Neue Geschäfte : Daten statt Kabel: Wie Rittal in Haiger neue Geschäftsmodelle testet
Es ist ein Monument. Markant, patriotisch, aber auch hart und kalkuliert. Wer das Firmengelände von Rittal in dem kleinen mittelhessischen Ort Haiger betritt, dem kriecht Ehrfurcht den Nacken hoch. Flankiert von riesigen schwarzen Fertigungshallen betreten Besucher durch ein kleineres Gebäude mit moderner Glasfassade die obere Büroetage von Rittal-Firmengründer Friedhelm Loh. Schwarze Möbel wirken zwar exklusiv, aber auch streng und sachlich. Das passt zu Loh: Sie sind quasi Markenzeichen des kantigen Patriarchen, der aus einer einfachen Schaltschrankfertigung ein industrielles Imperium formte. Dass Friedhelm Loh Charisma hat, bestreitet niemand in der Branche. Dass dieses Charisma zwiespältig ist, aber auch.
Kein Freund kritischer Fragen
Zwar sucht der Unternehmer gerne die Nähe zu Journalisten – erst kürzlich ließ er eine Delegation aus der D-A-CH-Region die Eröffnung seiner Hommage an Industrie 4.0, das Werk in Haiger, bestaunen ,– aber schnell wird auch klar, dass Loh nicht unbedingt ein Freund kritischer Fragen ist. Rund 250 Millionen Euro hat die schwierige Unternehmerpersönlichkeit in Haiger investiert. „Rittalianer“ sprechen von der größten Investition der Firmengeschichte. Auf die Frage eines Journalisten, ob ein Teil davon Kuka-Sühnegeld gewesen sei, reagiert der Patriarch fast allergisch: „Was ich mit meinem Geld mache, geht niemanden etwas an.“ Damit hat er auch recht. Dennoch hält sich ein kleiner Vorwurf. Denn anstatt mitzubieten und die Übernahme des Augsburger Roboterherstellers durch den chinesischen Konzern Midea zu verhindern, verkaufte Loh seine Anteile für fast 500 Millionen Euro, wie einige Medien beziffern. Aber – „Kuka ist Vergangenheit“ und damit erstickt Loh auf der Pressekonferenz jede weitere Frage zu diesem Thema.
9.000 Kompaktschaltschränke pro Tag
Loh will lieber über die Zukunft sprechen: 2021 feiert Rittal sein 60-jähriges Jubiläum. Der Erfinder des Serienschaltschranks regiert seine Marktanteile mit strategischem Kalkül. Richtige Mitbewerber gibt es kaum noch. „Das Amazon der Schaltschranktechnik“, so nennt sich Loh gerne selber und verweist dabei auf die beachtlich schnelle Lieferzeit. Innerhalb von 24 Stunden sollte jedes Serienprodukt beim Kunden sein, verspricht Loh. Dahinter stehen Werke wie Rittershausen und eben Haiger. Letzteres fährt gerade hoch und wird auf einer Produktionsfläche von 24.000 Quadratmetern bis zu 9.000 Kompaktschaltschränke pro Tag produzieren. Jährlich werden dafür 35.000 Tonnen Stahl verbogen. Erlangt das Blechbiegegeschäft irgendwann seinen Zenit? Sicherlich. Nicht umsonst investiert Loh bereits seit den 80er-Jahren zunehmend ins Softwaregeschäft.
Rittals Einstieg ins Edge-Geschäft
Eplan mag der Anfang gewesen sein, aber die „rittalianische“ Marketingfloskel „Wertschöpfung 4.0“ gewinnt mit dem Kauf des Cloud-Providers Innovo erst richtig Inhalt. „Wir werden eine Wertschöpfungskette in der IT aufbauen“, lautet die Order des Gründers. Als einer der Ersten investierte Loh 2017 in das größte unterirdische Rechenzentrum Europas, die Lefdal-Miene. Die Betreiber von Lefdal setzen bei der IT-Infrastruktur flächendeckend auf standardisierte Rechenzentrum-Module. Vorgefertigt, geprüft, bestückt, skalierbar und schnell geliefert – eben das „Rechenzentrum-To-Go“, geliefert – wie könnte es anders sein, aus Mittelhessen. Ein lukratives Geschäft. Und jetzt die Kehrtwende. Loh steigt in das Thema Edge Computing ein, das zentrale Datenhubs wie Lefdal ergänzt, ja in bestimmten Anwendungen sogar überflüssig machen könnte. Edge Computing ist das Verfahren der Verarbeitung von Daten an der Netzwerkperipherie. Kurz gesagt: Daten werden dort verarbeitet, wo sie auch generiert werden. Das Schicken an eine zentrale Stelle entfällt. So wird eine Datenverarbeitung in Echtzeit ohne Latenzzeiten garantiert. Besonders wichtig bei Technologien wie autonomem Fahren und E-Mobilität. Warum also das Sägen am eigenen Ast? „Dezentrale Rechenzentren alleine werden diese Datenflut nicht schaffen“, so Loh. Der Rittal-Boss hält sich also ein Hintertürchen offen, für jene Daten, die nicht den Echtzeit-Modus erfüllen müssen.
Neue Geschäfte am Tablett
Apropos Daten: 11,2 Terrabyte generieren die Sensoren im neuen Werk von Haiger pro Tag. Diese gewaltige Menge bleibt nicht ungenutzt. Längst hat sich Loh jene Experten geholt, die ihm helfen werden, neue Geschäftsmodelle zu etablieren. Neben Innovo sitzen nämlich auch Datenspezialisten von Fraunhofer im „rittalianischen Boot 4.0“. Beide entwickeln für den Schaltschrankfertiger Algorithmen, die einerseits Mitarbeiter-Know-how digitalisieren und andererseits Mustererkennung betreiben, um Störungen vorherzusehen. Noch ein Standard-Algorithmus, der aber angepasst ganz schnell zum Servicemodell beim Kunden werden kann. Mit dem und seinen Plänen im Edge Computing betritt der Schaltschrankhersteller ein neues Feld, in dem sich bereits andere tummeln. Mag Rittal bei der Schaltschrankfertigung der große Fisch im kleinen Teich sein, sind die Mittelhessener hier wohl eher die kleine Sardine im Becken mit großen Haien wie Dassault Systèmes, ABB und PTC. Übrigens: Als Gründungsmitglied der IIoT-Plattform Mindsphere World ging der Schaltschrankbauer eine Partnerschaft ein. Warum aber nun dieser direkte Schritt ins Datengeschäft? Eine Insider-Theorie: Die Softwareschmiede Eplan gerät zunehmend unter Druck, da viele große Anbieter Engineering-Tools bereits in ihre eigene Software integrieren. Damit wird es schwerer am Markt.
Die Menschen in Lohs Imperium
Die Mitarbeiter seien Lohs höchstes Gut, sagt er, und lässt sich deren Aus- und Weiterbildung auch einige Millionen kosten. Baut eine kleine Demofabrik in einer nahegelegenen Berufsschule und investiert kräftig in die Loh-Akademie. Alles für’s Employer-Branding. Elf Mal wurde Rittal schon zum Top-Arbeitgeber der Region gewählt. Dass es im Werk Haiger keine Staplerfahrer mehr gibt, weil fahrerlose Transportsysteme diese Arbeit übernehmen, die Montage vollautomatisiert ist und auch sonst 60 Roboter die Arbeit vieler Menschen ersetzen, sei nun mal der Zahn der Zeit. Bei der Pressekonferenz Mitte März wieder so eine Frage, die Loh nicht gerne hört. „Ich muss ein Unternehmen führen“, würgt er die Frage der Lokaljournalistin ab. Und keinen Wohlfahrtsverein, möchte man ihm fast in den Mund legen. Eben ein Industriepatriarch – hart und sachlich, aber auch erfolgreich. (eb)