Event-Reporter : Das war das Technologieforum Industrie 4.0

Technologieforum
© Martina Draper

„Funklöcher, nicht Schlaglöcher sind heute das Problem.“ Günther Oettinger traf den wunden Punkt Europas. Am Vorabend zum deutsch-österreichischen Technologieforum Industrie 4.0 machte sich der EU-Digitalkommissar einmal mehr stark für einen digitalen Binnenmarkt in Europa. „Standards müssen, um Teil der Normung auf globaler Ebene sein zu können, eine europäische digitale Sprache haben“, so Oettinger. „Nur so können wir gegenüber Google, Amazon oder Facebook bestehen." Oettinger warnte ausdrücklich vor Europas Schwäche gegenüber USA und China. Hier scheint sich die Politik einig zu sein. Schon am nächsten Tag stellte sich auch Harald Mahrer auf das Oettinger-Podest. Der Staatsekretär im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) machte in seiner Rede deutlich, dass der digitale Wandel da ist, ob wir wollen oder nicht. „Im Gegensatz zu Europa fürchten sich aber die Amerikaner und Chinesen nicht zu Tode“, kritisiert Mahrer. Für den Staatssekretär hat Europa noch lange nicht jene dringend benötigte Geschwindigkeit aufgenommen, die es braucht, um mit diesem Wandel mithalten zu können. Gerade Europas digitale Infrastruktur mache das schmerzhaft deutlich.

Deutschland hat die gleichen Probleme

Das deutsch-österreichische Technologieforum Industrie 4.0, eine Veranstaltung der deutschen Handelskammer in Österreich und der Fraunhofer Austria, steht unter dem Titel „Was wir voneinander lernen können“. Dass so eine Veranstaltung aus der Feder von Wilfried Sihn kommt, ist nicht von ungefähr. Der streitbare Fraunhofer-Austria-Chef zieht nur allzu gerne den Vergleich mit unserem deutschen Nachbarn. „Deutschland hat schon 20 Lern- und Demofabriken, während Österreich erst eine verzeichnen kann“, so Sihn. Auch sei dort das öffentliche Kommitment viel größer, resümiert er. Beruhigend wenn sich dann in einer deutsch-österreichischen Podiumsdiskussionen herausstellt, dass Deutschland sehr wohl mit den fast identen Herausforderungen zu kämpfen hat wie Österreich. „Denn eine Pilotfabrik, die zwar Pneumatikzylinder smart produziert, diese aber nicht marktkonform an die Industrie bringen kann, hat ihren Zweck verfehlt“, verrät ein Insider über das deutsche Pendant in Darmstadt. Und gerade beim Zukunftstrend Mobilität reagieren unsere Nachbarn empfindlich. Als Sihn betonte, dass Mobilität und nicht das Auto die Zukunft habe, rüstete sich der deutsche Staatssekretär für Industriepolitik Matthias Machnig zum Gegenangriff. „Das mag schon stimmen, aber das Auto bleibt Teil davon“, manifestiert er. Dennoch beunruhigt es Automobilhersteller mittlerweile, dass für die Jungend ein Smart-Phone wichtiger ist, als ein eigenes Auto.

Die Kultur des Scheiterns

Mit einem Punkt trifft Machnig aber voll in das subjektive Unternehmerherz Europas. „In den USA ist er jemand ein guter Unternehmer, wenn er zweimal gescheitert ist“, so der deutsche Staatssekretär. Hingegen in Europa ist einmal Scheitern gleichbedeutend mit dem unternehmerischen Tod. Die viel zitierte „Kultur des Scheiterns“ erhält auch auf dem Industrie 4.0-Forum Bühne und das zu Recht. Für Michael Henke, Leiter am deutschen Fraunhofer Institut für Logistik (IML) besteht eine Industrie-4.0-konformes Unternehmen aus zweierlei Mitarbeitern: „Den Ninjas und den Samurais.“ Einerseits braucht es die verrückten, halsbrecherischen Kämpfer (Ninjas), die keine Konsequenzen fürchten und andererseits braucht es jene Samurai, die sich lieber massakrieren anstatt Regeln zu brechen. Beide gemeinsam ergeben für Henke den perfekten Mix für ein Management, dass jede Firma auf den Weg 4.0 bringt.

Sihn’s Kritik an der Plattform

Kritisierte Wilfried Sihn zu Anfangs auch die österreichische Plattform Industrie 4.0, macht er mittlerweile doch Werbung für sie, aber nicht ganz ohne Seitenhieb. Noch immer fehlt dem Fraunhofer-Chef die große industrielle Akzeptanz. Beim deutschen Pendant arbeiten 250 Akteure aus 108 Organisationen aktiv mit. Im Vergleich dazu sind es in Österreich noch magere 32. Plattform-Vorstandsvorsitzender Kurt Hofstädter weiß sich zu wehren: „Es geht bei der Plattform nicht darum Mitglieder zu maximieren, sondern Österreich auf den digitalen Wandel vorzubereiten.“ Sihn hält dagegen: „Wie soll das gehen ohne genügend Mitglieder?“ Dem Fraunhofer-Chef fehlen vor allem die Klein- und Mittelbetriebe. Die ehemalige Infineon-Chefin Monika Kircher sieht das gelassen, denn viele der „Frontrunner“ seien bereits Mitglied oder kurz davor. Zwar ging Infineon eigene Wege und pumpte 290 Millionen Euro in eine eigene Pilotfabrik. Dort werden rund 20 Milliarden Chips für die Automobilindustrie und Smart Grids produziert. Dem Konzern ist aber durchaus bewusst, dass so ein Pilotraum nur dem eigenen Interesse und nicht der österreichischen KMU-Landschaft dient. „Es gilt ein Volk über die Alpen zu führen“. Ein viel zitierter Satz diesem Tag, wird zum Synonym für die Herausforderungen des digitalen Wandels. „Bei diesem Wandel, bilden die Großen die Lokomotive“, so Kircher. Hofstädter, selber im Vorstand bei Siemens, kann dem nur beipflichten: „Zuerst waren die Frontrunner dran, aber jetzt konzentriert sich die Plattform auf die KMUs.“ Dafür will die Plattform nun in die Breite gehen und richtet diverse Arbeitsgruppen danach aus.

Staaten müssen zukunftsfit werden

Eine gewaltige Herausforderung haben Deutschland und Österreich dennoch gemeinsam. Wilfried Sihn fasst es mit einer Frage zusammen: „Wie werden Staaten bei Industrie 4.0 überleben?“ Der Fraunhofer-Chef spricht dabei eine Thematik an, die derzeit in politischen wie industriellen Kreisen für Reibereien sorgt. Denn es gilt nicht nur Produktionen zukunftsfit zu machen, sondern auch Staaten und damit vor allem Steuersysteme. „Wir laufen da in eine ungute Steuerschere hinein“, warnt Sihn. Auch für Monika Kircher ist das ein großes Thema. “Das Taxiunternehmen Uber besitzt keine Fahrzeuge. Die Plattform Facebook keinen Inhalt. Der Onlinehändler Alibaba hat kein Inventar. Und AirBnB, der weltweit größten Beherberger besitzt keine Immobilien“, warnt Kircher. „Solch neue Geschäftsmodelle laufen nicht d’accord mit unseren Steuersystemen.“ Die Lösung liegt aber für die ehemalige Infineon-Chefin nicht darin, jenen Unternehmen noch mehr Steuern aufzubrummen, die sowieso schon zahlen. Was einen Schwenk gegen die kürzlichen Überlegungen der österreichischen Regierung einer Wertschöpfungsabgabe andeutet.