Spindelreparatur : Causa Spindeldoctor: Kann man freien Dienstleistern trauen?

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© Tomasz Zajda - stock.adobe.com

Seit über 30 Jahren ist die Mull Werkzeugbau und Zerspanungstechnik GmbH schon im Geschäft mit den ganz Großen. Flexibilität und die Fähigkeit, auf Änderungen rasch reagieren zu können, haben das Unternehmen über die Jahre stark gemacht. Im Drei-Schicht-Betrieb fräsen 30 Bearbeitungszentren Bauteile aus Werkstoffen wie beispielsweise Stahl, Titan, Aluminium und Kunststoff. Wobei die geheime Spezialität der Niedersachsen wohl im Bereich der Magnesiumbearbeitung liegt. Wer aber Kunden wie VW und Continental bedienen will, dem sitzt auch der Zeitdruck im Nacken. Fällt also das Herz einer Werkzeugmaschine, die Spindel, aus, ist das wohl der produktionstechnische Supergau. Denn ohne den motorbetriebenen Teil einer Werkzeugmaschine, welcher das sich drehende Werkzeug (Bohrer, Fräser, Gewindeschneider, Schleifkörper usw.) oder auch das sich drehende Werkstück hält, läuft gar nichts mehr. Ein Supergau, der sich in Niedersachsen im Herbst vor zwei Jahren an einer Deckel Maho Maschine (heute bekannt unter DMG Mori) ereignete.

Reaktionszeit des Maschinenbauers zu langsam

Weil die Reaktionszeit des Maschinenherstellers zu langsam war, griff Geschäftsführer Felix Mull – wie viele andere vor ihm – auf das Angebot eines flinken Dienstleisters zurück. Die Egin-Heinisch GmbH alias der Spindeldoctor gilt in der Branche als besonders aggressiv. Aggressiv, weil er ein Nischengeschäft groß machte – „zum Leidwesen so mancher Kunden“, wie spitze Zungen heute behaupten. Der Dienstleister aus Naumburg lockt nämlich mit unglaublichen Angeboten: Eine Kessler-Spindel repariert er innerhalb von nur 3 Tagen. Sollte das nicht möglich sein, gibt es eine Tauschspindel zum Festpreis von 9.999 Euro (exkl. Ein- und Ausbau). Die normale Gewährleistung beträgt bis zu 24 Monate. Im Fall von Felix Mull gab es sogar 36 Monate. (Anm.: FACTORY hat den Schriftverkehr vorliegen). Heute weiß Felix Mull, dass diese Werbeversprechen nur sehr wenig mit der Realität zu tun haben. Und es eine sehr hässliche Seite dieses Geschäfts gibt.

Hässliche Seite des Spindel-Geschäfts

„Nach dem Einbau der reparierten Spindel schlug der Schleuderring Funken.“ Was Mull da berichtet, hätte wohl andere Dienstleister Alarm schlagen lassen, anders aber der Spindeldoctor: „Die Spindel muss sich erstmal einschleifen“, hieß es. Das beruhigte Mull zunächst nicht, aber der spendable Dienstleister versprach immerhin 36 Monate Garantie. Freilich wurde im Kleingedruckten nachweislich darauf hingewiesen, dass der Gewährleistungsanspruch bei Beschädigung des Schleuderrings ausgeschlossen ist. Nichtsdestotrotz: Der Funkenschlag stoppte, die Spindel lief einwandfrei. Zumindest bis zum April dieses Jahres. „Die Spindel drehte sich nicht mehr“, so Mull. Seine Vermutung: Der Schleuderring klemmt. Best-Zeit-Garantie ist der Markenspruch des Spindeldoctors und so waren die Naumburger schon am nächsten Tag zur Stelle, um die Spindel zu demontieren und mitzunehmen.

Das Kleingedruckte wurde schlagend

Von dieser anfänglichen Professionalität war aber ein paar Tage später keine Rede mehr. Man habe bei der Begutachtung der Spindel Mikrorisse und Dellen gefunden, hie. es vom Doc. Weil das nun auf das Konto von Mull zurückzuführen sei, erlosch damit der Garantieanspruch. Das Kleingedruckte wurde schlagend. Für Felix Mull durchaus akzeptabel, hätten die Naumburger nicht auf einen willkürlichen Preis jenseits der 9.999 Euro bestanden. „Das hätte mich beim Maschinenbauer selber weniger gekostet“, resümiert er.

Offensichtliche Hinauszöger-Taktik

Mull zog Konsequenz und wandte sich an einen anderen Dienstleister. Er verlangte seine Spindel zurück. Der Streit eskalierte. Denn was nun folgte, war eine, wie es Mull nennt, „offensichtliche Hinauszöger-Taktik“. Nach Rücksprache mit der Rechtsabteilung mache man Gebrauch vom Zurückbehaltungsrecht, hier es dazu in einer Mail vom Spindeldoctor. Es hagelte unerklärliche Terminverschiebungen. Der Doc bestand auf sein Geld. Den Geschäftsausstieg wollte man den Niedersachsen so schwer wie möglich machen. Für Mull reinste Erpressung. Für satte 5.145 Euro bekam er seine Spindel schlussendlich wieder.

Zum Vergleich: Andere Dienstleister bekräftigten gegenüber FACTORY, für Ausbau und Begutachtung max. 2.000 Euro zu verlangen. Das Dilemma war aber noch nicht vorbei: Als die Spindel endlich nach tagelangem Hin und Her beim neuen Dienstleister eintraf, versetzte das gute Stück die dortigen Mitarbeiter zunächst in Schockstarre. „Wichtige Teile fehlten, die Kabel waren nicht abgeschraubt, sie waren abgeschnitten“, bekräftigen diese gegenüber FACTORY. Die Spindel sei regelrecht geschlachtet worden.

Schweigekartell Spindelreparatur

Die Bandagen in dieser Serviceschlacht sind hart. Denn geht es um die Reparatur von Spindeln, dem Herz jeder Werkzeugmaschine, schenken sich Hersteller wie Dienstleister nichts. Bei einem millionenschweren Geschäft durchaus verständlich. Denn während beim Verkauf von Maschinen die Preisschlacht tobt, winken hier immer noch sch.ne zweistellige Margen. Das wissen die großen Hersteller genauso gut wie die vielen kleinen Wartungsanbieter. Mit Kampfpreisen pfuschen die freien Servicierer, weniger höflich bezeichnet als „Spindelpiraten“, den Big Playern damit gehörig ins Geschäft. Die Fronten sind hart. Wehe, wenn man als Kunde dazwischengerät. Dann wird die Abhängigkeitssituation oft ausgenutzt und Kollateralschäden von beiden Seiten knallhart mitkalkuliert. Ein servicetechnisches Wespennest, worüber sich eine ganze Branche in Schweigen hüllt. Man wolle das Thema nicht hochkochen heißt es von einem Mitarbeiter eines großen deutsch-japanischen Maschinenbauers. Ein Schweigekartell, unter dessen Oberfläche aber Kunden wie Felix Mull viel Lehrgeld bezahlen müssen.

Beschwerden über Spindeldoctor keine Einzelfälle

Ist also der Fall des niedersächsischen Lohnfertigers Grund genug, sich vor diesen Spindelpiraten zu hüten? Vielleicht. Aber nicht jeder Pirat ist auch ein Böser. Dass sich aber die Beschwerden rund um den Spindeldoctor häufen, ist kein Geheimnis. Denn das Maschinenteil von Mull war leider nicht der einzige Patient, der nach der Operation durch den Doctor das Zeitliche segnete. Immer wieder hagelt es Klagen und wer die Facebook-Postings vieler Kunden liest, erfährt eines: Wer wirklich zufrieden ist, posaunt das zumindest nicht in die weite Welt des Internets hinaus. „Jede Generation füllt einmal auf das aggressive Marketing dieser Firma herein, aber eben nur einmal“, heißt es von einem anderen Kunden, der lieber anonym bleiben möchte. Er fürchte sich vor einer Leumundsklage, die immer ganz schnell aus Naumburg geflogen kämen.

Eine Branche im offenen Krieg

Wolfgang Heinisch, technischer Geschäftsführer (COO) der Egin-Heinisch GmbH alias Spindeldoctor, weiß um den Neid seiner Branche. Für ihn stellt ein Dienstleister, der ein Nischengeschäft groß machte (1.200 Spindel reparierten die Naumburger laut eigenen Angaben letztes Jahr), immer eine gute Angriffsfläche dar. „Die Branche befindet sich im offenen Krieg“, sagt er gegenüber Factory. Dass vor allem Maschinenbauer gegen die Spindelpiraten scharf machen, liegt daran, dass „wir mit bis zu 40 Prozent niedrigeren Wartungskosten auf Kundenfang gehen“, berichtet Herwig Resch, Produktmanager bei PDS, auch ein freier Spindeldienstleister. Vor „alleskönnerischen“ Dienstleistern mit allzu verlockenden Preisen warnt auch er. Dass sich so viele Spindelpiraten in diesem Markt tummeln, sei aber den Maschinenbauern selbst geschuldet. Schon lange beobachte Resch, wie Hersteller versuchen mit hohen Ersatzteilpreisen und irrationalen Servicepaketvorstellungen das verlorene Neumaschinengeschäft wieder aufzubessern. „Teilweise agieren die schon wie Versicherungskonzerne“, so Resch.

Makino warnt auf Webseite vor freien Dienstleistern

Schenkt man renommierten Managementinstituten Glauben, schöpfen Maschinenbauer Serviceumsätze derzeit nur zu einem Viertel ab. Den großen Rest krallen sich Werkstätten und Dienstleister. Betriebe müssten endlich aufwachen, mahnt selbst das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation: „Wer jetzt nicht beginnt, eine klare Strategie für das Wissensmanagement im technischen Service zu entwickeln, wird das lukrative Geschäft mittelfristig anderen überlassen müssen“, resümiert man bei Fraunhofer. Das programmiert Hersteller natürlich auf Angriff. Makino warnt auf seiner Website ausdrücklich vor Drittanbietern: „Sie können unnötige Komplikationen verursachen, denn sie haben weder Zugriff auf die Produktzeichnungen für Makino-Maschinen, noch sind sie so spezialisiert und geschult“, heißt es dort.

Das Service-Dilemma der Maschinenbauer

Eine Aussage, die so mancher Spindelpirat belächelt, zumal es ehemalige Makino-Servicetechniker sind, die hier als freie Dienstleister dem Konzern das Servicegeschäft mit Preisdumping streitig machen. Bei Makino kennt man die Fälle mit verpfuschtem Spindeleinbau nur zu gut. Die Serviceabteilung warnt immer wieder davor, dass Spindeln längst keine rein mechanischen Systeme mehr sind: „Das ist ein komplexes Zusammenspiel von Mechanik, Elektronik und Software“, so der Tenor aus Esslingen. Instandsetzen sei nicht neuwertig reparieren und sollte, wenn schon durch Drittanbieter, nur von zertifizierten Lieferanten erledigt werden. Dass Hersteller es den ungeliebten Spindelpiraten mit neuen Entwicklungen bewusst schwieriger machen, ist längst kein Geheimnis mehr.

Pricing-Experte belächelt Preisdumping

Angesehene Pricing-Experten können das preisliche Gezanke der Spindelpiraten und Maschinenbauer übrigens nicht nachvollziehen. „Beide Seiten lassen sich hier ein 10-prozentiges Wachstum durch die Finger gehen“, mahnt Nikolas Beutin. Der Leiter Customer Practice Europe beim Beratungsunternehmen PwC kennt die Preisschlacht im After-Sales-Bereich nur zu gut. Laut PwC-Maschinenbaubarometer würden 77 bis 93 Prozent aller Fälle ihre Preise willkürlich bilden. „Das sind Entscheidungen aus dem Bauch heraus“, so Beutin. Dynamisches Preismanagement? Fehlanzeige. Für Beutin ein Phänomen der DACH-Region. Amerikanische Maschinenbaukonzerne seien da schon viel weiter. So ist es nicht ungewöhnlich, dass große Konzerne über 50 Preisstrategen beschäftigen. Würden also die Preise für Produkte oder Dienstleistungen an den aktuellen Marktbedarf angepasst werden, würde das zwar die ohnehin schon teuren Preise der Spindelreparatur weiter erhöhen, „Kunden würden das aber akzeptieren“, ist der Pricing-Experte überzeugt.

Transparente Preispolitik als Chance für Maschinenbauer

Eine Theorie, die zunächst völlig absurd klingt. Dennoch listen einige Spindeldienstleister in ihren Rechnungen Ersatzteile wie Arbeitszeit möglichst ungenau auf – „als Schutz“, verteidigt ein kleiner Servicebetrieb diese gängige Methode. Kunden würden es nicht verstehen, warum acht Stunden Arbeitszeit verrechnet werden, obwohl drei davon auf die Spindel am Prüfstand entfallen. „Er hätte das Gefühl, über den Tisch gezogen zu werden, obwohl dem gar nicht so ist“, heißt es. Genau diese transparente Preispolitik könnte aber große Maschinenbauer wieder zurück ins Geschäft bringen. Ganz nach dem Prinzip Flugbuchungen: Wer eine transparente Preispolitik betreibt, dreht den Spieß um und macht den vorausschauenden Kunden zum schlauen Fuchs und Gewinner in dieser Serviceschlacht.

Das Lehrgeld von DMG Mori

Ein wunder Punkt, der DMG Mori in der Vergangenheit schon viel Lehrgeld kostete. „Wir haben im Servicebereich vieles falsch gemacht", gab Christian Thönes, Vorstandsvorsitzender, vor einem Jahr in Pfronten auf der traditionellen Hausausstellung zu. Anfang des Jahres hat DMG Mori deswegen seine ganze Preispolitik restauriert. Das System sei nun fairer und transparenter, heißt es. Ersatzteilpreise seien gesenkt worden, „weil die Kunden die Reparatur vom Hersteller bekommen sollten", so Thönes, der im Millionengeschäft Spindelreparatur wieder kräftig mitmischen will. Übrigens: Auch der früher unter Deckel Maho Gildemeister bekannte Maschinenbaukonzern ging schon mehrfach gerichtlich gegen den Spindeldoctor vor. Ein Fall stammt aus dem Jahr 2013, als der Dienstleister Werbeprospekte mit der Aufschrift „Deckel Maho Spindelreparatur“ verschickt hatte. DMG Mori klagte auf Unterlassung. Mit Erfolg. Der Spindeldoctor darf eigentlich das Zeichen „Deckel Maho“ laut richterlichem Spruch nicht mehr in Geschäftspapieren oder in der Werbung benutzen. Jetzt wirbt der gewiefte Dienstleister halt mit „wahrscheinlich schnellste Franz Kessler Reparatur der Welt“. Die Kessler-Spindel ist Standardprodukt in fast jeder DMG Mori-Maschine. (eb)

Auf was Sie bei der Wahl eines freien Spindeldienstleisters achten sollten:

Der Servicedienstleister sollte die Spindel so gut wie möglich herstellernah reparieren lassen, d.h. immer Originalersatzteile verwenden.

Der Dienstleister sollte keine eigenhändigen Umbauten oder Vereinfachungen an der Spindel vornehmen, es sei denn diese wurden vorher mit dem Kunden besprochen.

Der Dienstleister sollte auch Nein sagen können und dabei erklären können warum.

Es ist immer gut, wenn der Dienstleister auch Automotive-Kunden bedienen, das ist ein Punkt, der Vertrauen weckt.

Vorsicht vor Dienstleistern, die sagen sie „reparieren alles“. Keiner kann jede Spindel reparieren. Vorsicht auch bei Aussagen wie: „Alles kein Problem.“ Spindeln sind immer ein Problem.

Anzahlungen von 50 Prozent und der Rest nach 14 Tagen netto sind völlig normal. Alles andere ist sehr stark zu hinterfragen.