Studie : Autonomes Fahren: Revolution mit Nebenwirkungen?
Der Siegeszug der selbstfahrenden Autos ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Irgendwann in den Dreißigerjahren, so schätzt Prof. Günter Emberger von der TU Wien, werden auf unseren Straßen mehr autonome Fahrzeuge als von Menschen gelenkte Fahrzeuge unterwegs sein.
Die Auswirkungen dieser Revolution werden oft unterschätzt: Wie eine Studie der TU Wien, der BOKU Wien und der Universität Leeds zeigt, werden selbstfahrende Autos unser Mobilitätsverhalten völlig verändern – mit teilweise problematischen Folgen: Die Anzahl der mit dem Auto zurückgelegten Kilometer pro Person werden steigen, der öffentliche Verkehr gerät unter Druck, die Zersiedelung nimmt noch weiter zu. Damit die nächste Mobilitätsrevolution eine Erfolgsgeschichte werden kann, muss man jetzt die nötigen politischen Rahmenbedingungen schaffen. Die Ergebnisse wurden im September erstmals bei einem eigens dafür veranstalteten wissenschaftlichen Workshop präsentiert und stoßen nun international auf großes Interesse. Günter Emberger plant bereits weitere Kooperationen und Workshops in Asien.
Welche Vor- und Nachteile es gibt
„Selbstfahrende Autos haben zweifellos viele Vorteile“, sagt Prof. Günter Emberger vom Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien. „Sie könnten die Kapazität unserer Straßen erhöhen, die Gefahr von Verkehrsstaus senken und somit die Effizienz steigern.“ Allerdings muss man auch die negativen Seiten bedenken: Autofahren wird plötzlich für jeden zugänglich – selbst Kinder können sich im selbstfahrenden Auto zur Schule fahren lassen. Damit wird das Auto zum noch stärkeren Konkurrenten für den öffentlichen Verkehr.
Wenn man sich im autonomen Fahrzeug komfortabel ans Ziel kutschieren lässt, kann man die Zeit problemlos für Arbeit oder Freizeitaktivitäten nutzen. Das könnte dazu führen, dass man längere Pendelstrecken in Kauf nimmt, sich weit entfernt vom Arbeitsplatz niederlässt und somit die problematische Zersiedelung des ländlichen Raums weiter verstärkt wird. Ein autonomes Fahrzeug kann sich selbstständig auf die Suche nach einem Parkplatz machen – somit werden wir unseren Umgang mit Parkplätzen völlig neu überdenken müssen.
„Selbstfahrende Autos werden unseren Umgang mit Mobilität in jeder Hinsicht verändern“, ist Günter Emberger überzeugt. „Wir müssen uns daher heute schon Gedanken darüber machen, welche Auswirkung diese bevorstehende Revolution in der Mobilität auf die verschiedenen Aspekte unseres Zusammenlebens hat. Zweifellos müssen wir politisch darauf reagieren – nicht nur in der Verkehrsplanung, sondern auch in der Raumordnung, in der Parkraumbewirtschaftung und in Bezug auf nötige steuerliche Lenkungsmaßnahmen.“
Komplexe Zusammenhänge im Computermodell beschrieben
Wie die vielen betroffenen Bereiche – von der Verfügbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel über die Kosten privater Parkplätze bis hin zu den Anschaffungskosten selbstfahrender Autos – zusammenhängen, wurde nun in einer gemeinsamen Studie von TU Wien, BOKU und Universität Leeds untersucht. An der Universität Leeds arbeiteten Anthony May und Simon Shepherd an dem Projekt, an der Wiener BOKU war Paul Pfaffenbichler beteiligt. In Computermodellen, berechnet am Beispiel der Stadt Leeds, wurde untersucht, wie die vielen maßgeblichen Parameter realistischerweise aufeinander einwirken können.
Geteilte Fahrzeuge wären weniger dramatisch
„Unsere Modelle sagen eine Zunahme der pro Person zurückgelegten Kilometer von 30 bis 40 % voraus“, sagt Günter Emberger. „Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie die zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegten Strecken gehen hingegen um 5 bis 20% zurück.“ Die Daten wurden für Leeds errechnet, zumindest ihre Tendenz lässt sich aber auch auf andere Städte übertragen. Simulationen zur Stadt Wien werden derzeit vorbereitet. Einen signifikanten Einfluss auf die Ergebnisse hat die Frage, ob in Zukunft Privatpersonen ihre eigenen selbstfahrenden Autos besitzen werden, oder ob die Fahrzeuge als gemeinschaftlich genutztes Mobilitätssystem allen zur Verfügung stehen. Im Fall geteilter Fahrzeuge sind die Auswirkungen weniger dramatisch.
„Man kann aus heutiger Sicht keine einfache Lösung vorschlagen“, sagt Günter Emberger. „Aber klar ist, dass wir heute darüber nachdenken müssen, wenn wir in Zukunft die Nachteile dieser Entwicklung in den Griff bekommen wollen.“ Günter Embergers Team an der TU Wien ist daher nun dabei, mehr internationale Forschungsarbeit zu diesem Thema anzustoßen. Im September fand an der TU Wien dazu bereits ein internationaler Workshop statt, der als Startschuss für großangelegte Forschungsprojekte dienen soll. Auch außerhalb Europas stoßen diese Überlegungen bereits auf Interesse: Günter Emberger plant bereits weitere wissenschaftliche Workshops in China und Indien.