Supply Chain : Alle reden über Lieferprobleme – wo sind die digitalen Lösungen dafür?
Österreich und Europa sind bei Lieferproblemen gefährdeter als andere Regionen. Das liegt auch an der Auswahl der Importwaren. ForscherInnen des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche kamen durch eine Untersuchung zum Schluss, dass 35 Prozent der österreichischen Importgüter aus Drittstaaten in wirtschaftlich unsicheren Zeiten besonders anfällig für Ausfälle sind. Zum Vergleich: In der EU beträgt dieser Anteil 30 Prozent und weltweit 27,5. Zur Abfederung großer Lieferschwankungen rät die WTO einerseits, die Waren aus mehreren unterschiedlichen Quellen zu beziehen um weniger stark von einem Akteur abhängig zu sein. Ein weiterer Vorschlag an Unternehmen ist, größere Vorräte anzulegen, vor allem bei den risikobehafteten Gütern. Die Kehrseite davon ist, dass Lagerung kostet.
Raus aus der Abhängigkeit
Dr. Lukas Biedermann und Martin Weber, ehemals Ingeniere bei Porsche, weisen darauf hin, dass „58 Milliarden Euro an Ersatzteilbeständen für Produktionsanlagen als totes Kapital in Deutschen Fabriken lagern“. Und das, während HerstellerInnen andernorts über fehlende Teile klagen. Diesem Dilemma begegnen die beiden mit einer Plattform, die das industrielle Ersatzteilmanagement digitalisieren soll. Zu dem Zweck gründeten sie 2019 das Start-up Sparetech. Erklärtes Ziel der beiden: Lieferketten zu stärken, indem alle Abläufe von der Identifikation bis zur Bestellung von Ersatzteilen für die Maschinen und Anlagen automatisiert werden. Dies ermöglicht es Unternehmen Ersatzteile erst zum Zeitpunkt des tatsächlichen Bedarfs einzukaufen. „COVID-19 hat die Verwundbarkeit traditioneller Produktionsstrategien und -lieferketten fast überall aufgedeckt. Produzierende Unternehmen weltweit stehen unter enormen Wettbewerbsdruck, ihre Abhängigkeit von als riskant empfundenen Lieferquellen zu reduzieren oder zu beseitigen. Gleichzeitig ist eine ständige Verfügbarkeit von Ersatzteilen erforderlich, um Produktionsstillstände zu vermeiden“, so CCO Biedermann.
Luft nach oben bei der Cloud
Die deutsche Bundesvereinigung Logistik und der Cloud-Service-Provider Arvato Systems brachten im Oktober die Studie „Besser Zusammenarbeiten in der Logistik“ heraus. Dafür wurden knapp 600 Logistiker und Logistikerinnen aus unterschiedlichen Branchen befragt, fast 200 von ihnen aus der Industrie bzw. dem verarbeitenden Gewerbe. Die Hälfte der LogistikerInnen arbeitet laut der Studie bereits mit cloudbasierten Systemen. „Besonders überrascht hat mich das Ergebnis, dass rund zehn Prozent der Befragten bisher gar keine IT-Systeme im Einsatz haben bzw. fast 20 Prozent der Befragten kein ERP- oder Warehouse Management System nutzen“, erklärt Bernd Jaschinski-Schürmann, Head of Digital Supply Chain Management bei Arvato Systems, am Deutschen Logistik-Kongress in Berlin. Jedoch gibt es Grund zur Hoffnung: fast zwei Drittel der Befragten planen eine derartige Investition in naher oder fernerer Zukunft. Das dürfte den Cloud-Anbieter Arvato freuen, der sich aus dieser Erkenntnis wohl Aufträge verspricht.
Appell für Open Source
An Gemeinschaftlichen Erfolgen arbeitet eine neugegründete Gruppe an vier großen Stakeholdern aus der Logistik. Dachser, DB Schenker, duisport und Rhenus haben sich Ende Oktober offiziell zur Open Logistics Foundation zusammengeschlossen. „Gemeinsam bessere Lösungen finden“, lautet ihr Motto, das in Form einer europäischen Open Source-Community realisiert werden soll. „Die Digitalisierung der Logistik kann nur gemeinsam vorangebracht werden. Deshalb ist Open Source ein wichtiger Erfolgsfaktor für die gesamte Logistikbranche und zugleich ein Treiber für einheitliche Prozesse in digitalen Wertschöpfungsketten“, konstatieren die Stifter in einer gemeinsamen Erklärung. Ihre Initiative möchten sie als „Anfang und gleichermaßen Appell an die Logistik“ zu verstehen wissen, „Technologie und Prozesse zusammen zu denken und sich aktiv an der Open-Source-Community zu beteiligen“. Das lässt hoffen, dass der Appell fruchtet. Dass sich die Welt der Logistik in Richtung Digitalisierung bewegt, ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen.