Podiumsdiskussion : AHK-Diskussion: Digitalisierung braucht kürzere Ausbildungsmodelle
Besser hätte man die Location nicht wählen können. Am 8. Februar wurde die Raiffeisen Bank International in der Nähe des Wiener Stadtparks Gastgeber einer hochkarätigen Podiumsdiskussion zum Thema „Digitalisierung in der Arbeitswelt“. Ob bewusst oder unbewusst vom Veranstalter, der deutschen Handelskammer in Österreich (AHK), gewählt, war der Veranstaltungsort doch mehr wie passend. Denn es sind unter anderem Banken und Versicherungen, die sich laut einer neuen Bitcom-Studie mit einem massiven Jobverlust (3,4 Mio. Stellen in 5 Jahren) auseinandersetzen werden müssen. Solche schwammigen Zukunftsstudien kritisiert Rudi Kaske zwar scharf, Staatseinnahmen sieht der scheidende Präsident der Bundesarbeiterkammer (AK) durch die Digitalisierung dennoch bedroht. „60 Prozent der Gelder kommen heute von Arbeitnehmern“, so Kaske. Dass sich dieser Prozentsatz sehr schnell nach unten verringern wird, ist absehbar. Wie sich unser Sozialstaat in Zukunft finanzieren will, aber nicht.
Bedingungsloses Grundeinkommen eine „Diskriminierung des Arbeiters“
Kein Wunder also, dass sich Kaske gegen die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens sträubt. Am härtesten ins Gericht geht damit allerdings Dieter Spath. Der Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) hält das bedingungslose Grundeinkommen gar für eine „Diskriminierung des Arbeiters“. „Arbeitsrecht 1.0 trifft auf Industrie 4.0.“, so sein hartes Urteil. Spath will Menschen mit mehr Eigenverantwortung ausstatten. Die „Schutzbefohlenheit“ der Arbeitnehmer solle aufgelöst werden, mehr Mitbestimmung an ihre Stelle treten. Es brauche mehr Motivation für eigenverantwortliche Weiterbildung. Und diese dürfe mit 50 nicht stoppen, so der 65-Jährige acatech-Präsident. Auf die Frage, ob er denn selbst kürzlich in Weiterbildung investiert hätte, kann Spath mit „Ja“ antworten. So habe er vor einigen Wochen einen Workshop zu „Digital Design Thinking“ besucht. Dieser Eigenverantwortung widerspricht der AK-Präsident. Kaske sei genug in Betrieben unterwegs gewesen, um behaupten zu können, dass sich die Eigenverantwortung von Industriearbeitern „in Grenzen hält“. Man solle hier bitte die Kirche im Dorf lassen.
Ein Drittel weniger Arbeitskräfte als früher
Für seine 30.000 m2 Rohbau-Halle braucht Hansjörg Tutner, Global Director Human Resources bei Magna Steyr, heute nur mehr 20 Hilfskräfte und ein paar, wie er sie nennt „Anlagenführer“. Ein neues Jobprofil bei Magna Steyr, das an den vielzitierten „Dirigenten der Produktion“ erinnert. Den Rest übernehmen bei den Grazern heute Roboter. Tutner macht in Wien keinen Hehl daraus, dass Magna Steyr heute Großaufträge mit einem Drittel weniger an Arbeitskräften als früher bewerkstelligt. Viele Industrien sehen sich aber nicht nur aufgrund von Marktbedingungen gezwungen in Maschinen und automatisierte Arbeitsprozesse zu investieren. Es fehlen die Fachkräfte. „Wir sehen uns mit dem größten Produktivitätsdruck der Nachkriegsgeschichte konfrontiert und das mit viel weniger Arbeitskräften als je zuvor“, warnt Spath. „Die Digitalisierung wird uns helfen müssen.“ Es werden viele Jobs wegfallen, aber auch neue entstehen. Es gilt die Menschen darauf vorzubereiten.
900.000 Österreicher Probleme mit neuen Technologien
Dass Aus- und Weiterbildung hier die größte Herausforderung ist, darin sind sich alle drei Diskutanten einig. Duale Ausbildung für jene, die heute unter der Facharbeiterausbildung liegen, ist für Spath eine Lösung des Dilemmas. Aber dafür müsse sich die Art und Weise unserer Aus- und Weiterbildung verändern. Der acatech-Präsident pocht auf kürzere Ausbildungsmodelle und eine stärkere Verflechtung von Weiterbildung und Job. „On Job“ – Coaching am Arbeitsplatz, nennt er es. „Damit man die Dinge, die man lernt auch gleich umsetzen kann.“ Laut AK-Präsident Kaske gibt es allein in Österreich 900.000 Arbeitnehmer, die Probleme mit neuen Technologien haben. Bei Magna Steyr sitzt das Problem noch tiefer. Die Grazer sahen sich gezwungen bei Ihren Aufnahmeverfahren einen Deutsch-Test einzuführen. „Wir haben ein Integrationsproblem“, so Tutner. „Ohne Sprache gibt es kein industrielles Arbeiten. Sicherheitsanweisung müssen verstanden werden.“
Bei Magna Steyr ist jeder vierte Arbeitnehmer über 50
Auch der demografische Wandel trifft Magna Steyr. Jeder vierte Mitarbeiter sei laut Tutner älter als 50 Jahre. Der Personalchef der Magna Steyr muss sich künftig mit neuen Arbeitsmodellen beschäftigen. So arbeite zum Beispiel ein Drittel der heißbegehrten Fachkräfte im Bereich der industriellen Robotik heute nicht mehr in einer Festanstellung. „Das klassische Arbeitsmodell gibt es nicht mehr. Darauf müssen wir dringend reagieren", so der Personalchef. Der Politik macht er hingegen Vorwürfe immer noch mit einer veralteten „Mangelberufliste“ um sich zu werfen. „Den Beruf eines Drehers oder Fräsers gibt es seit 30 Jahren nicht mehr.“ Auf die Frage, ob er sich hier vernachlässigt fühle, antwortet Tutner: „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.“ Die Politik habe die Zeichen erkannt, aber die Rahmenbedingungen könnten deutlich besser sein. (eb)