Seidel Electronics : Brenner's letzter Coup
Ganz ohne Herzschmerz geht Andreas Brenner nicht. Seit 2001 ist der gebürtige Steirer in unterschiedlichen Positionen für die Seidel Electronics Group tätig, zuletzt als kaufmännischer Geschäftsführer. Mit Ende Februar verlässt er gemeinsam mit dem ehemaligen Firmeninhaber Maximilian Seidel das Unternehmen. „Wachstumsmärkte sind nicht mehr in Europa. Unsere Kunden suchen Lösungen in Asien“, das kündigte Seidel schon im vergangenen Jahr in einem Interview mit dem Wirtschaftsblatt an.
Nun hat Seidel seine asiatische Lösung gefunden: Die thailändische SVI Public Company Limited wird neuer Eigentümer des Elektronikfertigers aus Deutschlandsberg mit weiteren Produktionen in Ungarn und der Slowakei. Diese Entscheidung trifft auch Brenner. Dieser geht aber nicht ohne dem Unternehmen ein letztes Mal seinen Stempel aufzudrücken. Noch im September letzten Jahres implementierte er eine spezielle Visualisierungslösung, die es schaffte die Lagerbestände um fast ein Viertel zu reduzieren.
Excel-Listen loswerden
Eines war Brenner schon lange ein Dorn im Auge. „Bisher wurden die Auswertungen über die internen Auslastungen nur wöchentlich durchgeführt“, so der ehemalige Geschäftsführer. Diese waren in einem Excel-Dokument aufbereitet und nur für ausgewählte Mitarbeiter zugänglich. Es gab, Brenner ließ daran keinen Zweifel, Handlungsbedarf. Den Stein ins Rollen brachte ein Besuch bei einem Lieferanten aus der Verfahrenstechnik. „Dieser überwachte all seine Prozesse in Echtzeit, verbildlicht auf Bildschirmen für jeden Mitarbeiter“, erinnert sich Brenner noch gut. Begeistert von dieser Lösung, machte er sich auf die Suche nach einem geeigneten Partner. Fündig wurde Brenner bei einem Spin-Off der TU Graz. Unter Insidern hatte sich„Know Center“ bereits einen Namen im Bereich Data Mining und Visualisierung gemacht. „Gerade richtig für uns“, so Brenner.
Engpässe vermeiden
Auf Basis der hervorragenden Vorarbeit der eigenen SAP Abteilung haben die Deutschlandsberger gemeinsam mit dem Spin-Off der TU Graz im gesamten Unternehmen einen neuen Leitstand installiert. Seit September 2015 bildet dieser den gesamten Material- und Auftragsfluss ab. „Das bedeutet, vom Lager über die Fertigungsschritte bis hin zur Auslieferung ist nun genau sichtbar, wie viele abzuarbeitende Stunden es aktuell je Fertigungsschritt gibt und welcher Lagerwert an Ware dadurch gebunden ist“, erklärt Brenner stolz. Im gesamten Unternehmen sind nun Bildschirme angebracht, auf denen die momentane Auslastung an allen drei Standorten von Seidel Elektronik visualisiert wird. Engpässe? Fehlanzeige.
Mit Stufe zwei, quasi Brenners letzter Schritt und finaler Stempel, soll nun die Lieferzeit noch einmal drastisch verkürzt werden. Seit September versuchen die Elektronikfertiger, den Leitstand branchenspezifisch auf einzelne Geschäftsbereiche auszulegen. Das Ziel: ganz klar Schnittstellen vermeiden. "Die komplette Auftragsabwicklung ist damit nicht mehr abteilungsbezogen, sondern pro Geschäftsbereich, wie z. B. der Medizintechnik“, so Brenner. Der Vorteil: viel kürzere Planungs- und Regelzyklen. Zusätzlich zum Leitstand wurde eine Plattform von tmatix solutions eingeführt, mit der die Steirer aus unterschiedlichen Werken Statusinformationen der Produktionsstraßen abrufen können. „Mit der Plattform können Workflows ausgelöst, statistisch ausgewertet und mittels einer eigenen App in Echtzeit an den Benutzer übermittelt werden“, erklärt Brenner. Die Benutzer haben so die Möglichkeit, mittels App vordefinierte Workflows auszulösen oder Rückmeldungen zu bestätigen.
Asiaten fehlt Erfahrung mit kleinen Losgrößen
Mit Ende Februar verlässt der Steirer Seidel Electronics und konzentriert sich gemeinsam mit Maximilian Seidel auf Situlus, ein Unternehmen das seit 2012 in österreichische Start-ups investiert und diese in ihrem Wachstum und ihrer unternehmerischen Entwicklung unterstützt. Situlus ist eine Tochter der Seidel Privatstiftung, deren Vorstand Brenner seit eineinhalb Jahren ist.
Bedenken, dass sein „Baby“, wie er den Leitstand nennt, unter den neuen Besitzern verkümmert, hat Brenner eigentlich nicht. „Das Werkzeug ist noch sehr frisch und hat jetzt Zeit zu reifen, auch unter neuer Führung“, so Brenner. Immerhin - bei ihrem Werksbesuch war die thailändische Delegation begeistert, denn gerade bei kleinen Losgrößen „fehlt des den Asiaten noch an Erfahrung“, weiß Brenner. Zumindest beratend will er Seidel Electronics auch noch die nächsten Jahre zur Hand gehen. Ein Auge auf sein „Baby“ wird er dabei sicher haben.