Reportage : Das kann digital:talents für Dich tun
David Gumpinger hat seit November des Vorjahres viel erlebt. Immerhin hat der 24jährige alle vier Monate den Arbeitgeber gewechselt. Begonnen hat der Absolvent der FH für Management in Steyr das Jahr bei der Miba, dann folgte ein Job bei Mann & Mouse IT Services. Seit Juli arbeitet Gumpinger bei KTM Innovation – ebenfalls wieder für vier Monate. Headhunter und Personalverantwortlichen brauchen jetzt nicht gleich die Stirne runzeln, denn Gumpingers scheinbare Sprunghaftigkeit ist vollste Absicht. Er ist nämlich das erste Talent, das das von dem gemeinnützigen Verein digital:talents konzipierte einjährige Rotationsprogramm absolviert. „Ich bin ins kalte Wasser gesprungen“, sagt Gumpinger. Dieses sieht vor, dass die digitalen Talente, um die es dabei eben geht, in diesem Jahr drei Unternehmen kennen lernen und umgekehrt. Und zwar aus gutem Grund: „Die Jugend ist verunsichert, weil sie nicht weiß, was sie will“, sagt Markus Gaggl, einer der Mitgründer und Präsident des Vereins und im Hauptberuf seit September CTO bei Rubble Master. Das Rotationsprogramm würde es jungen Talenten aus dem Bereich Digitalisierung erleichtern, zu erkennen, mit welchem Industriezweig, welcher Unternehmenskultur und welchem Bereich sie sich am ehesten identifizieren können.
Mehr Klarheit für junge Menschen
„Damit trifft digital:talents voll ins Schwarze“, bestätigt Gumpinger. Nach Abschluss seines Bachelorstudiums habe auch er nicht genau gewusst, wohin die berufliche Reise gehen sollte. „Ich wusste nur, dass ich ab September 2018 gerne im Digitalbereich arbeiten wollte, aber nicht mehr“, erzählt Gumpinger, der zu diesem Zeitpunkt auch sein Master-Studium im Studienzweig Digital Business Innovation and Transformation an der IMC Fachhochschule Krems begonnen.
Im Laufe der vergangenen Monate seien seine Berufsvorstellungen dank der Praktika konkreter geworden: „Es hat sich gezeigt, dass mich strategisches Produkt- und Projektmanagement in Verbindung mit Business Model Innovation mit dem Fokus auf neue Technologien und Projektcontrolling am meisten interessiert“, sagt der 24jährige. Parallel zu dieser Erkenntnis habe er vieles gelernt: etwa, wie Strategie und Kommunikation auf Seiten des Anbieters von Digitalisierungs-Services aufgesetzt werden sollten. „Man muss vom ersten Tag klar kommunizieren, um den Mitarbeitern die Ängste zu nehmen und ihnen zu zeigen, dass es vorwärts geht“, so Gumpinger.
Gumpingers Erahrungen bei Mann & Mouse
Diese Erfahrung hat er vor allem während seiner Zeit beim IT-Serviceprovider Mann & Mouse gesammelt. Dort hat er nämlich zum einen für den Bereich Digital Services ein Konzept für eine Digitalisierungsstrategie in Richtung Kunden aufgesetzt. Dafür wurden unter anderem Mitbewerber- und Kundenanalyse sowie ein Businessmodell skizziert und darauf basierend Kundenservices entwickelt. Zum anderen wurde auch die entsprechende interne Kommunikation geplant. Datamanagement und Governance hingegen waren eines der Aufgabengebiet bei der Miba. „Da ging es darum, Ansätze, Strukturen und eine Strategie zu entwickeln und schließlich ein Konzept für die Implementierung bei der Miba auszuarbeiten“, erklärt Gumpinger, der aus diesem Jahr auch persönlich viel mitnimmt. Danach habe er sich mit neuen Möglichkeiten im Bereich Pay per use beschäftigt. „Dafür habe ich erste Partnergespräche geführt und Fördermöglichkeiten analysiert“, beschreibt Gumpinger, der das Programm bei der Miba als durchaus „fordernd“ bezeichnet.
Gumpingers Erfahrungen bei Miba
Besonders herausfordernd und spannend sei für ihn gewesen, dass die IT in der Miba zentral über 26 Standorte, diverse Divisionen und immerhin 7.400 Mitarbeiter gespannt sei. „Daher war es wichtig, übergreifend und nicht an Insellösungen zu denken“, sagt er. In diesem Zusammenhang habe er erkannt, dass Industrie 4.0 ein Infrastrukturinvestment sei, das nicht gleich einen Return of Investment abwerfe. Daher sei es wichtig, dass die Digitalisierung von der Top-Etage abwärts gelebt werden müsse. „Um das Management an Bord holen zu können, muss man eine gemeinsame Sprache mit dem Management finden und genau erklären können, warum die Digitalisierung und die damit verbundenen Investments notwendig sind“, sagt Gumpinger. Bei der KTM Innovation, seiner aktuellen und somit letzten Station, entwickelt er ebenfalls neue Services auf Datenbasis.
Kein klassisches Praktikum
Diese konkreten Aufgabenstellungen sind es auch, die das Jahr im Rahmen der digital:talents-Initiative von anderen Praktika unterscheidet. „Die Unternehmen sind dazu verpflichtet, den Talenten Freiraum, Spielraum und Verantwortung zu geben“, beschreibt selbstständiger Unternehmer Jürgen Weiss, ebenfalls ein Gründungsmitglied des Vereins. Denn nur so könnten die jungen Talente nicht nur gefunden, sondern auch gefordert und gefördert werden, sind Gaggl, Weiss und der dritte Mitgründer, Martin Zauner, hauptberuflich Head of digital:office bei Miba, überzeugt. „Die Jugend soll sich identifizieren und beweisen können“, bringt es das Trio auf den Punkt. Für ihn sei das Rotationsjahr ein neues Modell, um Talente wirklich entwickeln zu können und für diese eine Möglichkeit, einige Jahre am Karriereweg zu überspringen, ergänzt Zauner. Ein weiterer Unterschied zu klassischen Praktika ist die Tatsache, dass die Trainees während des gesamten Jahres von einem Mentor aus dem Verein betreut werden. Neben Feedbacksessions mit dem Unternehmen und dem Talent steht dabei auch Unterstützung bei der persönlichen Weiterentwicklung auf dem Programm. Gumpinger führt noch ein Argument ins Treffen: „Man kann in diesem Jahr ein unglaubliches Netzwerk aufbauen, weil man an den Entscheidungsträgern, an die man sonst nicht so rasch herankommt, nah dran ist“.
Auch Unternehmen profitieren vom Rotationsprogramm
Aber nicht nur die Talente profitieren von digital:talents, sondern auch die Unternehmen. Sie kommen rascher als bisher an diese heran und lernen sie während des Praktikums wirklich gut kennen. Somit steigt die Effizienz bei der Talente-Suche, sparen sie doch zum einen aufwändige Bewerbungs- und Auswahlverfahren. Zum anderen verringert sich die Gefahr, dass der Neuzugang nach ein paar Monate wieder abspringt. „Und selbst, wenn sich das Talent für ein anderes Unternehmen entscheidet, lernt man daraus– ganz direkt, mit unmittelbarem Feedback des Talents und des Vereins“, sagt Zauner.
Abwerbungsklausel unter den Mitgliedern
Eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren des Programms ist ihm zufolge Vertrauen. Einerseits in den Verein, wählt dieser doch die Talente aus. „Die erste Stufe ist eine klassische Bewerbung, danach folgen eine Qualifizierungsphase und der Pitching Day“, beschreibt Gaggl. Dabei geht es nicht unbedingt um High Potenzials, vielmehr werden „Querdenker und Rebellen“ (Gaggl) gesucht. Inhaltliche Leidenschaften oder die Begeisterung für eine bestimmte Unternehmenskultur werden übrigens ebenfalls abgefragt. Der Verein wählt übrigens nicht nur die Talente aus, er übernimmt für sie auch die Vertragsverhandlungen. Das Gehalt des Talentes ist bei allen drei Stationen gleich, eine Klausel verhindert, dass die Praktikanten frühzeitig abgeworben werden. Der Verein, der sich über Mitgliedsbeiträge finanziert und dessen Organe ehrenamtlich tätig sind, sorgt weiters dafür, dass Mitbewerber nicht das gleiche Talent erhalten, um faire Bedingungen zwischen den Unternehmen zu schaffen.
Kooperationen wegen Ressourcenmangel
Digital:talents setzt aber nicht nur bei jenen Talenten an, die bereits von der Uni oder FH abgehen. Im Rahmen eines Diplomjahres unterstützt der Ende des Vorjahres gegründete Verein die Studierenden bei ihren Bachelor- oder Diplomarbeiten. Die Themen, etwa zu IIoT, Data Journey, Künstlicher Intelligenz oder Cyber Security, werden vom Verein vorgegeben. Daneben bietet er seinen Mitgliedern vier Mal pro Jahr den Rahmen, sich nach einem Kurzvortrag zu einem bestimmten Thema über Erfahrungen, Herausforderungen und anderes auszutauschen. „Das wird sehr gut angenommen. Die Unternehmen erkennen, dass es mittlerweile nicht mehr um den eigenen Schrebergarten, sondern um digitale Ökosysteme geht. Als Einzelner kann man darin kaum bestehen, man muss schon allein wegen des aktuellen personellen Ressourcenmangels kooperieren“, sagt Gaggl.
Zehn namhafte Vereinsmitglieder
Diesem Ressourcenmangel will der im Vorjahr gegründete Verein weiter abhelfen. „David Gumpinger war eine Art Versuchskaninchen. Dank ihm wissen wir mittlerweile genau, wie es läuft“, schmunzelt der Vereinspräsident. Derzeit wird eine Kampagne an Universitäten und Fachhochschulen lanciert, um weitere Talente zu anzusprechen. Fünf bis zehn von ihnen sollen im kommenden Jahr mit der Rotation beginnen. Ziel sei es, dass es immer mehr Alumnis gebe, die den Raum füllen und zum Mentor für junge Talente würden. „Läuft alles gut, ist der Verein als Mittler in zehn Jahren nicht mehr nötig“, sagt Gaggl. Das Netzwerk sollte jedoch weiter bestehen. Die Zahl der Vereinsmitglieder – derzeit gibt es zehn, von der Miba über Mann & Mouse, KTM Innovation bis zu Rubble Master, Greiner Packaging und der FACC – soll ebenfalls weiter steigen. Der Fokus dabei liegt auf dem Mittelstand, der es bei der Fachkräftesuche oft besonders schwer hat. Dabei sei man branchenoffen, Gespräche gebe es beispielsweise mit Handelsunternehmen und Banken. Die potenziellen Mitglieder werden jedoch genau unter die Lupe genommen. „Unsere Mitglieder haben verstanden, dass mit alten Managementmethoden kein Nährboden für Innovationen sind“, ist Weiss zufrieden. David Gumpinger kann das nur bestätigen: „Ich habe in jedem Unternehmen kleine Projekte und somit Verantwortung übernehmen können.“ Auch seine Karrierechancen schätzt er nun deutlich besser ein: „Mir stehen jetzt mehr Türen offen als vor einem Jahr.“ Wer nach dem Ende des Rotationsjahrs letztendlich sein neuer Arbeitgeber sein wird, das steht aber noch nicht fest.