Faszination Tunnelbau : Wie die dicke Sissi den Gotthard-Basistunnel durchbohrte

Herrenknecht-TBM mit Dillinger-Grobblechen
durchbohrte Sissi den Gotthard-Basistunnel
© Herrenknecht

Im Tunnelbau sind Superlative Standard, regelmäßig werden irgendwo auf der Welt neue Rekorde aufgestellt. Kilometerlange Röhren durch Bergmassive, tief unter dem Meer hindurch oder zentimeternah in Städten an bestehender Infrastruktur vorbei: Mensch und Maschine bohren sich überall erfolgreich durch. In den meisten Fällen sind dabei Tunnelbohrmaschinen (TBM) von Herrenknecht treibende Kraft – maßgeblich unterstützt durch hoch leistungsfähige Stähle von Dillinger. Denn ganz gleich, ob für leistungsfähige unterirdische Verkehrsadern oder Versorgungs- und Entsorgungssysteme: Wo Präzision Trumpf ist, müssen sich alle Beteiligten bedingungslos aufeinander verlassen können. Neben der Premiumqualität von Konstruktion, Technik und Produkten spielt das von der Planung bis zur Lieferung reibungslose Zusammenspiel eine entscheidende Rolle. Beispielhaft für sprichwörtlich bahnbrechende Projekte ist das über 15-jährige Miteinander des Spezialisten für maschinelle Vortriebstechnik, Herrenknecht, und Europas Top-Hersteller für Grobbleche, Dillinger.

Tunnelbau und die dafür eingesetzten Maschinengiganten sind der Stoff, von dem Jungen träumen. Das international tätige Familienunternehmen Herrenknecht hat diese Faszination für das Graben großer Löcher zum globalen Player für maschinelle Tunnelvortriebstechnik gemacht. Ob Verkehrs-, Veroder Entsorgungstunnel, Pipelines oder Schächte: Überall auf der Welt sind Tunnelbohrmaschinen des Schwanauer Unternehmens mit Durchmessern von 0,10 bis 19 Metern in unterschiedlichsten Baugründen im Einsatz. Mit diesen Herrenknecht-Maschinen wurden bereits mehr als 3.700 Projekte erfolgreich abgeschlossen – darunter riesige Bohrwürmer mit gigantischer Kraft. 450 Meter Länge bei 9,43 Metern Bohrdurchmesser kennzeichnete die bisher Längste von ihnen. Sissi durchbohrte den Gotthard-Basistunnel mit einem Drehmoment von über 8.000 kNm. Mit 3.000 Tonnen Gesamtgewicht war sie jedoch nur geringfügig leichter als die 120 Meter lange Maschine für den Eurasia-Tunnel unter dem Bosporus. Diese brachte bei einem Bohrdurchmesser von 13,7 Metern 3.300 Tonnen auf die Waage. Pro Jahr fertigt Herrenknecht rund 60 große Tunnelbohrmaschinen. Von den weltweit rund 5.000 Herrenknecht-Mitarbeitern arbeiten etwa 2.200 in Schwanau – in ausgewählten Bereichen wie der Komponentenfertigung mit komplexen CAD- oder Drehmaschinen sogar in drei Schichten.

Echte Millimeterarbeit

Über 604 Kilometer Eisenbahntunnel und mehr als 2.800 Kilometer neue Verkehrstunnel weltweit kennzeichnen die Erfolgsbilanz im Bereich Traffic Tunneling des 1977 gegründeten Unternehmens. Bei gut einem Drittel der großen Tunnelbohrer war Stephan Göggel, verantwortlicher Leiter für die Fertigung in Schwanau, involviert. Eine Tunnelbohrmaschine besteht aus etwa 80.000 Einzelteilen, rund 30 Prozent davon entfallen auf komplexe vorgefertigte und vormontierte Einheiten. Denn ganz gleich wie herausfordernd die Aufgabenstellung auch ist: „Termintreue geht bei Herrenknecht über alles“, sagt er. Noch nie in der Unternehmensgeschichte hat Herrenknecht Pönale wegen Terminüberschreitung zahlen müssen. Dabei sind die Anforderungen an die Maschinen enorm, ist doch kein Tunnel wie ein anderer. Unterschiedliche Geologie – standfest, locker, brüchig oder auch nachquellend –, grundwasserführende Böden, Tunnelführungen unter Meeresarmen, hohe Erdlasten, enge räumliche Gegebenheiten oder höchst setzungssensitive Bebauung über Tage: Jede TBM leistet Maßarbeit auf höchstem Niveau. Nach kilometerlangem Vortrieb unter widrigsten Bedingungen halten die langen Kolosse die vorgegebenen, horizontalen und vertikalen Sollachsen zentimetergenau ein. Möglich ist dies nur, weil Herrenknecht jede Maschine für die jeweiligen Gegebenheiten konstruiert. Für weichen Baugrund aus Ton, Lehm oder Böden mit geringer Wasserdurchlässigkeit kommt in der Regel ein Erddruckschild (EPB) zum Einsatz. Mixschilde hingegen sind die TBM der Wahl bei heterogenen Untergründen und Wasserdrücken bis zu 16 bar und Bohrdurchmessern bis 19 Meter. Sie werden in grundwasserführenden Böden eingesetzt, da bei diesem Verfahren eine Flüssigkeit oder Suspension eingesetzt wird, um die Ortsbrust zu stützen. Wenn’s in Bergmassiven richtig hart wird, bahnen sich Gripper-TBM ihren Weg, indem sie sich seitlich am Fels, also an der zuvor ausgebrochenen Tunnelwand verspannen. Der Vortriebszylinder stützt sich an dieser Verspannung ab und drückt den rotierenden Bohrkopf nach vorne an die Ortsbrust. Doppelschild-TBM kombinieren diese Gripper-Eigenschaft mit dem parallelen Einbau von Betonsegmenten zum Auskleiden der Tunnelwände. Diese sogenannten Tübbinge werden auch durch die Mixschilde und EPB-Schilde verbaut und bilden den Tunnelrohbau. Gemeinsam ist dabei all diesen Herrenknecht-TBM, dass sie sogenannte Vollschnittmaschinen sind, also mit einer Umdrehung des Schneidrads den gesamten Durchmesser des Tunnels abtragen.

Reine Kopfsache

Maschineller Tunnelvortrieb ist Kopfarbeit – der Konstrukteure und Maschinen. Ausgangspunkt bei der Wahl des Maschinentyps sowie des individuellen Designs einer TBM sind die spezifischen Anforderungen des jeweiligen Projektes: Geologie, Hydrologie, Baustellengegebenheiten und Kundenwünsche. Wichtigster und vorderster Teil jeder TBM ist der Bohrkopf, für Lockergestein Schneidrad genannt, dessen Werkzeuge das Material abbauen und im rückwärtigen Bereich abtransportieren. Projektspezifisch auf die jeweilige Geologie ausgelegt, wird er etwa im Hartgestein mit gigantischer Vortriebskraft gegen die Ortsbrust gepresst. So sorgen beispielsweise die Doppelschild-Bohrköpfe in der rund 20 Kilometer langen Doppelröhre des norwegischen Follo-Line-Tunnels mit mehreren tausend Tonnen Vortriebskraft für einen effizienten Abtrag. Um diesen enormen Kräften standzuhalten, werden sie nahezu vollständig aus bis zu 280 Millimeter dicken, großformatigen Hochleistungsblechen von Dillinger gefertigt. Auch die vier vollwandig zum Monoblock geschweißten Segmente des 7,9 Meter großen Schneidrads für den Erkundungsstollen Tulfes-Pfons am Brenner-Basistunnel wären ohne die extra dicken und breiten Bleche aus Dillingen nicht machbar. „Das Verhältnis von Breite und Dicke der Bleche von Dillinger ist sehr gut“, betont Stephan Göggel. „Wir brauchen fast ausschließlich die Güte S355 in 200 Millimeter Dicke – und da besonders breite Bleche, um Schweißnähte zu sparen“, ergänzt er. Außergewöhnliche Breite der Bleche ist auch beim Bau des Schildes gefragt, der annährend den gleichen Durchmesser wie der Bohrkopf hat. Er schützt den Hauptantrieb und stützt das ausgebohrte Loch, bis es ausgekleidet ist. Aus neun, bis zu 4,2 Meter breiten und zehn Meter langen Blechen wird ein Schild mit einem Durchmesser von 15 Metern gebaut und verschweißt. „Wir schätzen an Dillinger, dass wir dort trotz der notwendigen kurzen Lieferzeiten Abmessungen einspielen können, die den Verschnitt reduzieren“, so Stephan Göggel.

Gebündelte Kraft

Auch für den Getriebeblock, dessen Maße sich durch Drehmoment und Vortriebskräfte ergeben, sind die extrem dicken Bleche von Dillinger in großen Abmessungen für Herrenknecht unverzichtbar. Denn Antrieb und Getriebe als vormontierte Einheit sind der größte und zugleich schwerste Teil jeder Maschine. Charakteristisch für die Getriebe der Tunnelbohrmaschinen von Herrenknecht sind Monoblockgehäuse. Sie gewährleisten für die ebenfalls besondere Konstruktion des Antriebsblocks maximale Stabilität und damit für die Kunden entsprechende Betriebssicherheit. Denn bei Herrenknecht-Maschinen erzeugen viele Einzelmotoren, die in einem Hauptlager gebündelt werden, das Drehmoment für den Bohrkopf. Den Rekord halten bislang 48 Einzelmotoren für das Hauptlager der Erddruckschildmaschine, die beim Bau des dreispurigen M-30-Stadtautobahntunnels in Madrid eingesetzt wurde. Mit 96.000 kNm Drehmoment wurde dort Bohrkopf angetrieben. Im Durchmesser getoppt wurde diese Maschine durch eine Maschine mit fast 16 Metern Bohrdurchmesser, die derzeit den Santa Lucia Straßentunnel zum Ausbau der Autobahn zwischen Florenz und Bologna bohrt. Der hier eingebaute Bohrkopfantrieb ist der bisher größte Getriebeblock aus der Herrenknecht-Fertigung.

Um die ausgeklügelte Technologie zu schützen, werden alle Getriebegehäuse und Antriebsblöcke in Schwanau gebaut – ganz gleich, wo sie anschließend eingesetzt werden. Für die Konstruktion dieser schweren Monoblockgetriebegehäuse liefert Dillinger ebenfalls die dicksten Bleche, die es überhaupt auf dem Markt gibt: Bis zu 240 Millimeter dicke Grobbleche, in Länge und Breite so schnittoptimiert ausgelegt, dass sie mit einem maximalen Stückgewicht von 25 Tonnen für Herrenknecht noch handelbar sind. Aus diesem Grund erfolgt die Beschaffung der Bleche auch direkt durch das Team um Stephan Göggel in der Komponentenfabrik. „Wir wissen, wann wir welche Spezifikationen brauchen, welche Anforderungen wir haben und welche Bauteile wir aus den jeweiligen Blechen fertigen. Speziell für Bohrköpfe oder Getriebegehäuse ist die Auswahl möglicher Lieferanten eng.“ Auch Distanz-, Trag- und Adapterringe, Lager und Dichtungen baut Herrenknecht selber, lediglich Hydraulikkomponenten werden hinzugekauft. Bis zu zehn Ringe werden pro Antrieb verbaut, mit Durchmessergrößen von drei bis acht Metern und einem Stückgewicht von bis zu 15 Tonnen. Die Bleche für die Ringe fertigt Dillinger, gewalzt werden sie bis zu einer Dicke von 120 Millimetern und 400 Millimetern Breite bei Herrenknecht. Bei größeren Formaten wie für den Santa Lucia- Tunnel in Norditalien greift der Tunnelbohrmaschinenspezialist auch hierfür auf die Kompetenz von Dillinger zurück: So wurde von der dortigen Anarbeitung das Walzen der zuvor von Herrenknecht geschnittenen, 200 Millimeter dicken Bleche übernommen.

Schnelle Reaktion

Sobald bei Herrenknecht die TBM-Konstruktion mit den konkreten Maßen für die Bleche feststeht, kann es aus Sicht des Fertigungsleiters mit der Grobblechlieferung gar nicht schnell genug gehen. Denn um das Getriebegehäuse herum wird die gesamte Maschine gebaut, sodass der Projektfortschritt maßgeblich von der Lieferperformance von Dillinger abhängt. Aus gutem Grund setzt Herrenknecht deshalb seit über 15 Jahren auf den Grobblechexperten aus dem Saarland. „Dillinger liefert uns die projektspezifisch ausgelegten Grobbleche binnen acht bis zehn Wochen. Das ist sehr schnell“, lobt Stephan Göggel. Außerdem punktet dieser Stahlhersteller aus seiner Sicht mit einem weiteren entscheidenden Vorteil: „Auch der verlässlich eingehaltene Liefertermin spricht für Dillinger, denn das ist in der Stahlbranche nicht unbedingt üblich“, so der Fertigungsleiter. Rund 80 Prozent der Bleche sind Stähle der Güten S355J2+N nach Herrenknecht-Werksnorm mit eingeschränkten Kohlenstoffäquivalenten für gute Schweißeigenschaften. Die Grobbleche von Dillinger gewährleisten höhere Kerbschlagwerte als von der Norm gefordert und damit das geforderte Sicherheitsniveau der Konstruktion. Neben den normalen Ultraschallprüfungen belegen bei besonderen Einsatzfällen zudem Ultraschallprüfungen der Klasse S3E3, dass die Bleche frei von Einschlüssen, Verunreinigungen und flächigen Trennungen im Blechmittenbereich sind. Auch für Sonderanfertigungen in Z-Güte – Z15, Z25, Z35 – für Beanspruchungen in Blechdickenrichtung bei großen Blech- und Schweißnahtdicken – vertraut Herrenknecht auf die hoch leistungsfähigen Bleche von Dillinger.

In der Komponentenfabrik in Schwanau werden alle Konturschnitte erstellt, die einzelnen Elemente anschließend zusammengebaut, verschweißt, mechanisch bearbeitet und zum fertigen Getriebegehäuse vormontiert. Vom Bohrkopf bis zum Ende des Schilds misst eine große Tunnelbohrmaschine sechs bis zehn Meter in der Länge. Ihre endgültige Bohrwurmdimension von bis zu mehreren hundert Metern Länge erhält sie durch die sogenannten Nachläufer, die die gesamte Infrastruktur zum Betrieb der Maschine wie Bandförderer oder Förderkreislauf, Elektro-Schaltschränke und Hydraulikaggregate, Steuerstand, Transformatoren oder bei Gripper-TBM sogar Spritzroboter zum Ausspritzen der Tunnelröhre mit Beton enthält. Zur Abnahme durch den Kunden werden die Maschinen bei Herrenknecht im Werk aufgebaut, alle Betriebs- und Hilfsstoffe eingefüllt und Niederspannung eingespeist, um auch die Transformatoren zu überprüfen. Danach werden die Giganten termingerecht, wo auch immer in der Welt, ausgeliefert und in Betrieb genommen. „Die anspruchsvollste Anforderung an Dillinger ist deshalb“, so Fertigungsleiter Göggel, „dass unsere Terminwünsche möglichst eng erfüllt werden.“ Eine Erwartung, die der Stahlproduzent trotz der schmalen Zeitfenster seit Jahren erfolgreich erfüllt. „Diese verlässliche Lieferung ist top!“, so Stephan Göggel. Zudem bietet Dillinger nach seiner Erfahrung auch das breiteste Produktspektrum an Blechdicken, Längen, Breiten und Güten. „Wir benötigen sehr viele Bleche mit Spezifikationen und hohen Stückgewichten wie ein 220 Millimeter dickes Blech mit vier Metern Breite. Hier hat Dillinger im Stranggussverfahren weltweit eine Spitzenposition.“ Die gemeinsame Jagd nach neuen Rekorden im Tunnelbau läuft weiter: Das Auftragsbuch von Herrenknecht für Tunnelbohrmaschinen ist voll. Ob für Autoverkehr, Eisenbahn oder Metro: Überall auf der Welt vertrauen Metropolen zum Ausbau ihrer Transportwege auf die Technik aus Schwanau mit Blechen aus Dillingen.