Leitbetrieb Burgenland : Burgenland: Smarte Antriebsmeister
Ein Hundertstel vom Radius eines menschlichen Haars. Wer sich das vorstellen kann, ist in der Welt von Bernhard Wagner angekommen. Der Geschäftsführer von Antriebsspezialist Zoerkler Gears hat sich auf die Fertigung von Präzisionsgetrieben aller Art spezialisiert. Seine Kunden reichen von Europa, Russland bis nach Indien und kommen aus den Branchen Schiene, Automobilindustrie und Luftfahrt. Besonders bei Letzterem sind die Burgenländer dick im Entwicklungsgeschäft. So dick, dass sie in den letzten sieben Jahren um fast das 3,5-fache gewachsen sind. „Wir entwickeln uns gerade von einer mechanischen Fertigung hin zu einem Industriebetrieb“, so Wagner. Bereits in vierter Generation führt er gemeinsam mit seinem Bruder Alexander Wagner das erfolgreiche mittelständische Unternehmen. In zwei Monaten soll eine neue Montagehalle mit zwei Testständen für Hubschraubergetriebe in Betrieb gehen. Das sind 3.500 Quadratmeter, die so ganz ihre eigenen Facetten von Industrie 4.0 beherbergen werden.
Teilautomatisierung, die Sinn macht.
Seit mehr als hundert Jahren widmet sich die Firma Zoerkler der mechanischen Fertigung von Antriebssystemen. 2008 wurde das Headquarter nach Jois ins Burgenland verlegt. Mit damals 32 Mitarbeitern gestartet, beschäftigt Zoerkler heute über 110 Facharbeiter. „Wir sind ein klassischer Nischenplayer“, so Wagner. Denn gerade die Spezialität der Burgenländer – das Entwickeln und Fertigen von Hubschraubergetrieben ist eigentlich Spielwiese der OEMS selber. Die Fertigungstiefe von Zoerkler ist dabei einzigartig. Kleinserien von 50 bis maximal 2.000 Stück fertigen die Mitarbeiter pro Jahr. Umso wichtiger sind höchste Zuverlässigkeit und Genauigkeit. Ein Punkt, wo Bernhard Wagner nach wie vor auf den Faktor Mensch setzt. Seinen Maschinenpark mit 40 unterschiedlichen Anlagen vollkommen zu automatisieren –wie es die Werbeslogans rund um Industrie 4.0 verlangen – will er nicht. „Das macht für unsere Stückzahlen keinen Sinn“, so Wagner. Nur bestimmte Teile der Fertigung, wie Verzahnungsabweltzfräsen oder das Entmagnetisieren, habe man deswegen automatisiert.
Transparenz für die Fertigung.
Das Thema der vertikalen Integration ist auch in Jois angekommen. Aber eher im Sinne von „Top-Down-Bottom-Up-Kick“, wie es Wagner nennt. „Alles was von oben integriert wird, muss am Shopfloor auch gelebt werden“, lautet der Appell des Chefs. Seit einem Dreivierteljahr teste man ein neues Produktionssystem (MES) für die Fertigung. Wobei noch Engpässe bezwungen und Prozesse angepasst werden müssen. Im Moment schöpfen zwar alle Mitarbeiter simultan aus dem gleichen Datenpool und es sei intern alles miteinander verknüpft - aber das reicht dem Geschäftsführer noch nicht aus. Wagner will noch mehr Transparenz in seiner Fertigung. Er spricht dabei nicht nur vom Erfassen von Maschinenauslastung, Steh- und Rüstzeiten- viel mehr ginge es ihm, um das Beweisen von Präzision– ein quasi fertigungsbegleitende Qualitätskontrolle und Dokumentation. „Die aber nicht mehr Manpower braucht“, so Wagner.
Gerade im Bereich der Luftfahrt gibt es die strengsten Auflagen der Welt. „Jede Revision muss genauestens dokumentiert sein“, erklärt er. Die Nachverfolgbarkeit von Bauteilen ist essentiell und die hört bei der eigenen Werkshalle nicht auf. „Wir müssen alle Updates, Revisionen, die weltweit bei unseren Antriebssystemen gemacht werden mitverfolgen und monitoren können“, erklärt Wagner. Allein für ein Helikopterhauptgetriebe müsse man unendlich viele Kontrollen über sich ergehen lassen, bevor es überhaupt die Werkshalle in Jois verlassen darf. Mit diesen straffen Vorgaben halten die Getriebespezialisten seit Jahren eine Lieferqualität von 97 Prozent und sind dadurch bei Kunden wie Magna, Siemens, VW und Voith in Deutschland äußerst beliebt. „Und dieses Level gilt es zu halten“, appelliert der Chef.
4.0 Gadgets für die Montage.
Hier bekommt die neu gebaute Montagehalle besonders viel Aufmerksamkeit. In zwei Monaten sollen dort auf 3.500 Quadratmetern pro Tag ein bis zwei Hauptgetriebe pro Monat montiert und getestet werden. Den klassischen Montage-Ablauf bei Zoerkler beschreibt Wagner wie folgt: „Der Mitarbeiter hat eine Anleitung vor sich und filmt sich dabei, um eine entsprechende Qualitätsdokumentation gewährleisten zu können.“ Das sei umständlich und mühsam. Es war ein Bekannter, der den Zoerkler-Chef einen völlig neuen Ansatz vorschlug. Die Idee bei der Qualitätsdokumentation auf eine Datenbrillen zu setzen fruchtete sofort. „Der Kunde könnte sogar live und simultan mit dem Mitarbeiter die Teststände beobachten“, erklärt Wagner begeistert. Vor einem halben Jahr habe man bereits Prototypen getestet. Jetzt gilt es nur noch die Datenbrillen in das bestehende IT-System und das sich entwickelnde MES zu integrieren. Ob sich das Gadget als ein „Nice-to-have“-Tool oder echter Effizienzsteigerer entpuppen wird, hängt nur mehr von der entsprechenden Konfiguration ab. Das betreffe vor allem die Soft- und Hardwarekomponenten, so Wagner. Weitere Tests stehen schon in den Startlöchern. In einem Jahr soll es dann soweit sein und damit könnte die Montagehalle der Burgenländer zu einem neuen Industrie 4.0 Hotspot Österreichs werden.
Kurz und Knackig:
Das versteht Bernhard Wagner unter Industrie 4.0
Systemerneuerung: Eine erweiterte Integration von IT in die Fertigung, um Abläufe effizienter zu gestalten.
Was ist für Sie das Unwort des Jahres in Zusammenhang mit Industrie 4.0?
Vollvernetzung: Das ist für mich eine „Über-IT-sierung“ des Shopfloor, wo oft an der EDV genauso lang geplant wie eigentlich gefertigt wird.