Nachgefragt : Industrie 4.0: Welche Interessen die österreichische Plattform wirklich vertritt

Kurt Hofstädter
© Siemens/Eric Krügl

Factory: Herr Hofstädter, was hat in Österreich gefehlt, dass es einer Plattform Industrie 4.0 bedarf?

Kurt Hofstädter: Industrie 4.0 ist ein gesamtgesellschaftliches Thema. Die Plattform nimmt die notwendige Koordinationsfunktion zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Industrie, wissenschaftlichen Einrichtungen, Politik, Bundesländern und weiteren wesentlichen Institutionen (AMS, AUVA, Fördereinrichtungen etc.) wahr. Davor gab es keine regelmäßigen und koordinierten Abstimmungen. Dabei geht es auch um eine europäische Sichtbarkeit. Wir behandeln auch Themen wie EU-Fördergelder, internationale Standards und Normen.

Internationale Standards und Normen werden aber nicht in Österreich gemacht?

Hofstädter: Richtig. Die Plattform kann dennoch Informationen aus erster Hand liefern. Damit wissen Österreichs Unternehmer schon jetzt, was in den nächsten Jahren kommen wird. In der Arbeitsgruppe Normen und Standards wird gerade vom ÖVE, gemeinsam mit dem Austrian Standards Institute, dem österreichischen Patentamt und Mitgliedern eine österreichische Normungsroadmap erarbeitet. Und vergessen Sie nicht, dass sowohl die Plattformmitglieder Siemens als auch Kapsch in internationalen Gremien sitzen, die diese Normen und Standards mitgestalten.

Die Plattform ist derzeit recht aktiv auf Mitgliedersuche. Warum sollte ein typischer Mittelständler Teil dieser Plattform sein? Was ist sein unmittelbarer Mehrwert?

Hofstädter: Als Mitglied der Plattform kann man das, was benötigt wird, formulieren. Und durch unseren direkten Zugang zur Politik und den Gründungsmitgliedern ist die Chance der Umsetzung hoch. Je mehr Mitglieder in der Plattform sind, desto höher ist die auch die politische Schlagkraft.

Die Plattform ist also ein Polittool?

Hofstädter: Wenn Sie sich die sechs Gründungsmitglieder anschauen – BMVIT, IV, FEEI, FMMI, BAK und PRO-GE – dann kann man davon ausgehen, dass diese gemeinsam auch eine politische Kraft entfalten können.

Das Argument des „Mitgestaltens“ ist aber oft zu wenig. Was sagen Sie Unternehmen sonst noch?

Hofstädter: Dass sie von den Erfahrungen, den Aktivitäten und dem Wissen anderer Mitglieder profitieren können. Wir arbeiten gerade intensiv daran, Outputs aus den Arbeitsgruppen zu generieren. Wir wollen einen klaren Mehrwert für Österreichs Industrie.

Wann können wir mit den von Ihnen genannten Outputs der Plattform rechnen?

Hofstädter: Mit Ende des Jahres werden erste konkrete Ergebnisse fertig sein.

Geben Sie mir ein Beispiel für so einen Output.

Hofstädter: Die vorhin erwähnte Normungsroadmap.

Gemeinsam mit Infineon-Chefin Sabine Herlitschka machten Sie den MBA und pflegen auch so einen intensiven Kontakt. Jetzt gehörte aber Frau Herlitschka zu jenen Personen, die sich zu Anfang äußerst kritisch gegenüber der Plattform aussprachen. Gerüchten zufolge wird aber Infineon nun doch Mitglied. Wann?

Hofstädter: Die Arbeit der Plattform wird zunehmend breiter wahrnehmbar und eine Reihe weiterer Unternehmen werden in den nächsten Monaten der Plattform beitreten. Die Mitgliederzahl wird bald auf 40 anwachsen. Über konkrete Beitrittswünsche kann ich, bevor es offiziell ist, keine Aussagen tätigen. Nur so viel kann ich Ihnen verraten: Neue fixe Mitglieder sind A1 Telekom Austria, Rexel Austria, das Know-Center in Graz sowie der Fachverband für Bergbau und Stahl.

Was entgegnen Sie Kritikern, die behaupten, als Siemens-Chef würden Sie in der Plattform nur eigene Interessen vertreten?

Hofstädter: Ganz wichtig ist, zu verstehen, dass die Aktivitäten der Plattform vorwettbewerblich sind. Ein Blick auf die Mitgliederliste zeigt, dass auch Marktbegleiter in der Plattform zusammenarbeiten. Der Vorstand besteht aus zehn Personen mit je einer Stimme. Schon mathematisch geht es sich nicht aus, dass ein einzelner Vertreter, wer auch immer, die Plattform dominieren könnte. Noch klarer ist der Befund in der Mitgliederversammlung, die das zentrale Gremium darstellt.

Sie trennen also Ihre Rolle bei Siemens und in der Plattform strikt voneinander?

Hofstädter: Ja, das mach’ ich. Aber wir leben in Österreich von der Qualität der Industrie. Diese Wertschöpfung gilt es zu schützen. Österreich steht mitten in einem heftigen digitalen Wettbewerb mit anderen. Und die anderen sind Europa. Wichtig ist, zu verstehen, dass nicht nur Mitglieder die Beglückten sind, sondern alle. Mit Wirken der Plattform hoffen wir ein Wirtschaftswachstum von 2 bis 3 Prozent pro Jahr bestmöglich zu unterstützen. Geht es allerdings in die andere Richtung und die Industrie schrumpft, w.re das auch für eine Siemens nicht gut.

Kürzlich kam SFL-Geschäftsführer Hans Höllwart als Vertreter der KMU in den Vorstand. Eine Entscheidung nicht ohne Grund, nehme ich an?

Hofstädter: Österreich ist durch seine mittelständische Unternehmensstruktur geprägt. Gerade KMUs wollten wir daher in der Plattform viel Raum geben. Höllwart war sofort bereit, sich hier zu engagieren. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Er ist ein unermüdlicher Kämpfer für die Anliegen der Mittelständler und genau diese wichtige Rolle nimmt er auch in der Plattform wahr.

Wie viel Einfluss hat das BMVIT in der Plattform?

Hofstädter: Das BMVIT ist Gründungsmitglied und setzt eine Reihe zentraler Initiativen für den Standort Österreich, z.B. investiert es pro Jahr rund 130 Millionen Euro in Industrie-4.0-Maßnahmen, mit dem Ziel: Forschung in strategisch wichtigen Themenbereichen auszubauen und damit Qualifikation in Österreich zu verbessern.

Hat die Plattform Einfluss bei der Vergabe von Stiftungsprofessuren und den Standorten der neuen Pilotfabriken?

Hofstädter: Die Ausschreibungen für die Pilotfabriken und die Stiftungsprofessuren werden von der FFG in gewohnter Weise objektiv organisiert und abgewickelt. Da gibt es keinen Einfluss der Plattform und das ist auch gut so.

Wenn jemand sagt, die Pilotfabriken seien nur Spielerei. Was entgegnen Sie ihm?

Hofstädter: Die Pilotfabriken adressieren mehrere zentrale Themen: Erstens bieten sie einen Praxisbezug von Studierenden in engem Austausch mit Betrieben. Zweitens wird eine Reihe an Forschungsprojekten durchgeführt, die für die gesamte Industrie von hoher Relevanz sind. Drittens fungieren sie als Demonstratoren, die zeigen, wie ein digitalisierter Produktionsprozess inklusive Simulation von Produkt und Produktion funktionieren kann.

Industriezyklen ticken anders als politische. Die Plattform bewegt sich genau zwischen diesen Mächten. Wie wollen Sie hier für Gleichstand sorgen?

Hofstädter: Es wird nie einen Gleichstand geben und der ist auch nicht notwendig. Die Politik kann per definitionem nur auf neue technologische Entwicklungen reagieren. Entscheidend ist, dass sie reagiert und kontinuierlich die Rahmenbedingungen an die aktuellen Entwicklungen anpasst.

Was sind solche Rahmenbedingungen?

Hofstädter: Ein gutes Beispiel ist das Breitbandthema. Daten dürfen nicht mehr tröpfeln.

Bei zwei neuen Comet-Zentren, dem „Pro-2Future“ und dem „CDP“, nimmt ihre Plattform die Rolle eines Mediators ein. Warum?

Hofstädter: Die beiden dahinterstehenden Konsortien (Steiermark/Oberösterreich und Wien) hatten den Wunsch, eine dritte neutrale Partei an Bord zu holen, die moderiert, damit gemeinsame Themen ausfindig gemacht werden. Eine Herkulesaufgabe, wenn man bedenkt, dass diese beiden Zentren mit klarem 4.0-Fokus strikten Zeitvorgaben unterliegen. Immerhin entscheidet sich schon 2019, ob diese Zentren weiterbestehen dürfen oder nicht.

Was ist hier der nächste Schritt der Plattform?

Hofstädter: Innerhalb von zwei Jahren braucht es von diesen Zentren konkrete Outputs,sonst werden Fördermittel gestrichen. Das heißt, es müssen bald eine gemeinsame Forschungsstrategie sowie konkrete Demonstrationsprojekte definiert sein. Unsere Aufgabe ist rein eine Moderationsaufgabe, damit der Gesamtprozess rasch, effizient und zielgerichtet durchgeführt wird.

In einem Interview mit dem Trend erwähnten Sie letztes Jahr, dass Industrie 4.0 gesellschaftliche Konsequenzen mit sich ziehen wird. Der klassische Facharbeiter werde nicht mehr gebraucht. Hat sich Ihre Meinung dazu geändert?

Hofstädter: Was ich damals meinte, war, dass sich das Tätigkeitsprofil eines Facharbeiters wandeln wird. Der klassische Facharbeiter wird mehr denn je gebraucht werden. Eine menschenleere Fabrik wird es nie geben. Aber wir werden in den nächsten Jahren einen deutlichen Wandel in unseren Aus- und Weiterbildungssystemen sehen. Fächerübergreifende Ausbildungsformate sind dringend gefragt.

Braucht es also eine eigene Ausbildung für Industrie 4.0?

Hofstädter: Ich warne immer davor, das so zu nennen. Dieser Begriff könnte in drei Jahren schon wieder ein alter Hut sein. Besser wäre es, das Ganze als Ausbildung für eine digitale Welt zu bezeichnen.

Gehen wir weg von Begrifflichkeiten. Wie will die Plattform hier helfen?

Hofstädter: In einer der Arbeitsgruppen beschäftigen wir uns intensiv mit dem Thema einer fächerübergreifenden Ausbildung für die Lehre, an HTLs, Fachhochschulen und technischen Universitäten. Unsere Rolle ist es aber nicht, das Bildungssystem zu puschen, sondern zu unterstützen. Es gibt schon zahlreiche Beispiele, wie die FH St. Pölten, das FH Technikum Wien, die TU Graz und Wien, FH Kufstein sowie FH OÖ, die solche Wege bereits gehen. Dort lernt ein Maschinenbauer auch die Bedeutung von Embedded Systems und genau das brauchen wir.

Vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Elisabeth Biedermann