Interview : Christian Knill: Der Konjunkturhöhepunkt ist eindeutig überschritten
Factory: Herr Knill, der Fachverband Metalltechnische Industrie, dessen Obmann Sie sind, warnt vor Konjunkturabschwächung. Die übliche Schwarzmalerei, damit sich bloß keiner auf seinen Lorbeeren ausruht?
Christian Knill: Nein. Wir versuchen immer mit seriösen Zahlen zu argumentieren, nicht mit Gefühlen. Fakt ist, dass wir bis Anfang 2017 über Jahre eine Phase der Stagnation hatten, seit rund eineinhalb Jahren erleben wir ein schönes Produktionswachstum, 2017 immerhin 4,7 Prozent. Doch nun schwächt sich die Dynamik ab, 2018 erwarten wir rund drei Prozent. Vor allem aber geht aus unseren monatlich durchgeführten Umfragen hervor, dass die Unternehmen zwar noch gut gefüllte Auftragsbücher haben, bei neuen Aufträgen merken sie aber eine deutliche Abkühlung. Der Konjunkturhöhepunkt ist eindeutig überschritten, die Dynamik des Wachstums geht zurück.
Ein zyklischer Abschwung oder steckt mehr dahinter?
Knill: Ich denke schon, dass mehr dahintersteckt. Das Umfeld wird schwieriger. Achtzig Prozent unserer Produktion gehen in den Export, Hauptexportland ist Deutschland, wo wir derzeit vielleicht noch keine Überhitzung der Konjunktur sehen, aber doch eine deutliche Verlangsamung. Das schlägt ziemlich direkt durch. Das zweitgrößte Exportland sind nach wie vor die USA, da wirkt sich das Bedrohungsszenario mit Schutzzöllen und Protektionismus ebenfalls negativ aus. Im ersten Halbjahr 2018 hat unsere Branche da einen Rückgang von 30 Prozent zu verzeichnen! Und schließlich die Türkei, die an sich ein interessanter Markt ist, mit dem Verfall der Lira aber auch schwächelt. Andere Märkte können die Einbrüche bei diesen drei nicht aufhalten.
Haugemachte Faktoren gibt es nicht?
Knill: Natürlich gibt es sie. Wir sind bei den Lohnstückkosten europaweit an der Spitze. In unserer Branche macht der Anteil von Lohn und Gehalt am Umsatz fast 25 Prozent, in der Industrie gesamt sind es 20 Prozent. Das ist grundsätzlich positiv, es zeigt, dass wir es schaffen viel an Wertschöpfung im Land zu lassen. Gleichzeitig, gepaart mit den alljährlichen hohen Abschlüssen führt es dazu, dass Unternehmen, wenn es um Produktionsausweitung geht vorsichtig sind.
Ein Konzept gegen hohe Lohnstückkosten ist Digitalisierung bzw. Industrie 4.0. Wie sehr ist sie aber wirklich angekommen, in der Branche, in ihrem eigenen Unternehmen?
Knill: Die ist schon angekommen. Zugleich muss man aber auch sehen: Während in Deutschland auf 1.000 Beschäftigte acht Industrieroboter kommen, sind es in Österreich, übrigens auch in den USA, nur zwei. Bei der Automatisierung haben wir also sicherlich noch Nachholbedarf. Und was mein eigenes Unternehmen betrifft, so beschäftigt uns das Thema tagtäglich, wir prüfen ständig, ob es digitale Geschäftsmodelle gibt, die unser eigenes verdrängen, zugleich suchen wir aber nach digitalen Modellen, mit denen wir unser Geschäft ausweiten können.
Sie sind dabei auch schon fündig geworden?
Knill: Ja, wir haben zum Beispiel kürzlich einen slowenischen Sensorhersteller akquiriert, der Sensoren produziert, mit denen wir dynamische Leitungsmessungen und –analysen machen können und die dann dazu genützt werden können, um vorbeugende Wartung zu planen oder den Durchfluss an Strom optimieren.
Und das dazugehörige Geschäftsmodell?
Knill: Derzeit verkaufen wir die Sensoren und der Energieversorger misst und analysiert seine Daten selbst. Zukünftig wollen wir aber die Datenhoheit haben und dem Kunden sagen, wo ein Fehler aufgetreten ist, wann Wartung zu machen wäre und wann er an die tatsächlichen Leistungsgrenzen mit seiner Leitung gehen kann. Den Sensor bekommt er dann eventuell geschenkt.
Ihr Unternehmen ist in der Digitalisierung drinnen, viel andere auch und trotzdem hat Deutschland, wie sie selbst vorhin erwähnt haben, eine viermal höhere Automatisierungsdichte. Woran mag das liegen?
Knill: Gute Frage. Ich glaube jedenfalls nicht, dass es daran liegt, dass Deutschland innovationsaffiner wäre als Österreich. Eher daran, dass in Deutschland jene Branchen, die sehr stark automatisierungsabhängig sind wie Automotivbranche einen viel größeren Anteil an der Industrie haben. Österreich hat zwar auch viele Zulieferer, zugleich sind aber eben auch Maschinenbauer und die metallverarbeitende Industrie sehr stark. Ich denke also, dass der Unterschied mehr strukturell als durch einen sehr unterschiedlichen Mindset bedingt ist.
Vielleicht haben wir aber auch nicht genug Leute, die Industrie 4.0 können?
Knill: Grundsätzlich halte ich unsere Ausbildung, auch im Vergleich mit Deutschland, für sehr gut. Viele Studenten kommen gerade deshalb aus Deutschland nach Österreich. Die meisten gehen nach dem Studium leider wieder weg. In einem haben Sie aber Recht, wir könnten viel mehr Abgänger, in jenen Fächern brauchen, die für die Digitalisierung wichtig sind: Elektrotechnik, Informatik, Logistik. Das ist allerdings ein allgemein europäisches Problem. Im Moment muss man schon sehr weit gehen, um diese Fachkräfte zu finden. Auch in unseren Nachbarstaaten gibt es sie nicht.
Wenn es zu wenige junge Leute gibt, die sich für Zukunftsberufe interessieren, dann kann man dafür viele Verantwortliche finden. Hat die Industrie selbst aber nicht auch etwas falsch gemacht?
Knill: Es ist uns offenbar noch nicht gelungen, ausreichend Junge richtig anzusprechen und ihnen zu zeigen, in welchen Berufen sie nahezu sicher mit einem Job und ziemlich sicher mit einer überdurchschnittlichen Entlohnung rechnen können. Es ist ja schön, wenn jemand Sport, Jus oder BWL studiert, weil ihn das interessiert und weil es ihm Spaß macht. Nur: Irgendwann einmal kommt dann die Ernüchterung, dass es da mit Beschäftigungschancen nicht so rosig ist und das Geld doch nicht auf Bäumen wächst.
Heißt es aber nicht, damit jemand gut ist, muss er Freude daran haben, was er tut?
Knill: Ja, natürlich. Aber seien wir ehrlich: Oft wissen Siebzehn-, Achtzehn-, Neunzehnjährige gar nicht, was sie tun wollen, was ihnen im Berufsleben gefallen könnte. Hier den richtigen Impuls zu geben und sie in die Richtung der Zukunftsberufe zu lenken, das müssen wir noch stärker als bisher tun.
An der Bezahlung könnte es nicht liegen, dass keine Fachkräfte zu finden sind?
Knill: Was unsere Branche betrifft kann ich das auf jeden Fall ausschließen. Mit einem durchschnittlichen Arbeiterlohn von 2.600 Euro und einem durchschnittlichen Angestelltenlohn von 4.100 Euro sind wir die bestzahlende Branche in Österreich, das Mindestgehalt liegt in der metalltechnischen Industrie übrigens auch schon bei 1.850 Euro. Daran, dass zu wenig gezahlt wird, kann es also wahrlich nicht liegen.
Dann liegt es vielleicht an mangelnden Aussichten. Vor allem in sozialen Medien ist immer wieder die Klage zu hören: Egal, was man verdient, eine Existenz, eine eigene Wohnung, gar ein eigenes Haus sei heute für einen Unselbständigen nicht erreichbar. Das sei in der Generation der Väter noch anders gewesen.
Knill: Das stimmt aber nicht. Wenn man die Gehälter von heute und jene der Vorgängergenerationen anschaut, dann wird heute, an Kaufkraft gemessen deutlich mehr gezahlt als früher. Was sich verschoben hat, sind die Wertigkeiten und die Erwartungshaltung. Früher war es alles andere als selbstverständlich mehrmals im Jahr Urlaub zu machen. Und man ist in den Urlaub vielleicht mit dem eigenen Auto gefahren und nicht geflogen. Es war auch nicht üblich, dass es in jedem Zimmer einen Fernseher gibt, einer für die ganze Familie hat auch gereicht. Das heißt man hat an Dingen gespart, an den man heute nicht spart und konnte sich daher über eine längere Zeitdauer etwas aufbauen. Heute ist das anders: einerseits wird sehr viel Geld ausgegeben, anderseits wird in manchen Bereichen, wo ich es überhaupt nicht verstehe auf jeden Cent geschaut, beim Essen zum Beispiel.
Zum Abschluss: die großen Themen für die Zukunft, vor allem was Ihre Branche betrifft?
Knill: Ganz sicher Protektionismus. Das was die USA machen, aber auch Brasilien, Indonesien, um die Wertschöpfung im eigenen Land zu halten, kann eine Spirale in Gang setzen, die für die Konjunktur nicht gut sein wird. Natürlich Digitalisierung, die ursprünglich als ein Weg gedacht war, auf dem Europa sich mit seinem Know-how gegenüber den billig produzierenden Ländern Asiens behaupten kann. Heute müssen wir darauf achten, dass uns China und andere asiatische Länder in Sachen Digitalisierung nicht überholen. Und schließlich der schon angesprochene Fachkräftemangel. Wir haben zu wenig Fachkräfte, Leute mit Studienabschluss einerseits, aber auch Facharbeiter andererseits. Da klafft ein Riesenloch.
Was unvermeidlich zur Flüchtlingsfrage führt. Warum lässt man diejenigen die hier eine Lehre machen wollen, das nicht tun, wenn wir diese Leute ohnehin brauchen?
Knill: Ich möchte da keine politische Aussage machen. Klar ist aber: Es ist eine demografische Tatsache, dass wir qualifizierten Zuzug brauchen und da müssen wir schauen, dass wir die bestmöglich qualifizierten Interessenten bekommen. Wenn Flüchtlinge oder Asylwerber in einer Ausbildung sind, dann entzieht es sich meiner Kenntnis und auch meinem Verstand, warum man sie diese Ausbildung nicht fertigmachen lässt, zumal wir diese Menschen eh brauchen. Ich würde es mir auch wünschen, dass man in Zukunft Leuten, die bereit sind, sich auf unsere Kultur einzulassen, die Sprache zu lernen, denn ohne die geht in der Lehre wenig, nicht so viele Steine in den Weg legt. Das ist ökonomisch wenig sinnvoll.
Vielen Dank für das Gespräch!