth 17 Mio. Teile versendet werden, lässt sich die Komplexität seiner Aufabe erahnen.