Mechatronik : Jessernigg: Wie sich Schnapsbrennanlagen zukunftsfit machen lassen

Jochen Lidauer
© WKOÖ/Simlinger

Beim Schnapsbrennen arbeitet man traditionell mit zwei Elementen, die nicht sonderlich gut harmonieren: „Mit Feuer und hochprozentigem Alkohol“, spricht Jessernigg-Geschäftsführer Jochen Lidauer eine Gefahrenquelle an, die in der Vergangenheit immer wieder für schwere Unfälle gesorgt hat. Die Marchtrenker bieten deshalb elektrisch beheizte und elektronisch gesteuerte Anlagen an. Anwenderfehler seien damit praktisch ausgeschlossen. Und das ist auch gut so. Dürfte der deutsche Markt doch bald für einen zusätzlichen Nachfrageschub sorgen. Denn dort gilt für das Schnapsbrennen seit heuer eine ähnliche Regelung wie in Österreich. Seit Jahresbeginn ist es erlaubt, am eigenen Grund geerntetes Obst auch selbst zu verarbeiten und zu veredeln. Bisher fertigt Jessernigg im Jahresschnitt rund 50 Schnapsbrennanlagen. Heuer dürften es deutlich mehr werden. Mit Hightech will Lidauer diesem Trend begegnen und dabei auch einen kleinen Schritt in die vielzitierte Digitalisierung schaffen.

Komplexe Prozesse automatisieren

Vom Einsteigermodell für den Esstisch um 1.200 Euro bis zu Großgeräten bis zu 12.500 Euro bietet Jessernigg alle Modelle für das Schnapsbrennerherz. Der Clou: Neben der höheren Sicherheit bieten die Marchtrenker-Anlagen durch eine automatische computergesteuerte Leistungsregulierung auch einen Qualitätssprung. In Abhängigkeit von den Werten des Wasserstandsensors, Drucksensors und des Temperatursensors wird vollautomatisch über die Siemens-Logo-Steuerung die Leistung reguliert. Diesem Bedienkomfort ging natürlich ein aufwändiger Entwicklungsprozess voran. Hauptverantwortlich dafür war Manfred Weingärtner. „Anfangs haben wir die Aufgabe unterschätzt, weil wir die Komplexität des Destillationsprozesses zu wenig berücksichtigt hatten“, sagt der Chef-Elektrotechniker bei Jessernigg. Mit einer ebenso naheliegenden wie einfachen Lösung sollte der Destillationsprozess automatisiert werden: Ein Temperaturregler sollte dafür sorgen, dass die Maische gleichmäßig aufgeheizt wird. Weil aber der verdunstende Alkohol die Maische kühlt, zwingt der Temperaturregler die Heizung ständig zu voller Leistung. „Weil man aber einen langsamen Destillationsprozess haben will, war das ein falscher Ansatz“, verrät Weingartner.

Die Vermessung des Schnapsbrennens

Weingartner reagierte auf diesen Rückschlag mit der ihm eigenen Beharrlichkeit. „Daraufhin habe ich eine mit Holz befeuerte Schnapsbrennanlage eines Kollegen komplett verkabelt und den gesamten Prozess genauestens gemessen und analysiert.“ Sensoren im Wasserbad, in der Maische und im Übersteigrohr lieferten Daten, die in Diagrammform schließlich halfen, die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Parametern zu verstehen. Was folgte, war eine technische Aufrüstung, die den Destillationsprozess optimal steuert. Je nach Modell wird das Wasserbad der Jessernigg-Schnapsbrennanlagen mit einem oder zwei Heizstäben beheizt. „Diese sind exakt nach unseren Vorgaben gefertigt und haben eine Sicherheitsthermostat, das auf 130 Grad Celsius eingestellt ist“, erklärt Weingartner. Zusätzlich überwacht ein Sensor, ob der Pegelstand im Wasserbad passt. Ein elektronischer Drucksensor liefert ebenso wie ein Temperatursensor jene Daten an eine Siemens Logo-Steuerung, die automatisch die Leistung der Heizstäbe reguliert.

Komfort und Wetter befeuern Nachfrage

Für zusätzlichen Bedienkomfort sorgen zwei LEDs. Eine warnt im Bedarfsfall vor zu geringer Füllmenge im Wasserbad. „Das zweite Licht visualisiert durch Blinken die Pulsweitenmodulation und gibt so Aufschluss über die aktuell erbrachte Heizleistung“, konkretisiert Weingartner. Die dafür nötige Platine hat der Techniker übrigens selbst entwickelt. Damit hat das bereits 1912 in Stockerau gegründete Unternehmen eine wichtige Weichenstellung vorgenommen. „Wir erleben heuer ein Jahr mit einer überdurchschnittlich hohen Obsternte. Das befeuert die Nachfrage“, so Lidauer. Es sind vorwiegend Neukunden die dafür sorgen, denn eine Schnappsbrennanlage ist praktisch unkaputtbar.

Unkaputtbare Qualität

„Wir verarbeiten Nirosta und Kupfer. Notwendig sind daher nur regelmäßige Reinigungsarbeiten, eine Wartung ist nicht notwendig“, erklärt Lidauer. Dass Jessernigg ein wahrer Nischenchampion ist, verdeutlicht die Unternehmensgeschichte. Obwohl keine verlässlichen Daten vorliegen, darf man davon ausgehen, dass Jessernigg in den 106 Jahren seines Bestehens rund 100.000 Schnapsbrennanlagen produziert hat. Jochen Lidauer nimmt an, dass rund 150.000 der insgesamt 180.000 landwirtschaftlichen Betriebe in Österreich eine Schnapsbrennanlage besitzen. „Sehr zurückhaltend geschätzt sind zumindest 2/3 davon von Jessernigg“, sagt Lidauer. Stolz ist man freilich auf viele Auszeichnungen, die mit Jessernigg-Anlagen errungen wurden. Am prominentesten ist vielleicht die Familie Raser aus Hainburg, deren Edelbrände bereits mit über 150 Destillata-Auszeichnungen gewürdigt wurden. Obwohl der Export bisher eine völlig untergeordnete Rolle spielt, gehen immer wieder Einzelstücke vorwiegend in den Norden und Osten Europas.