Produktion der Zukunft : „Ein Paradigmenwechsel in der Produktion“

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Das Produkt ist betont einfach gehalten: ein USB-Stick, der mittels aufgesetzter roter oder blauer Lego-Steine „individualisiert“ wird. Auf dem kleinen Demonstrator durchläuft der Stick ein Montagemodul und ein Daten-Betankungs-Modul, und schließlich werden Produkt und Bestellung mittels KI abgeglichen. Auch die Einbeziehung eines externen Lieferanten kann hier simuliert werden. In diesem Fall erhält der Stick einen orangen Lego-Stein.

Der Demonstrator, der im Rahmen der Hannover Messe präsentiert wurde, wirkt maximal unspektakulär. Und stellt doch nicht weniger dar als eine Vision von der Produktion der Zukunft.

Maschinenübergreifende Verknüpfung

„Skill-based Production ist aus unserer Sicht ein Paradigmenwechsel in der Produktionsplanung und -ausführung“, sagt Marco Sprenger, „wir kennen Losgröße 1 aus der Automobilbranche, aber es hält mehr und mehr Einzug in die Fertigung von Konsumgütern.“ Der Leiter des Education Network Technologie bei B&R ist Partner des „Production Level 4“-Demonstrators der SmartFaktory Kaiserslautern. Und der soll diesen Paradigmenwechsel in die industrielle Praxis zu überführen helfen.

„Das Endprodukt ist nicht mehr vordefiniert, es definiert sich erst mit dem Auftragseingang. Die klassische Massenproduktion mit ihren definierten Fertigungsprozessen ist darauf nicht mehr anwendbar“, zeichnet Marco Sprenger sein Bild der Zukunft. Not täten also Systeme und Prozesse, die sich flexibel und in Echtzeit den individuellen Anforderungen eines einzelnen Auftrags auf Maschinenebene anpassen: beliebig miteinander verknüpfbare Teilprozesse, von denen jeder eine bestimmte Fertigkeit – einen Skill – darstellt. Diese Skills können beliebig und maschinenübergreifend miteinander verknüpft werden.

Kooperation der Wettbewerber?

Martin Ruskowski, Professor am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz und Vorstandsvorsitzender der Technologie-Initiative SmartFactory KL, betont die Möglichkeiten, die sich hinsichtlich lokaler Fertigung ergeben: „Viele Kunden wollen auch lokal fertigen – ein Thema, das auch im Zusammenhang mit Emissionen immer stärker auftaucht. Man kann nicht mehr alles in Massenproduktion in China fertigen, man muss auch in der Lage sein, hier flexibel und kostengünstig zu fertigen.“

Skill-based Production hält er für einen „fundamentalen Wandel im Denken“. Auch, weil sie die Kooperation zwischen verschiedenen Fabrikhallen und verschiedenen Herstellern und Lieferanten adressiert. „Und wenn wir es richtig gemacht haben, dann können sogar Wettbewerber untereinander Ressourcen austauschen. Weil Gaia-X eine sichere Datenschnittstelle bereitstellt, die Datenmissbrauch sicher verhindert.“

Zwei Ansätze der Kommunikation

Den „fundamentalen Wandel im Denken“ erklärt Magnus Volkmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Kaiserslautern, anhand des Begriffs „Skills“ per se: „Die klassische Betrachtung von Skills war eine über bestimmte Parameter. Nun werden die Skills aber so komplex, dass das nicht mehr funktioniert. Jetzt schicken wir die Daten an die Fertigungsmaschinen, und die Maschine antwortet: ‚Ja das kann ich fertigen, ich brauche dafür so lange, und ich nenne auch gleich die kosten des Prozessschrittes und die Höhe des Energieverbrauchs.‘“

Für die Frage, wie diese Kommunikation grundlegend organisiert sein soll, werden derzeit zwei Ansätze verfolgt: Es kann in Richtung eines Orchestrators gehen, der Zugriff auf die ganze Fabrik hat und jede einzelne Maschine anfragen kann. Oder aber um den Aufbau eines Multi-Agenten-Systems, in dem sich die relevanten Maschinen direkt untereinander einigen. Solche Fragen, erzählt Magnus Volkmann, werden derzeit noch sehr heftig diskutiert.

Permanente Weiterentwicklung

Warum derartige Ansätze in der Praxis noch so selten sind? Martin Ruskowski sieht vielerorts grundlegende Voraussetzungen noch nicht gegeben. „An den Berufsschulen wird zum Beispiel immer noch die klassische SPS-Programmierung gelehrt: klassische Elektrotechnik, nur eben im Rechner abgebildet. Das Denken der IT, der Kapselung, der objektorientierten Programmierung ist meist noch nicht angekommen. IT und OT müssen erst zusammengebracht werden.“

Hinzu komme die Frage der Kommunikation zwischen Maschinen. Was innerhalb der einzelnen Hersteller-Welten schon funktioniere, müsse nun auch herstellerübergreifend angegangen werden. „Der nächste Schritt“, sagt Ruskowski, „muss die Öffnung der Kommunikation über mehrere Hersteller hinweg sein. Erst dann wird das Thema wirklich ins Fliegen kommen.“ Wie lange auch immer es dauert: „Roboter und Maschine müssen zu einer Einheit mit einer zentralen Steuerung verschmelzen“, sagt Marco Sprenger. „Das ermöglicht die Synchronisierung von Maschine und Roboter in harter Echtzeit und schafft damit völlig neue Grade an Flexibilität.“

In diesem Sinne ist der auf der Hannover Messe präsentierte Demonstrator auch nur als Momentaufnahme zu verstehen. „Production Level 4 ist eine agile Idee, die sich permanent weiterentwickelt, „betont Martin Ruskowski. Der Demonstrator werde dementsprechend in den kommenden Jahren permanent neue Fähigkeiten erhalten.

Mutter Erde für Daten

Mit Gaia-X soll eine sichere europäische Dateninfrastruktur geschaffen werden.

Gaia-X ist der Versuch europäischer Unternehmen, eine unabhängige und sichere Cloud zu schaffen und Daten sowie Dienste auszutauschen. „Dabei geht es um das Aufbrechen der lokalen Produktionsnetzte hin zu offenen Netzen, wo die Security auf die einzelne Maschine gebracht wird, und darum, autonome Maschinen über das Internet miteinander vernetzen zu können“, erläutert Martin Ruskowski. Klaus Stark, Leiter des Innovationsmanagements bei Pilz, stellt fest, dass in der Praxis zwar bereits einige Leuchtturmprojekte entstehen, doch noch ein weiter Teil des Weges gegangen werden muss. „Auch wenn noch viele Technologien zu installieren sind, hat Gaia-X eine besondere Bedeutung für uns und zwar im Punkt Monetarisierung von Daten. Wir brauchen Modelle und Services, um gemeinsam als Industrie Wertschöpfung zum Nutzen der Kunden zu betreiben“, so Stark.

Who is Who

Hinter dem Demonstrator stehen 22 potente Partner.

B&R Industrie-Elektronik

Belden Electronics

Bosch Rexroth

Deutsche Telekom

DFKI

Empolis Information Management

Eplan Software & Service

German Edge Cloud

Harting

Huawei Technologies Düsseldorf

IBM Deutschland

KIST Europe Forschungsgesellschaft

MiniTec

Pfalzkom

Perinet

Pilz

proAlpha Business Solutions

Siemens

TÜV Süd

TE Connectivity Germany

Technische Universität Kaiserslautern

Weidmüller Interface