Autonomes Fahren : Wann kommt der autonome LKW?

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© Daimler AG

Factory: Herr Dressler, es gibt Prognosen, die voraussagen, dass bis zum Jahr 2025 jeder dritte Lkw in Europa autonom oder zumindest teilautonom unterwegs sein wird. Halten Sie diese Einschätzung für realistisch?

Dressler: Teilaustomatisiert, also der Einsatz von Systemen der Stufe 3, wird bis 2025 weit verbreitet sein. Hier fährt der Lkw auf der Autobahn oder im Stau automatisch, benötigt den Fahrer an Bord aber als Rückversicherung. Ob die Voraussetzung für autonomes Fahren im großen Stil mit Systemen, die ohne menschlichen Hintergrund auskommen bis 2025 gegeben sein werden ist aus meiner Sicht nicht so sicher. Wahrscheinlich braucht die Industrie dafür ein paar Jahre mehr, um diesem ambitionierten Ziel näherzukommen. Eine entsprechende Gesetzgebung sowie Städteverordnungen könnten die Entwicklung allerdings beschleunigen.

Österreich will beim Thema autonomes Fahren eine Führungsrolle übernehmen. Wann werden in Europa die Lkw autonom oder zumindest teilautonom unterwegs sein?

Dressler: Das Thema beschäftigt die gesamte Nutzfahrzeugindustrie derzeit sehr intensiv. Die Entwicklung dahin wird in Phasen ablaufen. Aus den aktuellen Fahrerassistenzsystemen wird eine teilweise Automatisierung hervorgehen. Mit einer zunehmenden Vernetzung stehen nach 2025 Technologie für hochautomatisiertes Fahren und vollautomatisiertes Fahren in ausgewählten Nutzungsfällen zur Verfügung. Bis Maschinen den Fahrer in allen Anwendungsfällen komplett ersetzen, wird es jedoch mindestens weitere zehn Jahre dauern.

Transportunternehmen sind in Österreich und Europa mit strengen Lenkzeiten, straffen Sicherheitsvorschriften, Lkw-Fahrer-Mangel und kontinuierlich steigenden Steuern und Abgaben konfrontiert. Bringen autonom fahrende Lkw eine brauchbare Lösung für diese Fragen?

Dressler: Autonom fahrende Lkw bedeuten für die Wirtschaft und für Transportunternehmen im Besonderen eine große Herausforderung. Durch hochautomatisiert fahrende Systeme kann der Fahrer – unter der Voraussetzung der Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen – eine längere Zeit fahren ohne dass sich das Unfallrisiko erhöht. Perspektivisch kann er durch noch leistungsfähigere Systeme sogar vollständig ersetzt werden. Damit wird ein wichtiger Kostenblock, ich spreche hier von 25 bis 30 Prozent in den Total Cost of Ownership (TCO) reduziert.

Mit autonom fahrenden Lkw wird eine große Systemkomplexität assoziiert. Welche Herausforderungen sind hier zu bewältigen?

Dressler: Die notwendige Hardware und Software für hochautomatisiertes Fahren wird durch die Innovationsaktivitäten im Pkw-Umfeld in den nächsten Jahren verfügbar sein. Bei der Einführung der erforderlichen Fahrzeugarchitekturen und der Applikation der Technologien im Lkw sind jedoch die Nutzfahrzeugzulieferer und –hersteller gefordert.

Lassen sich die betriebswirtschaftlichen Vorteile für ein Unternehmen quantifizieren? Was wiegt die höheren Anschaffungskosten der Lkw auf?

Dressler: In einem ersten Schritt hoffen die Nutzfahrzeughersteller und Flottenbetreiber bei einer Fahrautomatisierung Stufe 4, d. h. vollständiger automatischer Fahrbetrieb in ausgewählten Fahrzuständen, auf eine Produktivitätssteigerung des Fahrers durch längere Lenkzeiten. Langfristig ist das Ziel, dass dieser Kostenblock komplett entfällt. Daneben sollte durch die Teilung des Luftwiderstandes im Platoon (Lkw fahren im Verbund hintereinander) auch der Kraftstoffverbrauch sinken. Die ersten positiven Kostenvorteile sollten aber schon in den nächsten Jahren durch weniger Unfälle und damit verbunden höhere Verfügbarkeit sowie geringere Versicherungskosten für die Fahrzeuge realisierbar sein.

Sind die Lkw-Hersteller schon in der Lage, entsprechende Fahrzeuge auf die Straße zu stellen?

Dressler: Die Hersteller stecken derzeit in der Erprobungsphase. Aktuell laufende Tests, wie beispielsweise der Einsatz des Mercedes Future Truck zeigen, dass die Hersteller dem Serieneinsatz kontinuierlich näher kommen, auch wenn es noch ein längerer Weg ist.

Werden autonom fahrende Lkw Impulsgeber für neue Geschäftsmodelle sein?

Dressler: Der Einsatz von autonom fahrenden Lkw wird sich wesentlich auf Geschäfts- und Betreibermodelle auswirken. Diese diskutieren wir derzeit mit mehreren Herstellern und Zulieferern. Neue Geschäftsmodelle umfassen etwa Platoon-Service-Plattformen oder Logistikcenter mit automatisierter Be- und Entladung. Auch die Rolle der Betreiber ist im Wandel. Große Flottenbetreiber werden von der aktuellen Entwicklung profitieren. Es wird zu Kooperationen kommen, um flottenübergreifende Platoons zu bilden. Kleine Lkw-Fuhrparks werden aus meiner Sicht ihre Geschäftsmodell anpassen, um hier nicht außen vor zu bleiben.

Eine hohe Systemkomplexität provoziert hohen Kosten. Werden selbstfahrende Lkw teurer sein in der Anschaffung als heutige Fahrzeuge?

Dressler: Der Technologiesprung wird einen Anstieg der Beschaffungskosten für ein Fahrzeug mit sich bringen. Die zusätzlichen Kosten hängen von der Stufe der Automatisierung sowie den Geschäfts-und Kooperationsmodellen bei der Entwicklung der Systeme ab. Für einen vollautomatisierten Lkw schätze ich die zusätzlichen Kosten auf rund 20.000 Euro ein. Der höhere Preis ergibt sich im Wesentlichen durch die hochkomplexe Software und zusätzliche Sensoren, die bei einem Lkw der Zukunft an Bord sind. Jedoch sollten sich diese Investitionen sehr schnell amortisieren.

Was ist eigentlich die größte Herausforderung bei autonomen Lkw?

Dressler: Die Herausforderungen stellen sich in mehreren Bereichen. Ich sehe fünf wesentliche Handlungsfelder, in denen Lösungen zu finden sind: Technologieentwicklung, Entwicklung der Supply Chain, regulatorische Anforderungen, ethische Konflikte sowie bei der Infrastruktur. Auch stellen die gesetzlichen Rahmenbedingungen eine Hürde dar, die es zu überwinden gilt. Hinsichtlich der ethischen Bedenken ist eine breite gesellschaftliche Diskussion notwendig, um zu einem Konsens zu kommen und eine hohe Nutzerakzeptanz zu erreichen.

Rechnen Sie mit höheren Sicherheitskosten bei selbstfahrenden Lkw, weil beispielsweise die Gefahren wie Raub, Ladungsdiebstahl oder Wartungskosten der Lkw steigen?

Dressler: Die Vernetzung und Digitalisierung der Fahrzeuge erfordert neue Sicherheitskonzepte, um das Fahrzeug gegen Angriffe von außen über die elektronischen Schnittstellen zu sichern. Gleichzeitig kann durch zusätzlich verbaute Sensoren und Vernetzungsmöglichkeiten der Zustand des Lkw und der Ladung rund um die Uhr geortet werden. So können etwa automatisch Notrufe abgesetzt oder die Position des Lkw bestimmt werden. Das trägt zu einer erhöhten Sicherheit bei. Die Wartungskosten werden positiv beeinflusst. Durch vorausschauende Wartungssysteme werden Schäden an den Fahrzeugen vermieden. Mit Hilfe der Vernetzung des Fahrzeugs mit Service-Netzwerken wird dem Flottenbesitzer die kostengünstigste Servicevariante vorgeschlagen. Das bedeutet wiederum unterm Strich einen betriebswirtschaftlichen Kostenvorteil.

Was muss die Politik zuerst erledigen, damit Lkw eines Tages wirklich selbst fahren können?

Dressler: Die Politik ist gefordert, die notwendigen gesetzlichen Regelungen zu schaffen, die den Einsatz von vollautomatisierten Fahrzeugen zulässt. Ein erster Schritt in der Entwicklung ist dazu die Einrichtung von Testmöglichkeiten für die Hersteller, beispielsweise durch das Ausweisen von Fahrbahnabschnitten zu Testzwecken.

Danke für das Gespräch!